Emil Nikolaus von Reznicek, 1860 in Wien geboren und zu Lebzeiten mit Richard Strauß und Hans Pfitzner auf eine Stufe gestellt, gilt als einer der wandlungsfähigsten Komponisten. Reznicek wuchs in einer aristokratischen Familie auf – seine Mutter stammte aus einem rumänische Fürstengeschlecht. Früh wurde seine musikalische Begabung erkannt – war doch der Großvater k.u.k. Militärkapellmeister -, jedoch nicht gefördert. Heimlich, ohne Klavier, komponierte der Junge erste Lieder und Sonaten. In Graz begann er standesgemäß mit dem Jurastudium, nahm aber nebenbei Musikunterricht. Nach dem Staatsexamen wechselte er ans Leipziger Konservatorium, um ernsthaft sein Musikstudium zu vertiefen. Bald kam er als Militärkapellmeister nach Prag, dort wurde eine ersten Oper recht erfolgreich aufgeführt. Vier Jahre lang lebte er in Berlin und stand dort in engem Kontakt mit Strauss und Pfitzner. Nach einem kurzen Zwischenspiel in Warschau kehrte er 1909 endgültig nach Berlin zurück, wo er 1945 verstarb. Neben Opern schieb Reznicek Sinfonien, Kammermusik und Lieder. Trotz Richard Strauss‘ Befürwortung wurde 1917 die Oper „Ritter Blaubart“ vom Generalintendant der königlichen Oper, Graf von Hülsen, abgelehnt. Für ihn war das Textbuch nach einem Schauspiel von Herbert Eulenburg nicht akzeptabel. Erst unter dem Intendanten Max von Schillings, der sich für Komponisten der Gegenwart einsetzte, konnte 1920 an der Linden-Oper „Ritter Blaubart“ aufgeführt werden, nachdem das mutigere Theater Darmstadt einige Monate zuvor mit gutem Beispiel vorangegangen war. In Berlin wurde der blaubärtige Ritter begeistert aufgenommen und in kurzer Zeit 27mal aufgeführt. Der Musikwissenschaftler R. Specht schrieb darüber:“… der Gipfel seines Schaffens ist ‚Blaubart‘, in den der Tondichter das Erlesenste seiner gereiften Kunst, alles Hohe und Nachtdunkle und alles tiefgründig Unheimliche gedrängt hat. Immer wieder blüht innige deutsche Märchenstimmung auf.“ Reznicek ist oft fälschlich als „Moderner“ bezeichnet worden, doch verließ er nie die klassisch-romantische Tradition, was sich vor allem in seinen Orchesterzwischenspielen zeigt. Die neue Musik des 20. Jahrhunderts lag ihm fern. Die CD-Firma cpo, immer auf der Suche nach vergessenen Raritäten, hat jetzt als Ersteinspielung „Ritter Blaubart“ (999-899-2) herausgebracht. Die Legende des Betrogenen, der an keine Treue mehr glaubt und deshalb alle seine Frauen umbringt, hat schon unzählige Dichter und Musiker gereizt. Michail Jurowiski am Pult des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin läßt die gewaltige Partitur voll ausspielen und versetzt den Hörer in einen wahren Klangrausch, der gelegentlich Wagnersche Dimensionen annimmt. Man vergleiche Blaubarts Feuertod mit Wotans Feuerzauber in „Walküre“. David PittmanJennings ist ein zweifelndverzweifelter Blaubart, der mit ausdrucksstarkem Bariton ein beeindruckendes Porträt des pathologischen Frauenmörders gibt. Judith, Blaubarts sechste Frau, ist mit der höhensicheren Celina Lindsley gut besetzt. Doch Andion Fernandez, als jüngere Schwester Agnes und Ehefrau Nummer sieben übertrifft sie noch. Die junge Philippinin entzückt mit einem mädchenhaft lyrischen Mezzo von großer Schönheit. Robert Wörle macht viel aus der kleineren Rolle des Bruders der Mädchen. Großartig der Baß des Armeniers Arutjun Kotchinlan als unglücklicher Vater der beiden Schwestern. Einen unheimlichen Eindruck hinterläßt der Tenor Victor Sawaley als blinder Diener des Ritters. Ein großes Klangerlebnis, das wegen seines zeitgeschichtlichen Seltenheitswertes unbedingt Interesse verdient.
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