Rupert von Plottnitz, ehemaliger RAF-Anwalt und früherer grüner hessischer Justizminister, hielt es vor lauter Begeisterung kaum noch auf seinem Stuhl. Im Frankfurter Presseclub hatte er das neue Buch des linken Soziologen Ulrich Beck mit dem Titel „Was zur Wahl steht“ vorstellen dürfen, und nun nahm das gegenseitige Schulter- und Schenkelklopfen von Präsentator und Autor schier kein Ende mehr. „Eine radikale Abrechnung mit den drei Lebenslügen der Bundesrepublik“ sei Becks Buch, befand der grüne Edelmann. Beck räume endlich auf mit der irrigen Annahme, daß die Rückkehr zur Vollerwerbsgesellschaft der fünfziger und sechziger Jahre nur eine Frage des Willens und der Fähigkeit unserer Politiker sei. Allerdings hat das auch niemand behauptet, der noch alle Tassen im Schrank hat. Wer also hier an ein typisches Ablenkungsmanöver von den wirklichen Problemen Deutschlands denkt, liegt sicher nicht falsch. Die zweite Lebenslüge laute: Je freier die Märkte, um so größer auch das wirtschaftliche und soziale Wohlergehen der Menschen. Auch dies behaupten heute nur noch die hartnäckigsten Neoliberalen, während Konservative einem klare politische Rahmenbedingungen vorgebenden Staat den Vorzug geben. Und drittens – so der jubelnde Plottnitz – zeige Beck, daß es sich beim Nationalstaat um ein politisches Auslaufmodell handele. Zwar haben Franzosen und Niederländer gerade eben noch in Abstimmungen das Gegenteil bewiesen – daß nämlich die Völker, wenn man sie nur dazu befragt, überstaatlichen und bürokratischen Institutionen wie der EU eine Absage erteilen. Aber derlei Realitäten nehmen Linke am liebsten gar nicht zur Kenntnis. Was nicht sein soll, darf auch nicht sein! Natürlich plädierten die beiden Herren auch für einen EU-Beitritt der Türkei, denn Sicherheit – siehe die mörderischen Londoner Anschläge – könne nun einmal nur „durch einen kulturellen Ausgleich“ geschaffen werden. Und genau hier beginnen die Lebenslügen der Linken. Zwar ist die multikulturelle Gesellschaft auf allen Ebenen grandios gescheitert, so daß selbst Beck zähneknirschend eingestehen mußte, daß das Aufeinandertreffen der Kulturen „auch ein großes Gewaltpotential“ mit sich bringe. Doch nach links-grüner Lesart kann „das Gewalt- und Haßpotential nur durch eine Symbiose von westlicher und muslimischer Kultur verringert werden“. Bei soviel Paradiesvogelgeschrei aus dem Überbau hielt es dann auch die meisten Zuhörer nicht mehr länger auf ihrem harten Gestühl, und man entfernte sich rasch vom Ort des Geschehens, um die angemahnte Symbiose von Pumphosen und Wasserfolter einerseits sowie Gina-Wilde-Pornos und Margarete Mitscherlichs Berührungstabus andererseits irgendwie auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.