Neulich beobachteten meine Kinder einen Jungen auf dem Spielplatz, der größer und älter war als sie, mit dem sie eigentlich gerne gespielt hätten. Sie rannten zu ihm, aber schreckten vor einem schrillen Schrei und geschmissenem Sand zurück. Verunsichert liefen sie zu mir: „Warum ist er denn so groß und benimmt sich wie ein Baby?“, fragten sie. In dem Moment wurde mir bewußt, daß meine Kinder womöglich noch nie ein geistig behindertes Kind gesehen hatten.
Der Grund ist offensichtlich: Es gibt immer weniger behinderte Menschen in Deutschland. Nicht etwa, weil die deutschen Gene heute irgendwie „besser“ wären, oder weil weniger Föten im Mutterleib, aus welchen Gründen auch immer, beschädigt werden. Im Gegenteil: Es müßten statistisch gesehen sogar mehr Kinder mit Behinderungen geboren werden. Schließlich bekommen Frauen immer später ihre Kinder und mit dem Alter steigt das Risiko, ein behindertes Kind zu bekommen.
„Auf der sicheren Seite sein“
Nein, Menschen mit Behinderung werden lediglich deshalb nicht geboren, weil sie schon vor ihrer Geburt durch eine immer gründlichere pränatale Diagnostik ausselektiert werden. Heute wird kaum noch zwischen einer normal verlaufenden und einer wirklichen Risikoschwangerschaft unterschieden. Ärzte schicken vorsichtshalber einfach alle ihre Patienten zu einem Feinultraschall, „um auf der sicheren Seite zu sein“, wie mir meine Frauenärztin vor Jahren sagte. Ich fragte mich, auf der sicheren Seite von was?
Der Feindiagnostik, die von den Krankenkassen mittlerweile übernommen wird, entgeht nichts: Dort wird sogar die Größe der Herzklappen des ungeborenen Kindes vermessen. Finden die Ärzte bei der Untersuchung etwas „Abnormales“, wird den Eltern schnell geraten, ein solches Kind nicht in die Welt zu setzen. Die meisten entscheiden sich dann für eine Abtreibung. Schließlich haben sie keine Ahnung, wie sie ein solches Schicksal, das Leben mit einem behinderten Kind, meistern können.
Das wußte auch Conny Wenk nicht, als sie vor über zehn Jahren mit der Krankheit ihrer gerade geborenen Tochter konfrontiert wurde: Bei Juliana wurde Trisomie 21 diagnostiziert. Statt Unterstützung bekam Conny von ihren Freunden und Bekannten lediglich Mitleid. „Was ich damals dringend gebraucht hätte: Bilder und Geschichten von Kindern mit Downsyndrom und ihren Familien, die mir helfen, eine solche Diagnose zu bewältigen. Bilder die Mut machen.“
Keine Opfer des Schicksals
Um sich selbst Mut zu machen und anderen zu zeigen, daß es mit einer solchen Diagnose doch geht, hat Conny Wenk angefangen, ihre Tochter und andere Kinder mit Downsyndrom zu fotografieren. Daraus wurden über die Jahre Bücher und Kalender mit ermutigenden Geschichten und Bildern, die zeigen, daß ein Leben mit „Sonnenscheinkindern“ auch eine große Bereicherung sein kann: Ein Aspekt, der heute in der Öffentlichkeit völlig ignoriert wird.
Nun ist eine große Bildserie von Conny Wenk mit kurzen Geschichten in der aktuellen Ausgabe der Mutterzeitschrift Brigitte MOM zu sehen. Auf der Titelseite steht der Satz: „Ich habe nicht abgetrieben: Warum diese Kinder leben“. Im Heft berichten Mütter, wie dankbar sie sind, daß sie nach der Diagnose auf die richtigen Menschen gehört haben, die ihnen Mut machten, das Kind auszutragen. Solche Menschen wollen diese Mütter nun für andere sein. Denn sie sehen sich nicht als Opfer eines Schicksals, das mit moderner Medizin hätte vermieden werden können, sondern als Gewinner, die auf einer „ganz besonderen Weise gesegnet“ sind.