Franken sei eine einzige Kulturwüste, meinen einige Zeitgenossen. Dabei übersehen die Spötter, daß in der Sommerzeit die Wüste sprießt: durch die Wagner-Festspiele in Bayreuth, durch das Bardentreffen in Nürnberg – und im Spätsommer durch das Erlanger Poetenfest. Es trifft zwar zu, daß die Stadt Nürnberg ihre besten Dirigenten verscheucht (Christian Thielemann und Philippe Auguin). Dafür darf dann Karl-Heinz Fischer, Organisator des Bardentreffens, viele Liedermacher und Musikgruppen für drei Tage in die Stadt holen. In diesem Jahr spielten 370 Musiker auf sieben Bühnen für 200.000 Zuschauer. „Beim ersten Bardentreffen 1975 gab es nur eine einzige Bühne“, erinnert sich Altbürgermeister Peter Schönlein. „Damals kamen nur Liedermacher, es war viel politisierter als heute. Jetzt ist alles viel größer und internationaler. Mit ungefähr 25.000 Mark haben wir angefangen. Es gab keine große Konzeptgruppe, sondern es wurde einfach ausprobiert – genau wie bei der ersten Olympiade in der griechischen Antike – die haben auch nicht groß geplant.“ Das Bardentreffen auf einen Begriff zu bringen, ist fast unmöglich. Streng genommen ist die Bezeichnung „Bardentreffen“ irreführend. Man denke nur an den Brasilianer Marcos Valle, den „Vater“ des neueren Bossa Novas. Er präsentierte beruhigenden Samba-Blues, der mit viel Elektronik perlend dahinplätschert. Oder wer will die Sänger des arabisch-afrikanischen Orchesters Culture Musical Club aus Sansibar als Barden bezeichnen? Statt dessen könnte man von Weltmusik sprechen, wie es die hiesigen Regionalzeitungen tun. Doch das Schlagwort von der „Weltmusik“ verdeckt mehr, als es offenlegt. Es verdeckt, daß Musik aus Arabien und Asien kaum vertreten war. Und es suggeriert, es gäbe Gemeinsamkeiten in den (Volks-)Musiken unserer Welt: Gemeinsamkeiten in Melodie, Rhythmus, Akkordverbindungen und syntaktischen Strukturen, so daß der fränkische Weltbürger die Weltmusik problemlos genießen könne. Soweit die Theorie – die Praxis sah anders aus: Als das Orchester aus Sansibar aufspielte, verließ so mancher den Spielort. Arabisch-afrikanische Klänge sind für viele mitteleuropäische Ohren wohl eine Pein, selbst wenn diese Empfindungen vom multikulturellen Gewissen anfangs zensiert werden. Einfacher haben es da jene ausländischen Künstler, die schon jahrelang in Deutschland leben. Sie konnten ihre Lieder hier ausprobieren und den zentraleuropäischen Hörgewohnheiten anpassen. Die Kubanerin Addys D’Mercedes wohnt schon lange in Deutschland, die chilenischen Liedermacher Sergio Vesely und Veronica Gonzales sind im Schwäbischen beheimatet, die ungarischen Transsylvanians und die süditalienischen Marinafons sind aus Berlin angereist. „Bei irischer Volksmusik bekommen viele ganz feuchte Augen, bei deutscher Volksmusik sagen sie ‚Igitt, wie schrecklich'“, bemerkt ein Sozialarbeiter und langjähriger Beobachter der Szene. Deswegen ist es nicht verwunderlich, wenn viele deutsche Künstler ausländische Musikstile kopieren oder als Steinbruch für eigene Kompositionen ausschlachten: die Gruppen Black Sheep und Fiddler’s Green (Erlangen) mischten Irisches mit Rock, Los Dos y Compañeros aus der Oberpfalz sangen bairisch zu karibischen Klängen. Barden aus Sansibar, bairisch zu karibischem Rhythmus Doch auch Liedermacher im klassischen Sinne waren vertreten. Als „Altbarden“ bezeichneten sich die bairischen Gstanzlsänger Otto Göttler und Sepp Raith. Bei ihren rebellischen Liedern unter dem Motto „Aufbegehren führt zu Kopfverlust“ hat man das Gefühl, daß Bayern durch permanente Revolutionen und Gegenrevolutionen geschüttelt wird. Das Schwabenduo Ernst und Heinrich dagegen entschuldigt sich pflichtbewußt für seinen Populismus und singt dann munter: „Countrymusik ist immer etwas konservativ, immer etwas reaktionär und frauenfeindlich“. Foto: Kreuzigungshof in Nürnberg: „Anfangs wurde einfach ausprobiert“ Weitere Informationen zum Bardentreffen im Internet unter www.bardentreffen.de und zum Poetenfest unter www.poetenfest-erlangen.de .
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