Spucken ist ziemlich aus der Mode gekommen, besonders in der Öffentlichkeit. Längst sind in China die berühmten Spucknäpfe aus der Großen Halle des Volkes in Peking entfernt, in die noch Mao Tse-tung und Richard Nixon feierlich spuckten, um ihre politischen Stellungnahmen zu bekräftigen. Nur ein einziger, freilich hochangesehener Berufszweig spuckt noch immer: die Fußballstars, die Elber, Ballack, Effenberg et tutti quanti. Allwöchentlich bei den Fernsehübertragungen der Bundesligaspiele kann man es (muß man es) sehen. Da wird gespuckt, daß buchstäblich die Fetzen fliegen. Und die Kamera ist immer dabei, zoomt heran, zeigt das Spucken im Gegenlicht, macht es zu einem Fall für die Öffentlichkeit, zu einem öffentlichen Akt. Ein Fernschuß haarscharf am Tor vorbei – spuck! Eine Flanke direkt vor den Fuß des Gegners – spuck! Ein Rempler, ein Ausrutscher, eine als ungerecht empfundene Ermahnung des Schiedsrichters – spuck, spuck, spuck! Es sind die Negativ-Erfahrungen, die von den Stars bespuckt werden, ihr Spucken ist Abreagieren von Zorn, Enttäuschung, unwillkommener innerer Anspannung. Es sammelt sich da offenbar schlagartig Galle im Mund, die man nicht hinunterschlucken will, wie es der etablierte Anstand eigentlich gebietet. Was auffällt, ist, daß gerade jene Spieler am meisten spucken, die von den Medien als besonders gut erzogen geschildert werden, die gut zu formulieren und sich höchst korrekt zu benehmen wissen, wenn sie nach dem Spiel interviewt werden. Woraus erhellt: Nur das Spiel selbst gilt als benimmfreier Raum, als Wildbahn, auf der sich die Triebe austoben dürfen. Und je strenger die Regeln, der Schiedsrichter, um so weniger wird das Spielfeld als Anstandsfeld innerlich akzeptiert. Man spuckt darauf, auch wenn Kameras zusehen. Das läßt tief schließen. Der Mensch ist und bleibt eben ein Tier, auch und gerade als Sportsmann.
- Deutschland