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Schräge Töne beim Abschlußtusch

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Schräge Töne beim Abschlußtusch

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Im Hamburger Institut für Sozialforschung herrscht eine Schlußstrichmentalität eigener Art. Nachdem die erste vom Institut produzierte und von Hannes Heer geleitete Wehrmachtsausstellung 1997 wegen der Aufdeckung spektakulärer Fehler geschlossen wurde, suchte die Institutsleitung den Imageschaden zu begrenzen. Institutsnahe Akademiker und die Macher der Ausstellung bescheinigten sich also per Gutachten selbst die eigene Wissenschaftlichkeit und ließen eine zweite Ausstellung mit ebendiesem Tenor folgen. Zu deren Abschluß veranstaltete das Institut im Frühjahr 2004 gemeinsam mit dem Institut für Zeitgeschichte eine Tagung, auf der Jan Philipp Reemtsma dem eigenen Selbstgefühl Ausdruck geben konnte, jederzeit „recht gehabt“ zu haben. Nun folgt ein Jahr danach ein von beiden Instituten herausgegebener Sammelband, der dies unterstreichen und die Rechtfertigungsprozedur abschließen soll. Unter diesen Umständen stellt der Inhalt keine Überraschung dar. Das Buch beschäftigt sich weder mit der Debatte um „Verbrechen der Wehrmacht“ noch gar mit deren Bilanz. Es ist ein Sammelband aus insgesamt siebzehn Beiträgen, in denen Protagonisten der Ausstellung wie Christian Gerlach, Dieter Pohl, Andreij Angrick und Ulrike Jureit erneut die eigenen Ansichten äußern, ergänzt durch Beiträge anderer Autoren. Die Argumente sind bekannt. Ideologische Deutungen der deutschen Kriegspolitik überwiegen, entgegenstehendes Quellenmaterial wird ignoriert oder verleugnet. Niemanden wird also wundern, wenn Christian Gerlach einmal mehr wiederholt, die Wehrmacht hätte die sowjetischen Kriegsgefangenen absichtlich verhungern lassen, verbunden mit der weiteren Behauptung, es gebe zu dem Vorgang keine Quellen auf Führungsebene. Dabei gibt es diese Quellen. Alle Gefangenen sollten ausreichend ernährt werden, und die Armeeführung setzte sich angesichts der drohenden Krise im Herbst 1941 bei Hitler für zusätzliche Maßnahmen ein, um dies sicherzustellen. Der Diktator hat persönlich in diesem Sinn entschieden, was sich aus einschlägigen Dokumenten im Bundesarchiv nachweisen läßt. Die Frage, warum es dennoch zu dem Massensterben kam, ließe sich nicht ohne Verweis auf die sowjetische Politik der „verbrannten Erde“ beantworten, die jedoch in den Aufsätzen ebenso durchgängig unterschlagen wird, wie die gleichlautende deutsche Antwort lauthals als Verbrechen gekennzeichnet wird. So schrammt das Niveau der Beiträge nicht selten hart am Rand des Prädikats wertlos vorbei. Eine eigentümliche Volte schlägt Christian Hartmann. Hatte der stellvertretende Direktor des Instituts für Zeitgeschichte kurz vor Ausstellungsende 2004 in einem Aufsatz der hauseigenen Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte die Methoden des Reemtsma-Instituts als fragwürdig gebrandmarkt und eine Zahl von fünf Prozent „Tätern“ innerhalb der Wehrmacht als wahrscheinlich angenommen, so betont er nun in seinem eigenen Beitrag, diese Schätzung niemals selbst ermittelt zu haben. Das sei ein „Mißverständnis“, schreibt er und führt statt dessen wieder Hannes Heers Skandalbehauptung von bis zu achtzig Prozent Tätern als ebenso diskutable Mutmaßung ein. Einen besonderen Witz gewinnt dies dadurch, daß sich Heer und Reemtsma von dieser Angabe als einer mißverständlichen „fatalen Zahl“ und Entgleisung zwischenzeitlich deutlich distanziert hatten. Vieles bleibt auch in den übrigen Aufsätzen Stückwerk. Bernd Wegner, Professor an der Universität der Bundeswehr, geht der Entscheidungsfindung für den deutschen Angriff nach und versucht sich an der Frage, ob das Unternehmen Barbarossa „Hitlers Krieg“ gewesen sei. Ein Lehrstück ist sein Text schon deshalb, weil er die Kriegsvorbereitungen der Roten Armee oder die stalinistische Außenpolitik mit keiner Silbe erwähnt. In eine vergleichbare Kerbe schlägt Jürgen Förster, seines Zeichens Professor an der Universität Freiburg, der nach den Motiven der finnischen Kriegsanstrengungen forscht, ohne den sowjetischen Angriff von 1939 und den erneuten militärischen Übergriff sowjetischer Einheiten von 1941 in Rechnung zu stellen. Im Gegenzug verwendet er den Roman „Kaputt“ des faschistischen Wendehalses Curzio Malaparte als zitierfähige Quelle für rumänische Massaker an Juden. Als lesenswert können Krisztián Ungvárys und Bernhard Chiaris Beiträge über das Verhalten der ungarischen Armee in Rußland und die Lage der sowjetischen Zivilbevölkerung unter deutscher Besatzungsherrschaft hervorgehoben werden. Ansonsten überwiegt bei den Autoren immer wieder die Absicht, ein bestimmtes Ergebnis gegebenenfalls selbst ohne Rücksicht auf Fakten festzuschreiben. Einem Schlußstrich dieser Art mangelt es an intellektueller Redlichkeit, und er kann kaum gelingen. Selbst das im Vorwort von den Herausgebern quasi als „biologische Lösung“ beschworene nachlassende Interesse der Öffentlichkeit aufgrund des Generationenwechsels garantiert dies keineswegs. Christian Hartmann, Johannes Hürter, Ulrike Jureit (Hrsg.): Verbrechen der Wehrmacht – Bilanz einer Debatte. C.H. Beck, München 2005, 230 Seiten, broschiert, 12,90 Euro Foto: Jan Philipp Reemtsma in der Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“, Hamburg 2004: Selbstgefühl, jederzeit Recht gehabt zu haben

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