Zwei Bildbände über Ostpreußen sind erschienen, und wer historisches Interesse oder romantische Freude an dieser einst östlichsten deutschen Provinz hat – und sich das leisten kann -, sollte sich beide schenken lassen und mit Muse nebeneinanderliegend betrachten: Er bekommt so einen tiefen Eindruck von der deutschen Vergangenheit und Gegenwart, von der „Schönheit und Trauer einer Landschaft“ – wie Karl Schlögel treffend schreibt. Der Band „Königsberg und sein Umland in Ansichten und Plänen aus der Staatsbibliothek zu Berlin“ erschien, weil anläßlich des 300jährigen Jubiläums der preußischen Königskrönung 2001 auf Königsberg als dem Ort der feierlichen Krönung besonders hingewiesen werden sollte. Die Staatsbibliothek zu Berlin hat dazu ihren sehr reichhaltigen Fundus von Ostpreußen geöffnet und zeigt in diesem prächtigen Bildband Karten, Pläne, Veduten, alte Stadtansichten, Fotographien und Ansichtskarten von Königsberg und den Städten in der Umgebung. Aus der Zusammenschau entsteht eine Einheit, die das Wesen des ostpreußischen Landes erahnen läßt, seine siedlerische Gestalt, seine Kultur, seine Seele und eigentümliche Schwermut, und man erkennt sehr eindrucksvoll, daß vor dem Krieg zu Recht vom „schönen Ostpreußen“ gesprochen wurde. Im Schatten der Burgen entstanden oft die Städte, auch die Kirchen wurden häufig als Wehrkirchen gebaut. An den großen Landstraßen, Flußübergängen und -zusammenläufen und den vielen fischreichen Seen wurden die Siedlungen mit ihren anmutigen Uferparteien angelegt. In der Mitte war das Herz des Stadtlebens, der Markt: entweder als großer Platz oder als breiter Streifen, begleitet von Parallel- und Querstraßen. Das Rathaus wurde oft frei und dominant auf den weiten Platz gestellt und war so – ebenso wie die massige Pfarrkirche – Ausdruck eines selbstbewußten Bürgertums. Das Kartenmaterial zeigt, daß im alten Ordensland die Stadtgründungen planvoll vorgenommen wurden: Schachbrett- und Gitterform herrschen vor. Rationale Nüchternheit bestimmt auch die Baustruktur und doch sind diese Siedlungen gerade wegen ihrer Einfachheit von hohem ästhetischen Wert. Handel, Wandel, ein gediegenes Handwerkertum, das altpreußische bürgerliche Beamtentum und vor allem die Landwirtschaft mit ihrer Viehzucht haben den ostpreußischen Kleinstädten ihr Gesicht gegeben. Die großen Marktplätze entstanden, weil der Auftrieb der Viehherden zum Verkauf viel Platz erforderte und damit die vielen Bauernwagen darauf Platz fanden. Auch brauchte man den großen Markt, weil die Pferde meist im Trab vorgeführt wurden. Durch Fleiß, Bescheidenheit und ein enormes Pflichtbewußtsein sind diese Städte im Osten Deutschlands aufgebaut worden und zu einer harmonischen Einheit zusammengewachsen. Zahlreiche Abbildungen zeigen die martialischen Burganlagen des machtvollen Deutschen Ritterordens. Festgefügte kubische Massen bestimmen hier wie beim Kirchenbau den Baukörper. Der Band gibt auch eine Vorstellung von der Vielgestaltigkeit und dem Reichtum der ostpreußischen Herrensitze. In keiner anderen Landschaft hat der Grundbesitz wohl so intensiven Anteil am Aufbau und an der Kulturarbeit gehabt. Ostpreußen hat sich mit seinen Gutshäusern eine eigene Geschichte geschrieben, die sich nicht nur in der Architektur, sondern auch in den umgebenden Parkanlagen und in den umfangreichen Sammlungen bekundet, die hier angelegt wurden. Dem Überschwang des südlichen Barock ist man in dieser herben Landschaft kaum erlegen; die meisten Herrenhäuser sind im klassizistischen Baustil Schinkels und Gillys entstanden. Wer diesen Bildband mit seinen romantischen Stadtansichten und Veduten durchblättert, mag an die Worte von Hans-Joachim Schoeps erinnert werden: „Die preußische Idee hat nichts Rauschhaftes in sich, denn über dem Preußentum lacht nicht die Sonne des Südens, sondern es ist stets in die rauhe Luft der Pflichterfüllung eingetaucht gewesen. Über den preußischen Menschen steht der dauernde Zwang zur Leistung als harte sittliche Bewährungsprobe. Staatsdienst in Preußen war immer auch ein Stück Selbstverleugnung, aber das gehört zur ‚Idee‘ und wurde als sittliche Leistung angesehen. Derlei ist heute vollkommen unzeitgemäß – aber gefordert.“ Der Band „Nördliches Ostpreußen, Gegenwart und Erinnerung einer Kulturlandschaft“ von Alexander von Normann zeigt mit qualitativ hochwertigen Fotos, was heute noch aus jener preußisch-deutschen Zeit übriggeblieben ist: von den einst behaglichen und genügsamen Landstädtchen, den gotischen Backsteinkirchen, den wuchtigen Ordensburgen, von Kreuzgängen, Mauernischen, Gewölben, Schloßfassaden. Vieles von dem, was für dieses Buch noch in den neunziger Jahren photographisch aufgenommen wurde, existiert heute schon nicht mehr. Es ist abgetragen, eingestürzt, verfallen. Anderes lugt wie verwunschen zwischen Gesträuch und Bäumen hervor. Oder es steht, wie man meinen könnte, im hellen Sonnenlicht als Mahnmal gegen Krieg, Völkerhaß und Geschichtsvergessenheit. Unzählige Dörfer aus der Zeit vor 1945 konnten indes für von Normanns Buch überhaupt keine Spuren mehr bieten, da sie nach Flucht und Vertreibung nicht wieder besiedelt wurden, Straßen und Häuser als Steinbruch dienten und die Wildnis nach Jahrhunderten wieder Besitz von diesen Orten genommen hat. Dem Betrachter des Buches ist es aufgegeben, sehend zu werden für das noch Bestehende in Ostpreußen, das stets auf die Vergangenheit verweist. Die beim Verfasser schon immer vorhandenen Berührungspunkte zu Ostpreußen sind durch das Elternhaus gegeben. Dem eigenen Bekunden nach hat er von daher einen unauslöschlichen Eindruck empfangen: von der Weite und Herbheit des Landes, seiner Geschichte, seiner Kultur und seiner Schwermut: „Selbst Angehöriger der Nachkriegsgeneration, machte ich mich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs auf, die Heimat meiner Eltern kennenzulernen und zu erkunden – vielleicht auch, um sie zumindest ideell wiederzugewinnen.“ Der Rezensent möchte enden mit den Worten, die er als abschließende Mahnung in einer Einführung zu einem Ostpreußenbuch von 1928 gefunden hat: „Viele, ja sogar die meisten und vielleicht wichtigsten Denkmäler sind verloren gegangen oder ihre Spuren verwischt. Aber das, was blieb, spricht immer noch eine mächtige Sprache für jeden, der sich bemüht, sie zu verstehen.“ Foto: Die Ruine des Schlosses der Familie v. Boddien in Leißienen: Viele Zeugnisse sind abgetragen, eingestürzt und verfallen Alexander von Normann: Nördliches Ostpreußen. Gegenwart und Erinnerung einer Kulturlandschaft. C.H.Beck, München 2002, 175 Seiten, 193 teils farbige Abbildungen, 39,90 Euro Antonius Jammers (Hrsg:): Königsberg und sein Umland in Ansichten und Plänen aus der Staatsbibliothek zu Berlin. Henschel Verlag, Berlin 2002, 248 Seiten, 175 Abbildungen, 29,90 Euro
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