Kein deutscher Ministerpräsident aus den Reihen der CDU hat soviel Zustimmung und Verehrung und am Ende seiner politischen Laufbahn soviel Verleumdung und Häme erfahren wie er, der inmitten seiner großen Familie, seines Freundeskreises und zahlreicher Wegbegleiter aus Politik und Wissenschaft am 15. September in Freiburg im Breisgau seinen 90. Geburtstag begeht: Hans Filbinger. Die Überzeugung, daß man mit Beharrlichkeit, klarer Kontur und einer tiefen Verwurzelung in Glauben und Familie bei guter Gesundheit auf Dauer die politischen Gegner doch zum Verstummen bringen kann, hat sich in seinem Falle bestätigt. Dabei ist ihm seine politische Karriere nicht in die Wiege gelegt worden. Als Sohn eines Bankangestellten in Mannheim geboren, schuf er sich in seiner Jugend, und hierbei maßgeblich vom katholischen Jugendbund Neudeutschland geformt, eine umfassende Bildung, studierte Jura in Freiburg und München, arbeitete in den Semesterferien in Frankreich und lieferte nach Kriegsbeginn eine beachtenswerte Dissertation über die „Schranken der Mehrheitsherrschaft im Aktien- und Konzernrecht“ ab, die 1942 bei Duncker & Humblot gedruckt wurde. Zur Kriegsmarine 1940 einberufen, meldete er sich auf dem Höhepunkt des U-Bootkrieges im Februar 1943 freiwillig zur Waffe, wurde wegen seiner juristischen Kenntnisse aber zur Militärjustiz (mit eigenem Strafrecht von 1873) befohlen und hatte gegen Ende des Krieges an Urteilen gegen fahnenflüchtige Soldaten mitzuwirken, was ihm Jahrzehnte später von historisch ignoranten Gegnern vorgeworfen werden sollte. Tatsache aber ist, daß dank seiner Tätigkeit während des Krieges mehrere schon zum Tode verurteilte Soldaten durch Wiederaufnahme des Verfahrens ihr Leben behalten haben. Daß Hans Filbinger von seiner persönlichen Kriegsgeschichte 33 Jahre später heimgesucht werden sollte, lag nicht an seinem damaligen Verhalten, sondern – wir wissen es heute nach der Öffnung der Stasi-Akten der DDR besser – an seinem erfolgreichen Wirken als vierter Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg von 1966 bis 1978. Die Voraussetzungen dazu hatte er sich nach Ende des Krieges an der Universität Freiburg bei seinem Doktorvater Walter Eucken, als Stadtrat in Freiburg, als Staatsrat unter Ministerpräsident Gebhard Müller in Stuttgart und schließlich als Innenminister unter Ministerpräsident Kurt Georg Kiesinger bis 1966 erarbeitet. Seine innenpolitischen Erfolge und sein Ansehen über Deutschland hinaus machten ihn zum „ertragreichsten Ministerpräsidenten“ Baden-Württembergs, wie der Liberale und langjährige Rektor der Universität Tübingen Theodor Eschenburg ihn einmal kennzeichnete. Nachdem es Filbinger gelungen war, die CDU in Baden-Württemberg bei den Landtagswahlen 1972 und 1976 erst auf 52 und dann auf fast 57 Prozent zu bringen, wobei die Verwendung der Parole „Freiheit oder Sozialismus“ eine wichtige Rolle gespielt hatte, nahm sich nicht nur die vereinigte Linke in Westdeutschland, sondern erst recht der Staatssicherheitsdienst der DDR vor, ihn mit allen Mitteln als Symbol der politisch erfolgreichen Christdemokratie und des Konservatismus zu stürzen. Denn die Stasi sah in ihm eine politische Gefahr für die Anerkennungsziele der DDR. Darüber hinaus ging es ihr jedoch um die Zersetzung und Diskreditierung des politischen Systems der Bundesrepublik und ihrer konservativen, christlichen Repräsentanten. Filbingers unübersehbare Erfolge als „Innenarchitekt“ des Landes Baden-Württemberg in der Konsolidierung des Landes, mit der Kreisreform, mit der wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Förderung des Landes und mit der Nachbarschaftspolitik mit Frankreich – alle diese Verdienste zählten plötzlich nicht, als eine von der Stasi geheimdienstlich organisierte konzertierte Rufmordkampagne führender Leitmedien gegen ihn wegen seiner Tätigkeit als „NS-Marinerichter“ losgetreten wurde. Entlarvend heißt es – 15 Jahre später – im Protokoll des ehemaligen Stasi-Offiziers Günter Bohnsack vom 30. April 1993: „Es gab kaum eine Zeitschrift, die nicht auf unsere Fälschungen von angeblichen Originalakten über drei Todesurteile hereingefallen ist. Filbinger war das besondere Angriffsziel.“ Die Infamie des politischen Rufmords wurde nie besser in Worte gefaßt als von Dietrich Ortlieb, Mitglied der SPD seit 1931, der seine Empörung wie folgt formulierte: „Die Gegner Filbingers agierten als konformistische Marionetten, wie es das Gesetz von Opportunität und zielkonformer Ideologie ihnen befahl.“ Die CDU hielt dem medialen Dauerbeschuß nicht lange stand, so daß Filbinger schließlich am 7. August 1978 von seinem Amt zurücktrat. Wenn seine Gegner geglaubt hatten, ihn aus dem Felde geschlagen zu haben, so hatten sie sich getäuscht. Er war zwar nicht mehr Ministerpräsident, aber er gründete im Herbst 1979, zusammen mit den Professoren Günter Rohrmoser und Helmut Metzner, Brigadegeneral Heinz Karst und dem Freudenstädter Arzt Erich Baumann im Residenzstädtchen Weikersheim im Taubertal das Studienzentrum Weikersheim. Hier begann er mit 66 Jahren, in einem Alter, in dem sich andere Menschen zur Ruhe setzen, eine neue Karriere. Er schuf eine Denkfabrik, die auf christlicher und patriotischer Grundlage die geistigen Voraussetzungen für eine grundlegende Erneuerung in Staat und Wirtschaft, Politik und Publizistik, für eine „geistige Wende“ erarbeitete, die nach 1982 und 1989 leider ausblieb. Zahlreiche Kongresse, Fachtagungen, Studienwochen und bis heute 33 Dokumentationen dieser Tagungen sowie eine eigene Zeitschrift begründeten bald den Ruf des Studienzentrums als eines der profiliertesten politischen Denkzentren in Deutschland. Hans Filbinger bot aber auch auf anderen Gebieten seinen Gegners Paroli. So verfaßte er 1987 das Buch „Die geschmähte Generation“, in dem er nicht nur sein eigenes Schicksal in Krieg und Frieden, sondern das seiner nach 1945 maßlos verleumdeten Generation ins richtige Licht stellte. Deshalb wendete er sich gegen den politischen Mißbrauch der „Vergangenheitsbewältigung“. Filbinger beriet zudem als elder statesman nach seinem Rücktritt die CDU immer wieder in Fragen der Politik, wurde dafür wiederholt ausgezeichnet. Jetzt, zu seinem 90. Geburtstag, ehrt ihn sein zweiter Nachfolger im Amt, Erwin Teufel, mit einem großen Empfang. Auch zwei Festschriften zum 70. und 80. Geburtstag „Hans Filbinger – ein Mann in unserer Zeit“ und „Kulturstaat Deutschland“, die der vor drei Jahren verstorbene Lothar Bossle herausgab, haben seinen Ruf wiederhergestellt. Zu Beginn des 10. Lebensjahrzehnts folgt nun die dritte Festschrift „Hans Filbinger – Aus neun Jahrzehnten“. Um den seit 1950 verheirateten Familienvater mit fünf Kindern und zwölf Enkelkindern hat es niemals irgendwelche Skandale im persönlichen oder finanziellen Bereich gegeben. Filbingers Lebenswerk tritt uns in seiner geistigen Geschlossenheit heute klar vor Augen. Es ist ähnlich wie beim Blick aus größerer Entfernung auf seine geliebten schweizerischen Berge, in denen er in Sils Maria seit Jahrzehnten ein Refugium für die Erfrischung von Geist und Körper gefunden hat. Denn seine in neun Jahrzehnten gewonnenen Erfahrungen und Werte zeigen heute mehr denn je, daß eine in Geist und Ethik begründete christliche Politik im tiefsten Sinne sozial und freiheitlich sein kann. Hans Filbinger: Eine in Geist und Ethik begründete christliche Politik kann zutiefst sozial und freiheitlich sein Dr. Albrecht Jebens war von 1982 bis 1997 als Geschäftsführer des Studienzentrum Weikersheim zugleich letzter Persönlicher Referent von Hans Filbinger.