Seit den Tagen von Chilon, einem der Sieben Weisen Griechenlands im sechsten Jahrhundert v. Chr., gilt bei Nachreden auf Verstorbene die Maxime, über Tote nichts, wenn nichts Gutes zu sagen. Leni Riefenstahl, soviel war schon zu ihren Lebzeiten klar, durfte mit diesem Anstand nicht rechnen. Was der am Montag vergangener Woche verstorbenen Filmemacherin dann tatsächlich von einigen mehr oder weniger Prominenten nachgerufen wurde, sprengte indes jedes Vorstellungsvermögen. Regelrecht haßtriefend ließ sich der Schriftsteller Klaus Theweleit vernehmen. „Verdient keinen Nachruf. (…) Soll nicht in Frieden ruhen“, sagte er der Süddeutschen Zeitung. Und der Bochumer Historiker Hans Mommsen erklärte mit Blick auf Riefenstahls Filmschaffen im Dritten Reich: „Es war typisch für dieses Regime, daß es Leute so groß machte, die nur ein so kleines politisches Gehirn besaßen.“ In nahezu allen Nachrufen spiegelte sich noch einmal jenes Ritual, das Fürsprecher und Gegner Leni Riefenstahls ein halbes Jahrhundert lang aufführten. Fragen nach ihrer Verstrickung in den Nationalsozialismus, nach Schuld und Sühne wurden seitenfüllend hin und her gewendet. Doch weil im Grunde alles gesagt war, blieb es zumeist bei den sattsam bekannten Stereotypen: „Hitlers Amazonenkönigin“ (Tagesspiegel), „Die Unberührbare“ (Berliner Zeitung), „Des Teufels geniale Diva“ (Bild), „Ikone des Jahrhunderts“ (Welt), „Kriegerin“ (Süddeutsche), „Traumtänzerin“ (Frankfurter Allgemeine). Der Bogen der Charakterisierungen reichte von „Pionierin“, „Visionärin“, „Ästhetin“, „Legende“ bis zu „Goebbelspatronin“ und „Hitler-Freundin“ Für den Spiegel war sie „ein Ausnahmetalent – und eine Meisterin der verschleiernden Selbstinszenierung“. Die taz nannte sie eine „bizarre Medienikone, die aus dem Abwehren, Umdeuten und Umnutzen ihrer Regiekarriere im Dritten Reich einen funktionierenden Markennamen entwickelte“. Bis zuletzt sei ihre „Transformation vom Nazi-Urgestein zum schlanken Senior-Model der westlichen Global-Kultur“ provozierend geblieben. Die Süddeutsche Zeitung bezeichnete sie als „des Teufels Regisseurin“, die sich die Aufmerksamkeiten ihres „glühenden Verehrers“ Adolf Hitler geschmeichelt gefallen ließ. Nach dem Krieg habe sie sich als „große Getäuschte“ verstanden, die nicht wahrhaben wollte, „wie gern sie sich hatte täuschen lassen“. Für die Frankfurter Rundschau war sie die „verführte und gleichzeitig verführende Avantgardistin“. Der Rheinische Merkur bilanzierte: „Man wird sich an sie erinnern als eine gefährlich gute Regisseurin und faszinierende Fotografin, als einen Star, der sich korrumpieren ließ von der Macht und von einem unbedingten Willen zur triumphalen Größe.“ Und die Hamburger Zeit meinte, Riefenstahl werde „als Monument des Starrsinns und der Uneinsichtigkeit im Gedächtnis der Menschheit bleiben“. Der Filmhistoriker und ehemalige Präsident des Goethe-Instituts Hilmar Hoffmann erklärte: „Jetzt, wo sie tot ist, wissen wir zwischen dem ästhetischen Genie Leni Riefenstahl und ihren politischen Verstrickungen zu unterscheiden.“ Für Riefenstahl habe immer die Ästhetik im Vordergrund gestanden und „leider auch das Beschönigende“, betonte Hoffmann. Der Schönheitsbegriff sei für sie wichtiger gewesen als die politischen Folgen dieser Idealisierung. „Ihr tragischer Irrtum war, die Welt durch ästhetisch inszenierte Schönheit verändern zu wollen“, so Hoffmann. Der Präsident der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO), Steffen Kuchenreuther, würdigte Leni Riefenstahl als faszinierende Persönlichkeit. Bei aller Umstrittenheit habe sie Bleibendes für den deutschen Film geleistet. „Es gibt keinen Dokumentarfilm, der nicht von Riefenstahl beeinflußt ist“, sagte auch der Leiter der Abteilung Sammlung des Berliner Filmmuseums, Werner Sudendorf. Der Leiter der Museen der Stadt Nürnberg, Franz Sonnenberger, würdigte Riefenstahls außergewöhnliche Begabung. Sie sei aber unfähig gewesen, aus der eigenen Vergangenheit zu lernen. „Ihr größter Makel war ihre mangelnde Einsicht.“ Für den Berliner Theatermacher Christoph Schlingensief war Leni Riefenstahl Opportunistin und Künstlerin, eine „Kollision der Systeme“. In der Frankfurter Rundschau sagte er: „Und wenn sich die Rauchschwaden persönlicher und kollektiver Verdrängung verzogen haben, dann kommt ein großes Stück Deutschland zum Vorschein.“ Zu Wort meldeten sich auch einige Politiker. Der bayerische Kultusminister Hans Zehetmair (CSU) würdigte Riefenstahls ästhetische Vorstellungen als „bahnbrechend“. In München sagte er: „Sie war eine der großen Bilderfinder des 20. Jahrhunderts.“ Für Peter Gauweiler, stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Kultur und Medien im Bundestag, war Leni Riefenstahl eine „Zauberin im Reich der bewegten Bilder“. Ihre politische Vergangenheit sei angreifbar gewesen, aber das sei die von Bertolt Brecht ebenfalls, erklärte der CSU-Politiker. Dagegen verstieg sich Kulturstaatsministerin Christina Weiss (parteilos) zu der Behauptung, Leni Riefenstahls künstlerisches Schaffen sei „zeit ihres Lebens von ihrer Nähe zum Nationalsozialismus gezeichnet gewesen“. Sie habe auch nach dem Krieg nie problematisiert, wie leicht sich ihre Werke in den Dienst der Nazi-Propaganda stellen ließen. Trotzdem gehörten ihre filmischen Mittel inzwischen zum „ästhetischen Kanon“. Kein einziger Nachruf erwähnte übrigens Leni Riefenstahls zweimalige Verhaftung 1945/46 erst in der amerikanischen, dann in der französischen Besatzungszone, ihre Unterbringung in der geschlossenen Abteilung der Psychiatrischen Klinik Freiburg sowie die drei Spruchkammer-Verhandlungen der Alliierten, die sich bis April 1952 hinzogen. In den ersten beiden Verfahren zur „Entnazifizierung“ wurde sie als „nicht betroffen“ eingestuft, im dritten als „Mitläuferin“. Verfemt blieb sie hierzulande trotzdem, für einige Unversöhnliche sogar über ihren Tod hinaus.