Es muß nicht immer Goethe sein. Als Hanns Eisler vor 50 Jahren sein Libretto zur Oper „Johann Faustus“ schrieb, nahm er als Vorlage nicht den geliebten Klassiker, sondern das Puppenspiel in die Hand. Er veröffentlichte das Textbuch, um es kurz darauf zu komponieren – doch wurde die Komposition durch eine widerliche, äußerst aggressive Diskussion verhindert. Die Stalinisten unter dem späteren Kulturminister Alexander Abusch warfen dem loyalen DDR-Künstler und aufrechten Marxisten nichts weniger als „reaktionären und zersetzenden Antipatriotismus“ vor. So blieb das Textbuch in der Schublade, um erst heute in einer musikalischen Fassung auf die Musiktheaterbühne gehievt zu werden. Wer am Staatstheater Kassel der Premiere von Friedrich Schenkers „Johann Faustus“ zuschaute, dürfte kaum begriffen haben, wieso Eislers Libretto seinerzeit scheiterte. Eisler hatte es gewagt, das Thema des deutschen Bauernkrieges mit der Faust-Figur zu verknüpfen. Sein Faustus ist ein gescheiterter Intellektueller, der auch deshalb vom Teufel geholt wird, weil er sich aus dem revolutionären Kampf heraushielt. Vielleicht hatten die Stalinisten unter Abusch begriffen, daß Eisler damit nicht nur die bürgerlichen Intellektuellen zwischen den Gelehrten des 16. Jahrhunderts und der NS-Zeit kritisierte. Mag sein, daß sie sich selbst angegriffen fühlen mußten, da sie gerade damit beschäftigt waren, die bürgerliche Freiheit abzuschaffen – absurderweise in permanentem Verweis auf die „Vorbildgestalt“, den „Helden“ Faust, den Goethe „unübertroffen“ gestaltet habe. In Kassel sieht man von der Problematik des Textbuchs und seiner Ablehnung durch die Ideologen nicht mehr allzu viel. Die Regisseurin Sabine Hartmannshenn stellt eine Szenerie auf die Bühne, die alle Epochen zwischen den Bauernkriegen und der Gegenwart durcheinanderwirbelt. Auf plumpe Aktualisierung wird meist ebenso verzichtet wie auf die Frage, wer denn „der Faust“ – immerhin der deutsche Nationalmythos – heute sein könnte. Statt dessen sehen wir auf der Drehbühne unter dem Mehreck, in das auch einmal die Bilder des Frankenhausener Bauernkriegspanoramas gestellt werden, die verschiedensten Symbolgestalten der deutschen Geschichte: von Münzer über Marx und einen SA-Soldaten zu Erich Honecker. Die Gegenwelt aber, das leuchtende wie sklavenhaltende Atlanta (das für Eisler auch die USA darstellte), ist ein blendend weißer, aseptischer Raum, in dem eine gleichsam faschistoide Gesellschaft ihr Spaßbedürfnis mit den „Schwarzspielen“ des Faustus befriedigen will – ist dieser „Faustus“ also heute ein Agent der Spaßgesellschaft? Fragt sich nur, was die Protest-Demo der IG-Metall im Beisein der historisierend ausgestatteten Fürstengesellschaft des 16. Jahrhunderts verloren hat. Weniger beeindruckend als der (hervorragend artikulierende) Faustus des stets präsenten Johannes M. Kösters, geschweige denn der unattraktiv glatte Mephisto des Kai Günther, der stets mit einem primitiv penetranten Hm-ta-ta-Rhythmus aufzutreten pflegt, weniger eindringlich also als die Hauptfiguren ist der gefolterte, doch ungebrochene Karl, den die Regie in einem eisernen Kreuz-Kasten reichlich sinnbildhaft über der Szene schweben läßt. Vielleicht muß ja eine „Faustus“-Inszenierung heute so mehrdeutig-unentschlossen sein. Schenkers Musik aber ist auf der Höhe der Zeit, indem sie alle Standards der Neuen Musik in Klang umsetzt. Sie überwältigt den Hörer mit einem nicht abreißenden Fluß, der zwar harmonisch und instrumentatorisch außerordentlich genau gearbeitet ist (für das Orchester unter dem sehr präzisen Arne Willimczik war’s pure Schwerarbeit), aber kaum einprägsame Momente enthält. Zweifellos gelang Eisler und seinem Nach-Kompositeur Schenker eine nicht uninteressante Faust-Variante. Unmittelbare Wirkung aber hat sie – inhaltlich wie musikalisch – kaum entfaltet. Konrad Pfinke Die nächsten Aufführungen finden statt am 11. und 19. Juni im Staatstheater Kassel, Friedrichsplatz 15. Karten -Tel. 05 61 / 10 94-222, E-Post: info@staatstheater-kassel.de Foto: Elsa (Petra Schmidt), Johann Faustus (Johannes M. Kösters)
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