Die Konservativen und ihr Witz – so sie darüber verfügen mögen –, die Rechte und der Humor, andererseits die hohe Empfindsamkeit von Leserschaft und Blog-Kommentatoren gäben kulturwissenschaftlich sicher dissertationswürdige Themen her. Gern achten wir auf Takt und Stil sowie auf eine Art von Anständigkeit, die schnell bereit ist, Unanständiges zu vermuten, wenn’s mal polemisch oder streitbar wird.
Aber ein starker Standpunkt läßt Diskurse und Debatten nicht nur zu, sondern bedarf ihrer ebenso wie der Öffnungen nach da und dort. Je weiter sich ein Medium auf eine enge Klientel einschwört, um so mehr schränkt es sich ein. Das bemerke ich freilich nur als Autor, nicht als Betriebswirtschaftler, schon gar nicht als Parteihuber oder Fraktionalist.
Insbesondere das Feuilleton verlangt die innere Freiheit, so geistreich wie provokant zu sein, sonst liefert es Bekenntnisse und Beschwörungen, regt aber nichts an. Inwiefern sehr unkonventionelle, frische und freche Texte innerhalb der konservativen und rechten Publizistik möglich wären, interessiert mich schon lange. Angezeigt wären sie. Bei allem, was die Rechte politisch, ökonomisch und geschichtlich von Gewicht zu sagen hat: Das Feuilleton gehört wohl der Linken. Oder genauer: Es gehörte ihr, denn mittlerweile ist die gealterte intellektuelle West-Linke machtbeteiligt und sitzt saturiert so gut plaziert, daß sie nichts mehr aufregt. Vielleicht wie der Literatur selbst, in der die Zeit der großen Namen und der beeindruckenden Debüts vorerst vorbei scheint. Fungiert die Literatur überhaupt noch als Podium für den gedanklichen Stoffwechsel der Nation oder bleibt sie darauf beschränkt, ein erschöpfter Markt von Gefälligkeiten zu sein?
Das welke Feuilleton neu besetzen
Literarisch übrig geblieben ist einerseits die Lust auf nette Wendungen und gewitzte Unterhaltung, über die das Publikum angemessen und gebildet schmunzelt, andererseits – diametral dem Dauerlächeln entgegen – neuerdings eine Vorliebe für das Protokollieren von Krankheit und Tod. Worin man vielleicht den Ausdruck einer zunehmend gerontologischen Gesellschaft erkennen mag, mindestens aber die Zeichen gedanklicher und ästhetischer Erschöpfung im Land.
Kurz: Das Feuilleton ist ein welkes Gelände, das neu zu besetzen wäre. So wie noch nie wartet das Publikum auf Anregungen, auf Erfrischung, auf Provokation! Für jedes Dezennium der deutschen Nachkriegsgeschichte – ob Bundesrepublik oder DDR – ließen sich zu kulturgeschichtlichen Begriffen verdichtbare Namen, Titel und Debatten ausmachen. Für das vorige und für das laufende Jahrzehnt fallen mir jedoch kaum welche ein! Lyrikverlage, höre ich, verkaufen teilweise einstellige Zahlen der von ihnen produzierten Bände. Das Desaster mag an veränderten Lesegewohnheiten liegen. Viel eher jedoch an der Lyrik selbst oder an den Texten, die sich dafür halten.
Rezensionen zur letzten Tatortfolge oder Bewertungen des Gewäschs der Show-Prominenz bei „Wetten, daß …“ avancierten mittlerweile zu Großereignissen der Kulturseiten, weil man sich offenbar der Spaßgesellschaft andienen möchte. Nur liest die Spaßgesellschaft kaum! Und es steht ihr der Sinn nicht nach kontroversen Debatten.
Sinnkrise ringsum beinahe physisch zu spüren
Unverfinsterten Blickes meine ich zu bemerken, daß sich in dem gutgelaunten Singsang um Lifestyle, Trivialpsychologie, Landlust, Kochkurse, Fit- und Wellneß eine expressionistische Hintergrundstrahlung aufbaut. In durchaus ähnlicher Ambivalenz wie vor hundert Jahren: Bei aller Faszination gegenüber technischen Möglichkeiten – damals der klassischen Industrien und Naturwissenschaften, heute des Informationszeitalters – spürt man die Sinnkrise ringsum beinahe physisch. Damit korrespondiert in all dem leeren Geplapper der Chats und Twittereien die unklare Hoffnung, von irgendwo käme neues Licht. Man weiß nur nicht so genau, woher.
Das Bedürfnis nach Authentizität und Identität wächst – so sehr, daß selbst diese Worte gerade trivialisieren. Wenn schon laufend die Rede davon ist, wird sich irgendwann das Bedürfnis dafür schärfen, dergleichen müsse außerhalb des Manufactum-Katalogs zu finden sein. Im Leben selbst! Wie hat etwa die neuerliche Flutkatastrophe die Menschen mobilisiert, sich gemeinsam anzustrengen, etwas zu leisten, Bewährung zu suchen! Man hatte wieder einen Gegner, spürte Schulterschluß und freute sich der Gefährten. Gemeinschaftsgefühl durch uneigennützige Tatkraft.
Solange sich keiner bewegt und alle Grundbedürfnisse in einfacher Konsumtion befriedigt werden, bleibt es vorerst noch etwas langweilig. Mit Blick auf die politische Situation Europas jedoch kann es mit der Lethargie schnell vorbei sein. Bis dahin sollten wir Esprit entwickeln und nach frischem Ausdruck und neuen Formen suchen.