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Vom pfleglichen Umgang miteinander

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Unwort, Umfrage, Alternativ

Nach der Revolution von 1918 erklärte der Chauffeur des Bankiers Fürstenberg, er wolle ab jetzt nicht mehr als Otto, sondern als Herr Lehmann angesprochen werden. „Gut, Herr Lehmann“, antwortete der Bankier, „dann bestehe ich aber darauf, daß Sie in Zukunft zu mir Carl und Du sagen, denn ein Unterschied muß sein“. Das ist auch die Auffassung von Asfa-Wossen Asserate. Er selbst entstammt der Familie des äthiopischen Kaisers Haile Selassie und wuchs mit europäischen Kindermädchen und offiziellen Staatsbesuchen auf. Wie man Bestecke legt, wie Visitenkarten auszusehen haben oder in welcher Kleidung man zum Ball oder Bankett geht, das alles hat der Autor seit seiner Kindheit gelernt. Aber nicht nur das erwähnt Asserate, sondern auch Dinge, über die man sonst weniger liest, entweder, weil sie dem zeitgeistlichen Wertekanon angeblich nicht mehr entsprechen oder weil sie in einer Welt der Äußerlichkeiten schlicht in Vergessenheit geraten sind, etwa den Zusammenhang zwischen innerer und äußerer Haltung (was die Franzosen etwa contenance und tenue nennen), Fragen der Diskretion, und – um Himmels Willen! – der Ehre. Aber überraschenderweise auch, wie man sich gepflegt betrinkt. Asserate zeigt, daß gutes Benehmen nicht notwendigerweise ein gängelndes Korsett ist, sondern, beherrscht man gewisse Grundregeln, auch die Freiheit zum Spielen mit den Formen geben kann. Diese Leichtigkeit, geht demjenigen ab, der immer aufpassen muß, daß er die Formen einhält, weil er sie nicht so genau kennt. Auch Asserate ist ein Nachfolger Knigges. Freilich sind seine philosophischen Etüden weniger in ein System bürgerlichen Anstands eingebettet als vielmehr in eine Upper-class-Kasuistik in der Nachfolge des herrlichen „Idiotenführers durch die deutsche Gesellschaft“ von Gregor von Rezzori oder des britischen Sloane Ranger Handbook der achtziger Jahre, das sich von dem verächtlichen Essexman-Aufsteiger der Thatcher-Ära abhob, einer prollkonservativen Ellenbogen-Variante des politischen Mantafahrers. Wer etwa das Kapitel des Umgangs mit Untergebenen bei Knigge mit dem Pendant von Asserate vergleicht, wird manche Berührungspunkte finden. Aber schon das Thema solcher Kapitel ist eine Provokation für den Vertreter der emanzipatorischen Gesellschaft. Doch ist der folgende moralische Aufschrei auch ehrlich? Wie schafft Frau Werbeagentur-Direktorin eine gemeinsame Basis mit der kolumbianischen „Perle“, die so halblegal den Haushalt versorgt? „Du Imelda – ich Ingeborg“? Man muß dieses Benimm-Buch in Wahrheit als ein eminent politisches Buch lesen. Wenn der Autor etwa ganz beiläufig mit dem konservativen kolumbianischen Philosophen Nicolás Gómez Dávila vorschlägt, man solle „statt das in der Politik zur Bedeutungslosigkeit verkommene Wort Menschenwürde zu benutzen, einfach alles ganz langsam tun“. Das zeigt sich aber auch im Kapitel über den „Umgang mit Feinden“. Es ist, wohl einmalig in der Anstands-Literatur, mit einem Zitat von Carl Schmitt eingeleitet. Und wenn er daran erinnert, daß dem „Feind“ im 20. Jahrhundert „im Grunde das Mensch-sein abgesprochen“ wird, so ist das ein fast wörtliches Zitat aus Schmitts „Begriff des Politischen“. Daß Asserate hier freilich den Ausweg der Courtoisie empfiehlt, hätte den Plettenberger sicher eher amüsiert. Das Œuvre ist ein Generalangriff auf all das, was wir uns seit 1968 als üblich anzunehmen angewöhnt haben, und das wird von den Gralshütern der Studentenrevolte auch so empfunden. Denn Stilfragen sind nicht nur Fragen des Lebensgefühls, sondern auch Fragen des Inhalts. Das trifft natürlich auch auf das PC-Deutsch zu, gender speaking, oder, wie es seit Eike Christian Hirsch und Eckhard Henscheid auch heißt: Dummdeutsch. Daß nun vornehmlich einige Linke das Buch verreißen, hat damit zu tun, daß Asserate das liebgewordene Bild der 68er und ihre Rolle in der bundesrepublikanischen Alltagskultur frontal angreift. So beanstandet Katharina Rutschky („Theoretikerin der 68er Generation“) im Berliner Tagesspiegel: „Der Autofahrer, der Single, der Nachbar, der Erwachsene im Umgang mit der neuen Jugend oder das geschiedene Ehepaar, kurz alle, die in einer demokratischen, alters-, geschlechter- oder sonst von konventionellen Hierarchien nicht mehr geregelten Welt leben, haben von diesem Buch wenig zu erwarten“. Was natürlich keineswegs stimmt, denn lernen kann jeder. Aber darum ging und geht es hier auch weniger, man hat offensichtlich schreckliche Angst vor einem wie immer gearteten konservativen Rückfall. Und da alle erhobenen Zeigefinger nichts genutzt hatten, legte Frau Rutschky einen Monat später im gleichen Blatt noch einmal nach: Kennern und Bewunderern des Werks von Martin Mosebach seien in dem Erfolgsbuch „Manieren“, als dessen Autor ein äthiopischer Prinz genannt werde, „erstaunliche Parallelen aufgefallen“. Der eigentliche Autor sei nämlich der Frankfurter Schriftsteller Martin Mosebach („Der Nebelfürst“), ein alter Freund des Prinzen Asserate. Das sei, so beschied Frau Rutschky, nun wirklich kein Jux mehr, zumal der Prinz nun auch noch den Chamisso-Preis erhalten sollte. Ein „zynisches“ und „lukratives“ Spiel sei dies, mit der „Gutgläubigkeit des Publikums, das ohne den Hype um den äthiopischen Frontmann das Buch wohl kaum zum Bestseller gemacht hätte“. Rutschky bezweifele Asserates Autorschaft, seit sie mit ihm auf einem Podium des Literarischen Colloquium Berlin über das Buch diskutiert und dabei den Eindruck gewonnen habe, das intellektuelle Format von Buch und Autor seien zwei Paar Schuh. Nun bestätigten andere Teilnehmer an diesem Colloquium allerdings, daß Asserate sehr wohl in der Lage gewesen war, die deutsche Sprache nahezu druckreif zu sprechen. Aber wenn ein Afrikaner Gómez Dávila statt Frantz Fanon zitiert, dann kann offensichtlich in den Augen gewisser fortschrittlicher Kreise irgend etwas nicht stimmen. Der als angeblich „wahrer“ Autor vermutete Schriftsteller Martin Mosebach hat demgegenüber auf Anfragen entschieden betont, das Benimm-Buch lektoriert, aber nicht geschrieben zu haben. Man spürt die Absicht hinter solchen Angriffen und ist verstimmt. Denn daß Asserate sich von Mosebach hat inspirieren lassen, eventuell sogar hat beraten lassen, wäre das so schrecklich? Selbst wenn es so wäre, Asserate hätte wohl kaum einen besseren Griff tun können. Der von Frau Rutschky inszenierte Pseudo-Skandal ist inzwischen in sich zusammengebrochen. Nun hat Asserate, was verhindert werden sollte, am 19. Februar doch den Adelbert-von-Chamisso-Preis für sein Werk erhalten. Die Robert Bosch Stiftung ehrt damit seit 1985 herausragende literarische Leistungen von Autoren, die in Deutsch schreiben, obwohl es nicht ihre Muttersprache ist. Die Jury lobte ihn für „seinen stilistisch ausgereiften, von umfassender Bildung zeugenden und auf originelle Weise in der Tradition der großen europäischen Moralistik stehenden Prosaband“. Für die Behauptungen Rutschkys seien bisher nicht die geringsten Beweise präsentiert worden, sagte Wieland Schmied, Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, die den Preis der Robert Bosch Stiftung traditionell verleiht. Und sie hat damit sicher einen guten Griff getan. Denn dieses Buch, dessen lektorische Hilfe durch Martin Mosebach auch von Asserate nicht in seiner Dankesrede abgestritten wird, ist köstlich zu lesen. Jede Seite ist ein ästhetischer Genuß. Werke dieser Art sind rar, und man pflegt sie sich auch nach der ersten Lektüre immer wieder vorzunehmen. Aber auch gute Bücher entstehen in der Regel nicht in einem vier Wochen dauernden Prozeß genialisch-assoziativen Halbschlafs, sondern sind das Ergebnis von Mühsal, Zweifeln und Kritik im Entstehungsprozeß. Asfa-Wossen Asserate: Manieren. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2003, gebunden, 388 Seiten, 22,90 Euro Foto: Streitsüchtige Galapagos-Schildkröten im Zoo von Zürich: Schreckliche Angst vor einem wie immer gearteten konservativen Rückfall

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