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Verweichlicht

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Vor zwei Jahrzehnten war das belgische Projekt Front 242 eine erste Adresse als Zuflucht für die vielen Gelangweilten und Haßerfüllten, die den Rock’n’Roll nicht mehr aushielten und denen Punk, New Wave und wie das alles auch hieß nicht weit genug ging in der Absage an die von langhaarigen, bärtigen und dürren Männern geprägte Jungeleutemusik der Altvorderen. Dem hochnäsigen und selbstverliebten Geschrammel allein konnte man gegebenenfalls entgehen, es gab damals ja noch öffentliche Räume ohne akustische Berieselung. Aber im Alltag, in der Schule und in der Universität, da lungerten sie herum, die vielen, die den Habitus ihrer Stars nachspielten, die lässigen Selbstverwirklicher, die alle glauben machen wollten, daß die Zukunft ihnen gehöre. Diesen anmaßenden Besitzstandswahrern einer etablierten und satten Jugendkultur den Soundtrack ihres Lebens zu zerstören, mußte als eine lohnende Aufgabe erscheinen. Front 242 war dazu ein geeignetes Instrument. Front 242 war menschenverachtend, gefühllos, grausam. Front 242 klang nicht wie von beseelten Menschen, sondern wie von kalten Maschinen gemacht, und das lag gar nicht einmal so weit abseits der Wirklichkeit. Natürlich waren sie nicht die ersten, die es zum Programm erhoben, den in Kitsch und Glamour versandeten Gitarrensound durch Computerklänge zu übertönen – sie beteiligten sich aber nicht mehr am ironischen Spiel, mit dem die meisten frühen Elektronikbastler noch eine gemeinsame Basis mit der überkommenen Popkultur behaupteten. Schon in den Anfängen ihrer Karriere wurden sie hinsichtlich ihres Verstörungspotentials durch radikalere Projekte in den Schatten gestellt. Während Front 242 immer den Touch der Militärdisko mit Ringelpiez ohne Anfassen von Bewegungskünstlern kultivierte, legte beispielsweise Klinik Wert darauf, daß ja nichts mehr an Unterhaltung erinnere und der Zuhörer für Panikattacken weichgeklopft würde. Wenn Front 242 heute, nach zehn Jahren Pause, wieder eine Studioveröffentlichung vorlegt, sollte man diesen Nimbus von einst fairerweise vergessen. „Pulse“ (XIII BIS Records) hört sich nicht so an, als hätten sich hier Elektronikpäpste, all der Irrungen und der Eintönigkeit des von ihnen im Stich gelassenen Genres überdrüssig, kurz entschlossen, mal wieder eine Wegweisung für die nächsten Jahre aus dem Ärmel zu schütteln. Wo experimentiert wurde, sind peinliche Tracks entstanden. Es gibt zahlreiche merkwürdige Geräusche, die man auf vielfältige Weise – und eben auch so wie hier zu hören – verknüpfen kann. Man kann es aber auch sein lassen. Wo Front 242 Struktur hineinbringt, klingt es entweder so ähnlich wie früher oder wie ein dem Original gar nicht so weit entfernter Chill-Out-Remix von irgendwelchem Material von Depeche Mode. Das ist nicht wirklich aufregend, aber es hätte schlimmer kommen können. Wo Front 242 an der Grenze zum Easy Listening dahinplätschert, gibt :wumpscut: der Vorstellung Nahrung, daß Musik anstrengen sollte, um als anspruchsvoll gelten zu können und Aufmerksamkeit zu verdienen. Dabei gibt es zwar eine frische Doppel-CD, aber auf dieser eigentlich gar nicht so viel neues Material von dem Einmannprojekt zu hören. „Preferential Tribe“ (Beton Kopf Media) umfaßt in erster Linie bereits Veröffentlichtes, aber unterdessen längst Vergriffenes (nämlich „Music For A German Tribe“ und „Preferential Tribe“). Unter dem Bonus-Material fällt insbesondere „Achtung“ auf – erstens wegen seiner zeitgeschichtlichen Samples, zweitens mit seinem Pathos. Des Rätsels Lösung überrascht nicht: Es handelt sich um einen Remix für Der Blutharsch. Jene Aggressivität, die durch Tanz nicht zufriedenstellen ist, ist hier noch zu Hause.

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Marc Jongen, ESN Fraktion
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