„Roma“ soll man auch nicht mehr sagen, „Zigeuner“ schon gar nicht. „Sozial Unangepaßte“ heißen sie jetzt in tschechischen Medien und offiziellen Verlautbarungen. Man könnte auch sagen: Integrationsverweigerer. Für die Leute auf der Straße sind und bleiben sie die „cikáni“.
Seit Anfang August häufen sich in Nordböhmen die Zusammenstöße zwischen Tschechen und Zigeunern. Nach dem „Massaker von Nový Bor“ am 7. August, als jugendliche Zigeuner mit Macheten eine Bar in Haida (Bezirk Böhmisch Leipa) überfielen und drei Tschechen schwer verletzten, und nach der Hetzjagd von zwanzig Zigeunern auf sechs junge Männer in Rumburg (Bezirk Tetschen) am 20. August kommt es dort und im benachbarten Warnsdorf im Wochenrhythmus zu Protestkundgebungen vor Zigeuner-Unterkünften. Auch für das nächste Wochenende sind wieder Demonstrationen gegen Kriminalität und die Untätigkeit der Behörden angemeldet.
Mitte September tobten wenige hundert Meter von der sächsischen Grenze entfernt bürgerkriegsähnliche Straßenschlachten, die Polizei bekommt die Lage nur mit Mühe in den Griff, die Regierung entsendet eine Sondereinheit nach Nordböhmen.
Ethnische Spannungen oder Rassismus der Mitte?
Für den deutschen Medien-Mittelstrom ist der Fall klar: Alles nur „soziale Probleme“, die da in „Gewalt und Rassismus gegen Roma“ ausarten. Und weil eine rechtsextremistische tschechische Partei, die schon mal der NPD in Berlin beim Plakatieren geholfen hat, sich recht effektiv an die Bürgerproteste angehängt hat und mit radikalen Parolen einheizt, weiß jeder brave „Nazijäger“ und Spiegel-Gläubige sofort: Da ist mal wieder der Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft am Werk.
Tschechische oder österreichische Medien zeichnen ein differenzierteres Bild. „Ethnische Spannungen“ sieht die „Prager Zeitung“ hinter den Protesten, und die Polizei erkennt durchaus eine „rassistische Dimension“ – bei den sich häufenden Überfällen von Gruppen junger Zigeuner auf Tschechen, für die es längst zum Alltag gehört, sich als „weiße Schweine“ beschimpfen lassen zu müssen.
„Täglich werden hier Leute überfallen“ – „Ich kann meinen Sohn nicht mehr allein zur Schule lassen“, schimpft eine Warnsdorferin gegenüber der Wiener Zeitung. Daß der ethnische Konflikt gerade im „Schluckenauer Zipfel“ ausbricht, jenem Teil Nordböhmens, der zwischen Lausitzer und Elbsandsteingebirge nach Sachsen hineinragt, ist kein Zufall. Ein Fünftel der Einwohner des Gebiets sind „Roma“. Seit vor über einem Jahr der massive Zigeuner-Zustrom in die Region begann, ist die Kriminalität um zwanzig Prozent gestiegen, Taschendiebstähle sogar um 37 Prozent. Trauriger Spitzenreiter ist Schluckenau, dort hat sich die Kriminalitätsrate im ersten Halbjahr 2011 verdoppelt.
Eine Ursache: Kommunistische Bevölkerungspolitik
Auch in Sachsen ist die Zunahme der Kriminalität zu spüren, die Zahl der Einbrüche und Sachbeschädigungen steigt zum Leidwesen der Einwohner in den Grenzgebieten. Aber davon liest man höchstens in der Regionalpresse oder in den Leserkommentaren zu politisch korrekt gewichteten Artikeln in den überregionalen Medien, bevor die Kommentarfunktion deaktiviert wird.
Verschärft wird die ethnische Konfrontation durch soziale Entwicklungen. Immobilienspekulanten quartieren „Roma“ aus begehrten Wohnlagen im Prager Umland oder in Mittelstädten wie Brüx, Teplitz, Aussig aus, um ihre Immobilien dort aufzuwerten, und siedeln sie in den dünnbesiedelten, von hoher Arbeitslosigkeit geprägten Grenzregionen an, beklagten die Bürgermeister von Rumburg und St. Georgenthal schon im Mai in einem offenen Brief an Premierminister Petr Necas. Warnsdorf kann überall sein; 1989 gab es nur ein paar Zigeunerviertel im heutigen Gebiet der Tschechischen Republik, jetzt sind es bereits über 300 reine „Roma“-Ghettos.
Ein tieferer Ursprung des ethnischen Konflikts zwischen Tschechen und Zigeunern ist allerdings in der kommunistischen Bevölkerungspolitik nach der Austreibung der Sudetendeutschen zu suchen. Vor dem zweiten Weltkrieg lebten rund 8.000 Zigeuner in Böhmen und Mähren, nach der NS-Herrschaft waren nur wenige hundert übrig. Heute sind es über 200.000, nach manchen Angaben eine Viertelmillion. In den fünfziger und sechziger Jahren siedelten die kommunistischen Behörden zwangsweise und im großen Stil Zigeuner aus der Ostslowakei in den durch die Vertreibung entvölkerten Sudetengebieten an.
Experiment der Seßhaftmachung mißlang
Das Experiment der kommunistischen „Sozialingenieure“, gleichzeitig die Zigeuner zur Seßhaftigkeit zu zwingen und mit ihnen das Land der vertriebenen Deutschen aufzusiedeln, ist schiefgegangen. Ebenso werden die immer neuen und üppig mit europäischen Fördermitteln ausgestatteten „Integrations“- und „Antidiskriminierungs“-Programme auf Dauer nicht dazu führen, daß die tschechischen Zigeuner sich „sozial anpassen“. Mehr als neue Jobs in der Sozialbürokratie ist dabei jedenfalls bisher nicht herausgekommen.
Premier Necas will einen anderen Weg gehen und den Geldhahn des „viel zu großzügigen Sozialsystems“ zudrehen: Sozialleistungen nur gegen gemeinnützige Arbeit und in Gutscheinform. Wenn die Zigeuner ihre Sozialhilfe nicht mehr versaufen, verrauchen oder verspielen können, müssen sie auch weniger stehlen, so die Überlegung dahinter. Ob’s funktioniert? „Ich bin Zigeuner, wenn es mir irgendwann zuviel wird, ziehe ich einfach in ein anderes Land“, sagt einer von ihnen dem Spiegel-Reporter. Die EU-Freizügigkeit ist da ja eine feine Sache. Man braucht nicht lang zu raten, welches Land er meint.