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Die große Harmonie von Ich und Welt

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Die große Harmonie von Ich und Welt

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Er gilt als das Chamäleon unter den großen deutschen Philosophen, als einer, der dauernd seinen Standpunkt wechselte und nie mit sich identisch blieb (obwohl ausgerechnet seine Lehren von der Geistesgeschichte unter dem Signum „Identitätsphilosophie“ abgeheftet wurden): Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Pfarrerssohn aus Leonberg im Schwabenland, der, neunundsiebzigjährig, am 20. August 1854 in Bad Ragaz starb. Auch an seinem heutigen 150. Todestag stehen die Gelehrten ratlos vor diesem Phänomen. Doch faktisch alle Richtungen wollen sich mit seinem Namen schmücken, berufen sich auf ihn, verehren ihn als ihren Ahnen, die Lebensphilosophen und Biologisten, die Klages-Jünger und Existentialisten, die strikten Idealisten, aber auch viele Pantheisten und sogar bekennende Marxisten. Wenn es je einen Jüngling gegeben hat, der den Titel „Genie“ verdiente, dann war es der junge Schelling. Schon mit fünfzehn, als er ins berühmte Tübinger Stift einzog, war er auf sensationelle Weise „fertig“, „durchgebildet“, seinen Mitschülern und Freunden Hölderlin und Hegel an Sprachenkenntnis und Geschichtswissen weit überlegen. Dabei war nicht die Spur von Stiftlergeschmäckchen an ihm, er war eine vulkanische Natur, es sprudelte aus ihm heraus, faktisch jede Woche entwarf er ein neues „System der Wissenschaften, der Erziehung und der Offenbarung“. Sein Schreibstil war blendend, elegant und plastisch. Als kaum Zwanzigjähriger hatte er bereits eine Kette von Essays auf den Markt geworfen, die die Fachwelt beeindruckten und die intellektuelle Jugend entzückten. Johann Wolfgang von Goethe, der Weimarer Kulturminister, wurde auf ihn aufmerksam und sorgte dafür, daß er umgehend als außerordentlicher Professor an die Universität Jena berufen wurde. Dort traf Schelling auf die Clique der sogenannten Romantiker, Tieck, Novalis, die Brüder Schlegel, und er stieg sofort zu deren geistigem Führer auf, mischte sie regelrecht auf, spannte dem August Wilhelm Schlegel die Frau, die spektakuläre Karoline, aus, sorgte im Nu dafür, daß die bis dato unangefochtene geistige Dominanz Johann Gottlieb Fichtes beendet wurde. Unentwegt suchte er den unsichtbaren Antrieb Scharf trat damals schon die große Konstante im angeblich so chaotisch wechselvollen Werk Schellings hervor: seine Liebe und Aufmerksamkeit für die lebendige Natur, sein stürmisches Interesse für die sich gerade mächtig entwickelnde Chemie, für die Elektrizität, für die Seelenlehre (Psychologie) und für die Medizin der Säfte und Hypnosen. Dieses Naturinteresse war es, was den großen Naturbeobachter Goethe so sehr für den jungen Schelling einnahm. Der Minister hoffte, daß mit diesem – nach den „transzendentalen“ Exzessen Fichtes und der Jenaer Kantianer – nun endlich ein „konkreter“, auf Natur und reale Farbigkeit orientierter Lehrbetrieb in die Universität einzöge. Zum Teil erfüllten sich seine Hoffnungen, zum anderen Teil nicht. Schelling war zwar ein leidenschaftlicher Naturbeobachter, wie Goethe selbst, aber er war und blieb dabei entschiedener Idealist, suchte hinter allen beobachtbaren Naturereignissen unentwegt die zugrunde liegende „Idee“, den unsichtbaren, nur vom Geist, vom menschlichen „Ich“ durch „unmittelbare Anschauung“ erfahrbaren spirituellen Antriebsmotor für all die bewegten Farben und Formen. Tätiges Ich und Natur waren für ihn identisch (deshalb „Identitätsphilosophie“), waren eins wie in den indischen Weisheitslehren Brahman und Atman. Eine subtile Seelenanalyse konnte seiner Überzeugung nach verläßliche Auskunft geben über den Seinsgrund der Natur überhaupt. Die Differenz zu Fichte ergab sich nicht daraus, daß der eine in irgendeinem Belang idealistischer gewesen wäre als der andere, sondern sie lag in der verbissenen Natur-Ignoranz Fichtes. Für diesen war die Natur nichts weiter als „Anti-Ich“, ein Produkt, an dem sich das Ich abarbeiten mußte, um „sich selbst zu verwirklichen“, „Material der Pflicht“. Damit konnte sich Schelling nicht abfinden. Natur war ihm keine Hausaufgabe, sondern Vorbild, Liebesobjekt und Inspiration, nicht zuletzt Inspiration für den Künstler, der schuf „wie Natur“ und der deshalb in seinen besten Momenten, seinen gelungensten Schöpfungen die große Weltharmonie, die Identität von Ich und Welt, vollendet zum Ausdruck bringen konnte. Das war das „Romantische“ an Schelling, das ihm den begeisterten Beifall seiner Jenaer Kumpane eintrug: Nicht der mathematisch und mechanistisch operierende Wissenschaftler hatte den genauesten Schlüssel zur Wahrheit, sondern der Künstler, sofern er sich von allem Zufälligem freizumachen wußte und ganz zu Natur wurde. „Die Kunst“, dozierte Schelling in seinen Jenaer Vorlesungen zur Philosophie der Kunst, „ist das wahre und ewige Organon der Wissenschaft, wo in einer Flamme brennt, was in Natur und Geschichte gesondert ist. … Die Natur ist ein Gedicht, das in geheimer, wunderbarer Schrift verschlossen liegt. Nur die Kunst kann das Rätsel lösen.“ Freilich blieb das nicht das letzte Wort zu dieser Angelegenheit. Enttäuscht von den realen Hervorbringungen der Kunst seiner Zeit, angewidert vom unaufhaltsam sich ausbreitenden Wissenschafts-Positivismus, der zwar Erfolge in der Verbequemlichung der menschlichen Lebensverhältnisse vorweisen konnte, in seiner Intention aber auf eine schnöde Vergewaltigung der Natur und auf eine große Entfremdung zwischen Mensch und Natur hinauslief, schränkte sich der Enthusiasmus Schellings für Kunst und Wissenschaft, je älter er wurde, immer mehr ein. Am Ende wurde Schelling zum strengen, dogmatischen Theologen, der mit Zorn und Bitterkeit über die Differenz zwischen (Welt-)Schöpfung und (mißlingender) Identität nachdachte. Vorträge gegen den Linkshegelianismus Dazu beigetragen hatten die Bekanntschaft mit dem bayerischen Antirevolutionär Franz von Baader (1765 bis 1841) und – durch Baader vermittelt – das Studium der Werke des schlesischen Schuhmachers und Mystikers Jakob Böhme (1575 bis 1624). Schelling war 1803 von Jena an die Universität Würzburg abgegangen, lehrte später in Erlangen und München, und 1841 berief ihn Preußens romantischer König Friedrich Wilhelm IV. aus der Pension nach Berlin, um dort noch einmal Vorträge zu halten und so etwas gegen die „Drachensaat“ des grassierenden Linkshegelianismus zu tun. So unterschiedliche Geister wie Jacob Burckhardt, Sören Kierkegaard und Friedrich Engels haben ihn dort gehört. Von Burckhardt existiert ein Brief, der über die Verstörung Auskunft gibt, die der alte Schelling bei seinen Hörern auslöste: „Schelling ist Gnostiker geworden. Daher das Unheimliche, Monströse, Gestaltlose. Ich dachte jeden Augenblick, es müsse irgendein Ungetüm von asiatischem Gott auf zwölf Beinen dahergewatschelt kommen und sich mit zwölf Armen sechs Hüte von sechs Köpfen nehmen.“ „Gnostiker“ – das meinte ein verdecktes Hadern mit Gott, dem Weltenschöpfer, den Schelling andererseits in seiner späten „positiven Philosophie“ unermüdlich pries und dessen absolute Freiheit er groß herausstellte. Bei näherem Hinhören zeigte sich, daß Gott eben doch nicht frei war, daß er – im Stile Jakob Böhmes gesprochen – sich den „Urzufall“ zuziehen mußte, um überhaupt als Weltenschöpfer tätig werden zu können, als Schöpfer jener Welt, die ja „schiedlich“ ist, notwendig entfremdet von Gott und deshalb der Erlösung durch Christus bedarf. Am Grund allen Seins waltet tätiger Geist Man erkennt: Bis zuletzt, bis in die Tiefen seiner späten „Philosophie der Mythologie und Offernbarung“ hinein, ist Schelling seinem Identitätsideal treu geblieben, über alle Wandlungen und Umstürze hinweg. Nicht zuletzt dies macht seine Größe und auch seine Aktualität aus. Es kann, so seine Botschaft, keinen „Fortschritt“ gegen die natürliche Ordnung der Dinge geben, der Mensch muß mit der Natur im Einklang leben. Denn beide, Mensch wie Natur, sind in ihrem Besten Geist, geistinspirierte Tat, und wer das ignoriert, gerät auf Abwege. Gut paßt dazu die Beobachtung Burckhardts, daß ihm der alte Schelling in Berlin „asiatisch“ vorgekommen sei, mit zwölf Armen und sechs Köpfen. In der Tat ist etwas „Asiatisches“ um den alten Schelling, und nicht nur um den alten. Mit Vorliebe haben sich die Positivisten über die Naturphilosophie schon des jungen und mittleren Schelling lustig gemacht, über seine Ablehnung des demokritischen Atom-Modells, dem er seine „Potenzenlehre“ entgegenstellte. Das, hieß es maliziös, sei reiner Asiatismus, Tanz des Schiwa, Buddhas Sutra vom achtfachen Pfad, Märchenerzählung, nie und nimmer Wissenschaft. Inzwischen hat sich das Atom-Modell unterm Licht der modernen Forschung vollkommen verflüchtigt. Es gibt kein materielles „Teilchen“ , auf das sich irgendein Materiebegriff aufbauen ließe. Alles löst sich auf in unauslotbare Energieverhältnisse, für die der Tanz des Schiwa gar keine schlechte Metapher ist. Und die primäre Seinsenergie steht in direktem Zusammenhang mit dem menschlichen Geist, sofern er seinerseits Tat ist, Selbstvergewisserung und aktives Erkennen dessen, was wirklich ist. Beobachter und Beobachtetes bedingen einander, sind wahrscheinlich miteinander identisch. Alles beste Argumente für den Naturphilosophen Friedrich Wilhelm Joseph (von) Schelling. Foto: Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775-1854): Ein Vulkan

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