Heute abend wird sich Europa wieder einmal so zeigen, wie es sich die Urväter der Europäischen Union immer gewünscht haben: Der „Eurovision Song Contest“ in Düsseldorf wird den Eindruck einer vielfältigen und toleranten europäischen Großfamilie vermitteln, in der alle Völker glücklich und harmonisch zusammenleben und sich dabei ihre nationale Einzigartigkeit bewahren dürfen – zumindest theoretisch.
Denn in der Realität kann nicht einmal dieser banale Musikwettbewerb das liefern, was er an angeblicher europäischer Vielfalt verspricht.
Zwar nehmen insgesamt 43 Länder (unerklärlicherweise zählen auch Israel, die Türkei und Aserbaidschan zu „Europa“) am Grand Prix teil, doch statt nationaler Vielfalt gibt es auch dieses Jahr eher unerträglichen Einheitsbrei: Über dreißig Länder sind durch austauschbare, langweilige Popmusik mit englischen Texten vertreten.
Einer der wenigen Auftritte, bei dem zumindest der Refrain in einer anderen Sprache als Englisch gesungen wird, ist der Norwegens. Doch wer nun auf die aberwitzige Idee kommt, der Text wäre norwegisch, ist reichlich naiv: Das skandinavische Land schickt dieses Jahr nämlich die gebürtige Kenianerin Stella Mwangi mit dem swahilischen Titel „Haba Haba“ ins Rennen.
Wehe, es wagt einer, seine Grenzen zu kontrollieren
Nun, so viel zum ur-europäischen Charakter dieses Wettbewerbs. Doch wen wundert`s? Es ist doch genau diese Art der aufgedrückten und künstlichen ethnischen Vielfalt, die exemplarisch für die gesamte EU ist: Die Entfaltung des Nationalen mußte schon lange dem Imperativ der Gleichheit weichen. Wehe, ein Mitgliedsstaat gibt sich nicht nur mit ein bißchen symbolischem Fahnenschwenken während des Grand Prix zufrieden, sondern besteht auf der Wahrung seiner nationalen Interessen und kommt sogar auf die Idee, seine Landesgrenzen zu schützen – und schon bricht eine regelrechte Unionskrise aus.
So wie diese Woche: Seit Mittwoch prüft man in Brüssel, ob die von Dänemark angekündigten Grenzkontrollen gegen EU-Recht verstoßen. In Deutschland – dem gewissenhaftesten Mitgliedsstaat der EU – zeigt man natürlich wenig Verständnis für solche „Ausgrenzungsmentalität“. Und so empört sich wieder einmal die hiesige unionstreue und systemkonforme Presse: „Fremdenfeindlich“ würde Dänemark handeln. „Nicht vereinbar mit den europäischen Grundwerten“ sei die Entscheidung. Wie eine Krankheit würde der dänische Rechtspopulismus sich auf ganz Skandinavien ausbreiten.
Wessen Werte sind das?
Es fragt sich nur, wofür diese immer wieder hochgepriesenen „europäischen Grundwerte“ eigentlich stehen und wie viele Bürger sich überhaupt mit ihnen identifizieren. Fest steht dagegen, daß rechtskonservative bis rechtpopulistische Parteien einen immer größer werdenden Teil der EU-Bevölkerung repräsentieren. Und ob diese unter „europäischen Grundwerten“ Gleichmacherei und Zentralismus verstehen, ist zweifelhaft.
Und auch beim Grand Prix zeigt sich, daß der „One-World“-Gedanke und das „Wir sind alle gleich“-Getue nicht wirklich ankommt. Schließlich schied Norwegen mit seinem Lied auf Swahili bereits am Dienstag beim ersten Vorentscheid aus.