Auf die Reichsgründung wurde in interessierten Kreisen nicht erst am gestrigen Dienstag, dem 18. Januar, angestoßen. Schon am vorangegangenen Wochenende luden zahlreiche Studentenverbindungen zu „Reichsgründungskommersen“ ein.
Siegesfeier der deutschen Einigung
Der Kommers ist einer der wohl feierlichsten Riten des korporationsstudentischen Traditionsfundus. Er erscheint gerade angemessen zu Feier des wohl herausragendsten Ereignisses deutscher Geschichte. Insbesondere Burschenschafter wird das 140. Jubiläum anrühren, waren doch die deutsche Einheit und das Ende der Kleinstaaterei mit die zentralsten Forderungen der 1815 in Jena gegründeten Urburschenschaft.
Der erste drängende Vorstoß hin zur Umwälzung der alten Ordnung schlug 1848 zwar fehl, doch sollte 1871 nach dem Deutsch-Französischen Krieg ausgerechnet der Corpsstudent Otto von Bismarck den „Flickenteppich“ zum Reich einen. Nach einem Krieg übrigens, in dem die patriotischen Lieder eines Ernst Moritz Arndt wieder Hochkonjunktur hatten, die seinerzeit zu den großen Inspirationen der burschenschaftlichen Bewegung gezählt hatten.
Öffentliches Wagnis und „Rede an die Nation“
In jedem Fall dürfte am vergangenen Wochenende zünftig und würdig gefeiert worden sein. Doch steht bei einem solchen Kommers nicht der exzessive Bierkonsum im Vordergrund, dessen Studentenverbindungen allzuoft geziehen werden; stattdessen herrscht eine strenge Disziplin mit allenfalls gedämpften Gesprächen. Der Fokus liegt auf dem feierlichen Anlaß, dessen in Festreden und traditionellen Liedern aus dem 19. Jahrhundert Rechnung getragen wird. Diese Grundzüge dürften die Festkommerse wohl aller Verbindungen gemeinsam gehabt haben – manch eine Korporation tat sich jedoch auch durch besondere Hingabe hervor.
So erklomm am frühen Samstagabend eine Abordnung der Hamburger Burschenschaft Germania in vollem Chargenwichs, der traditionellen Uniformierung zu feierlichen Anlässen, mit Fackeln das Bismarckdenkmal am Rande der Neustadt. Von dort verlas der Sprecher der Burschenschaft eine „Rede an die Nation“, ehe sich die Studenten im Anschluß auf dem Verbindungshaus zum Kommers zusammenfanden. Brisant dabei: Nur einige Meter vom Denkmal entfernt beginnt die Reeperbahn, und auch sonst bewegt sich in seiner Umgebung etliches Gesindel – kein Wunder, daß der „Eiserne Kanzler“ nur bei Nacht wirklich schön zu fotografieren ist.
Frei und stolz
Insgesamt stellt der Jahrestag der Reichsgründung wohl einen der wenigen – wenngleich nicht offiziellen – Feiertage dar, an dem man sich in unserem Land nicht schambeladen bücken muß. Hier läßt sich in freier, stolzer Andacht der großen Vergangenheit eines besseren Deutschlands gedenken, im Inneren gewahr: „Ich glaube an die Lichtgestalt dieser geschändeten Nation.“ (Josef Klumb im Interview mit der JF)