Die Diskussion um die Überwachungsmethoden der NSA fördert schrille Töne zutage. Auf der einen Seite stehen die enthusiastischen Amerikafreunde, für die es kaum einen Grund für Kritik an dem US-Geheimdienst zu geben scheint. So fragte Michael Wolffsohn im Juli in der Welt, ob denn etwa „die älteste Demokratie der Welt deutsche Nachhilfe“ benötige. „Mehr Bescheidenheit“ und „auch Dankbarkeit“ sei nötig, denn: „Ohne die USA wäre Hitler nicht besiegt worden.“ Es gibt eben kaum ein politisches Thema in Deutschland, bei dem die Vergangenheit nicht ständig als mal mehr, mal weniger überzeugende Begründung für die vermeintlich richtige Politik der Gegenwart herangezogen wird. Wobei selten die Frage thematisiert wird, was denn überhaupt die Motive für den Kriegseintritt der USA gegen Deutschland waren.
Auf der anderen Seite der NSA-Kritiker zeigt sich mitunter ein ähnlich bizarres Bild. Rolf Hochhuth warnt in der FAZ vor dem möglichen Schicksal von Edward Snowden: „Gerät er in die Fänge der USA, erwartet ihn die Todesstrafe in Form von mindestens 30 Jahren Zuchthaus …“ Hochhuth findet es falsch, den ehemaligen Geheimdienstler Snowden als „Verräter“ zu klassifizieren, denn: „So einen hatten auch wir, Admiral Canaris, Hitlers Geheimdienstchef; auch der war vereidigt. Doch auch für den kam die Stunde der Entscheidung wie für Snowden, als er nämlich über das damals neutrale Spanien Frieden mit England und Amerika machen wollte. Wofür Hitler Canaris aufhängte.“ Hitler, Hitler, Hitler. Auf der Grundlage dieser in Wahrheit niemals bewältigten Vergangenheit kann in Sachen NSA-Diskussion kaum etwas Vernünftiges herauskommen. Denn das Verhältnis der Deutschen zu den USA schwankt zwischen pathetischem USA-Kult und ebenso pathetischer USA-Hysterie.
Günther Jauch stellte nun in seiner Fernsehsendung über die NSA eine heikle Frage an den CDU-Bundestagsabgeordneten Wolfgang Bosbach. Wenn der BND den amerikanischen Präsidenten überwacht hätte, so Jauch, dann hätte Merkel „unter dem Teppich des Weißen Hauses um Entschuldigung bitten müssen“. Weshalb Jauch von Bosbach wissen wollte: „Greift da irgendwie noch altes Besatzungsstatut oder wie interpretieren Sie das?“ Bosbach, der zuletzt und auch in der Jauch-Sendung wieder einen sehr starken Auftritt hinlegte und sich in Topform präsentierte, zeigt „großes Verständnis“ für die Frage, weist jedoch daraufhin, daß es entgegen von Gerüchten „keine Rechtsgrundlage“ für das Ausschnüffeln deutscher Politiker durch die NSA gebe.
Die geistige Besatzungszone
Doch das ist letztlich ohnehin eine Frage, die am entscheidenden Problem vorbei geht. Das Problem ist doch nicht die politische oder juristische, sondern die – zugespritzt formuliert – geistige Besatzungszone, als die sich Deutschland nicht selten aufführt, und die das Ergebnis einer manichäischen Schwarzweiß-Geschichtsbetrachtung ist. Das fängt mit dem inflationären Gebrauch von überflüssigen Anglizismen an. Das geht damit weiter, daß eine außenpolitische Position, die nicht jedes militärische Abenteuer der USA unterstützen will, sofort als „im-Stich-Lassen“ eines „Freundes“ gedeutet wird. Das endet damit, daß bereits die Forderung nach Abzug der amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland als „Antiamerikanismus“ denunziert wird.
Diese ständige mentale Unterwerfungshaltung muß unweigerlich zu einer gesellschaftlichen Trotz- und Gegenreaktionen führen, nämlich dem Antiamerikanismus, der genauso falsch und einseitig ist wie der Proamerikanismus. Daß die besonders scharfen Amerikakritiker sich dabei gerne auf schiefe Vergleiche zwischen den USA und den Nationalsozialismus fixieren, spricht Bände: Offenbar möchten sich diese Amerikakritiker aus den Schuld- und Schamgefühlen befreien, die Deutschland mit einem Geschichtsbild eingehämmert werden, das immer wieder eine Tendenz zu Kollektivschuldvorwürfen zeigt. Wer in der NSA-Diskussion und bei anderen politischen Themen gerne mit dem mahnenden Zeigefinger über echten oder vermeintlichen „Antiamerikanismus“ klagt, sollte daher die Ursachen dieses Antiamerikanismus nicht verschweigen.