Anzeige
Anzeige

Von Frauen umzingelt

Von Frauen umzingelt

Von Frauen umzingelt

 

Von Frauen umzingelt

Anzeige

Cato, Palmer, Exklusiv

Der neue Roman von Martin Walser (77), „Der Augenblick der Liebe“, ist ein typisches Alterswerk, durchtönt von Resignation und Abschiednehmen, knapp und lakonisch in der Diktion, bemüht um endgültige, die Dinge gleichsam statisch und durchsichtig machende Sprache. Der Gang der Erzählung wird flankiert und grundiert von philosophischen Reflexionen, Allgemeines und Individuelles, Vergangenheit und Gegenwart vermischen sich, werden deckungsgleich. So ähnlich hat der späte, erblindete Borges geklungen, so klingt heute Czeslaw Milosz. Eigentümlich kontrastiert dazu das Thema des Buches: eine handfeste, ja deftige Dreiecksgeschichte, ein Liebesterzett wie aus dem ewigen Schnittmusterbogen für derartige Romanentwürfe. Großer Liebhaber, Ehefrau, Freundin. In die Bodensee-Villa des notorischen Privatgelehrten und Ex-Immobilienmaklers Gottlieb Zürn (bekannt aus den Romanen „Das Schwanenhaus“ und „Jagd“, mittlerweile 61) und seiner tüchtigen Gattin Anna bricht eines Tages eine junge deutsch-amerikanische Philosophielehrerin ein und sorgt für gründliche Verwirrung der Gefühle. Als Gastgeschenk hat sie eine große Sonnenblume mitgebracht. Beate Gutbrod, so der Name des Irrwischs, schreibt am Caldwell Hall-College von North Carolina eine Dissertation über den französischen Aufklärungs-Philosophen Julien Offray de Lamettrie (1709 bis 1751), ist beim Materialsammeln auf zwei alte Aufsätze Zürns über Lamettrie gestoßen und nutzt nun die Gelegenheit eines Verwandtenbesuchs in Europa, um bei Zürn vorzusprechen und ihn zu befragen. Und das ist der Augenblick der Liebe zwischen Zürn und Beate. Wie trockener Zunder flammt das Feuer gegenseitigen Begehrens in den beiden auf, trotz oder gerade wegen des aufmerksamen und wissenden Blicks der dabeisitzenden Anna. Zürn und Beate sind momentan einander verfallen. Walser spricht so plastisch über Intimes wie nie zuvor Es entspinnt sich ein intensiver Brief- und Telefonverkehr zwischen North Carolina und der Bodensee-Villa, bei dem das Fachgespräch über Lamettrie sogleich umschlägt in Liebesschwüre und Begehrenssignale. Beate sorgt dafür, daß Zürn zu einem Lamettrie-Kongreß nach Kalifornien eingeladen wird; gemeinsam arbeiten sie in einem Hotel in Berkeley Zürns Referat für den Kongreß aus – und kommen dabei aus dem Bett kaum noch heraus. Geist und Sinnlichkeit werden eins. Der Leser erlebt einen Walser, der so direkt und plastisch über intimste Liebesdinge spricht wie wohl noch nie zuvor in seinem umfangreichen Werk. Doch das Pendel schlägt zurück. Befördert durch frustrierende Erfahrungen mit dem amerikanischen Wissenschaftsbetrieb, angestoßen durch gesundheitliches Ungemach, beginnt ein rapider Entfremdungsprozeß zwischen Zürn und Beate. Schon nach wenigen Tagen trennen sie sich in Enttäuschung und Zorn, der Mann kehrt an den Bodensee zurück und macht an Anna wieder gut, was er ihr angetan hat, facht altgewohnte Ehebeziehungen zu hellster neuer Flamme an. „Am besten ist eben doch zu Hause.“ Aber auch das ist nicht das letzte Wort des Buches. Die Abwesenheit Beates tut sich alsbald wie ein Abgrund der Hölle neben Zürn auf. Er versucht aufs neue, Verbindungen zu der fernen Geliebten aufzunehmen, freilich vergeblich. Eines Tages erhält er aus North Carolina eine Heiratsanzeige: Beate hat sich ausgerechnet mit dem (in den Augen Zürns) unerträglichsten und degoutantesten „Kollegen“ vom College zusammengetan. Und Zürn bricht mit Anna zu einem kleinen Segeltörn auf dem heimatlichen Bodensee auf. Durchzogen ist die ebenso heikle wie einfach gestrickte Geschichte, wie gesagt, von philosophischen und linguistischen Exkursen, und sie gewinnt zusätzlich Farbe durch sarkastische, detailgenaue Schilderungen des amerikanischen College-Lebens. Walser kennt die Verhältnisse ja sehr gut, und der „Augenblick der Liebe“ liest sich streckenweise wie ein achselzuckendes, leicht angewidertes Sichabwenden von diesen Verhältnissen. Beate denunziert da etwa, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt, jenen Kollegen, den sie später heiratet, wegen angeblich allzu frechen Nackenstreichelns beim „Sexual Harassment Officer“, zieht die Anzeige später wieder zurück. Und dem Zürn widerfährt nach seinem Referat in Berkeley schneidende Political Correctness: Er hat dargestellt, wie Lamettrie in seiner Philosophie Gewissen und Schuldgefühl als schädliche, der menschlichen Glückseligkeit im Wege stehende Affekte abtut, und wird nun in der Diskussion angegriffen und fertiggemacht, weil ausgerechnet er, als „schuldbeladener Deutscher“, die Schuld mit Hilfe Lamettries zu entsorgen versuche. Zürn bleibt nichts anderes übrig, als sich stotternd für den Fauxpas zu entschuldigen, was ihm aber wenig hilft; sein Referat gerät zur peinlichen Pleite. Der Leser kann darüber nur ebenfalls angewidert den Kopf schütteln, auch wenn er nicht versteht, wieso Zürn und Beate und mit ihnen Walser selbst sich ausgerechnet in Lamettrie vergaffen und ihn zu ihrem Säulenheiligen machen. Denn Lamettrie war ein wahrhaft trostloser Kurzdenker, der auch nicht dadurch an Glanz gewinnt, daß ihn der Preußenkönig Friedrich der Große in Potsdam zu seinem „Hof-Atheisten“ machte. Lamettrie, über den seine Mitaufklärer Lessing und Diderot schon im 18. Jahrhundert das Notwendige gesagt haben, hielt „die bewegte Materie“, die er sich als eine mechanisch tickende Uhr vorstellte, für das A und O jeglichen Daseins. Der Geist war für ihn lediglich eine Funktion, eine Art Sekret dieser „Materie“. Es gab seiner Meinung nach keine Willensfreiheit, lediglich aus irgendeinem Grund die betrügerischen „Priester“, die den Leuten Gott einreden und sie dadurch von der willenlosen Glückseligkeit abhalten wollten. Glückseligkeit konnte sich Lamettrie nur als banalste Instinktbefriedigung vorstellen. Für Walser ist dieser Mann der Prophet an sich, ein Erlöser, der die „Sinnlichkeit“ vor dem Wort, vor der Sprache, vor dem „Vokabular“ rettet. Das zu lesen, ist tief frustrierend, nicht zuletzt für die unverbesserlichen Bewunderer Walsers, die seine großartige Produktivität, seine Sprachkraft und nicht zuletzt seinen öffentlichen Mut schätzen. Was offenbart sich hier in diesem Alterswerk? Welche Rechnung wird uns da am Ende aufgemacht? „Vor Rousseau kam Lamettrie“, hieß einer der Zürn-Aufsätze, die Beate aus den Archiven aufgetan hatte. Aber ein Vorgänger ist doch nicht automatisch ein Vorläufer! Rousseau tat genau das, was Lamettrie ein Greuel gewesen war: Er unterschied scharf zwischen Natur und Kultur und wies beiden ihr Recht und ihre Funktion im Erziehungsprozeß zu. Und er tat noch ein Übriges: er teilte den Erziehungsprozeß auf zwischen Müttern und Vätern. „Mütter sind Ammen, sind Natur, sind Musik“, schrieb er, „Väter sind Lehrer, sind Kultur, sind Sprache.“ Der mütterliche Einfluß zielt immer auf Natur, der des Vaters immer auf Kultur, auf das, was man nicht von vornherein besitzt, was einem nicht organisch zuwächst, was man vielmehr erlernen und extra erwerben muß, womit dann eine gewisse Entfremdung von der Natur und von dem, was sich „eigentlich von selbst versteht“, verbunden ist. Der Großschriftsteller Martin Walser, so zeigt sich im „Augenblick der Liebe“ wie noch nie zuvor, ist ganz und gar von den Frauen , von der Natur und von der Musik geprägt, darin liegt seine Stärke, aber auch seine mentale und kreative Schwäche. Der Sprache mißtraut er, auch wenn er sie elegant zu handhaben weiß. Als typischer Vertreter der „Flakhelfer“-Generation wuchs er faktisch ohne Vater auf; die Väter dieser Generation waren entweder im Krieg gefallen, oder sie galten in jeder Hinsicht als blamiert und unglaubwürdig. So orientierte man sich an der Mutter. Abneigung vor der Zuspitzung von Konflikten Bei Walser trat hinzu, daß er – wie Gottlieb Zürn, sein Alter ego im Roman – an eine machtvolle, mindestens ebenbürtige Frau geriet, von der er vier Töchter bekam, ebenfalls alle machtvolle Persönlichkeiten. Indes, einen Sohn bekam er nicht, und so blieben ihm die leidenschaftlichen, oft erbitterten Generationenkämpfe zwischen Vätern und Söhnen erspart, wo es nicht nur darum geht, daß der Sohn auf eigenen Füßen stehen und den Vater aufs Altenteil abschieben will, sondern auch und sogar in erster Linie um das Ausmaß des Traditionsbestandes, der übernommen bzw. verworfen werden soll. Walser, obwohl einige Male just in Amerika als Gastdozent unterwegs, hat auch nie versucht, Schüler zu erziehen, „Schule“ zu bilden, eine männliche Genealogie des Lehrens und Lernens aufzurichten. Alles blieb bei ihm spontan, „organisch“, eben ganz und gar „mütterlich“. Das machte ihn, mehr noch als Lenz oder Grass und faktisch über alle politischen Fronten hinweg, zum geradezu klassischen Dichter der „vaterlosen Generation“, das ist der Grund für die ungeheure Seeleneinfühlsamkeit seiner Prosa. Er ist ein homme de femmes, wie es kaum einen zweiten in der deutschen Literatur geben dürfte, geduldig im Zuhören, hochempfindlich für die symbolische (Liebes-)Bedeutung von Gesten, Nebenbeiworten und Mitbringseln, häuslich, lebenspraktisch, jeder Ideologie letztlich abgeneigt. Für alle diese Tugenden finden sich im „Augenblick der Liebe“ die eindrucksvollsten Beispiele. Freilich auch für die Kehrseite der Medaille, für die (leserunfreundliche) Abneigung vor der Zuspitzung von Konflikten, für das In-der-Schwebe-Lassen von allem und jedem, für das Ausweichen vor allen, in vielen Lebenslagen doch durchaus notwendigen, digitalen Entscheidungen, hier oder dort, dafür oder dagegen, ja oder nein. Walsers bevorzugtes Lebensgefühl ist ein hauswarmer, bettwarmer „Monismus“, so wie ihn Lamettrie predigte. So kann man verstehen, wie es dieser merkwürdige Heilige schaffte, ins Walsersche Credo zu kommen. Gute Dichter liefern glücklicherweise stets eine Prise Selbstkritik, wenn sie sich irgendwie allzu deutlich exponiert haben. So auch Walser. Als sein Gottlieb Zürn in Berkeley zum Vortrag seines Lamettrie-Referats anhebt, bleibt ihm schon nach wenigen Sätzen buchstäblich die Stimme im Halse stecken. Bei jedem Wort fühlt er einen Stich. Er kann nur noch röcheln, und Beate muß einspringen und den Part des Vortragenden übernehmen. Eine schöne Pointe! Und ganz zum Schluß bekommt nicht Lamettrie noch einmal das Wort, sondern der schärfste Widerpart, der zu ihm überhaupt denkbar ist: Blaise Pascal, der im Gegensatz zu Lamettrie nicht nur ein großer Wissenschaftler, sondern auch ein großer Meister der Sprache war. So etwas läßt hoffen. Vielleicht ist „Der Augenblick der Liebe“ doch noch nicht das definitive Alterswerk Walsers gewesen. Foto: Martin Walser: Der Großschriftsteller mißtraut der Sprache, auch wenn er sie elegant zu handhaben weiß Martin Walser: Der Augenblick der Liebe. Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2004, 254 Seiten, 19,90 Euro

Anzeige
Anzeige

Der nächste Beitrag

ähnliche Themen
Hierfür wurden keine ähnlichen Themen gefunden.
aktuelles