Was muß eigentlich noch alles passieren, so fragt man sich als Nicht-Berliner ob der Wahlergebnisse vom letztem Sonntag. Unsere Hauptstadt läßt es sich am Tropf des Länderfinanzausgleichs gutgehen, bekommt die Arbeitslosigkeit nicht in den Griff, kann mit Schulen ohne deutsche Kinder aufwarten und läßt das Fahren mit der U-Bahn mittlerweile zur Mutprobe werden. Ein wunderbares Pflaster für die bürgerliche Opposition müßte man meinen. Aber weit gefehlt: 75 Prozent der Berliner wählen links. Und für jedes Millieu, jede Ausprägung dieser politischen Richtung schicken sie eine Partei mit über fünf Prozent ins Abgeordnetenhaus. Neu dabei: die Piraten. Die haben im Wahlkampf erst gar nicht versucht Kompetenz vorzutäuschen, sondern forderten gleich noch mehr Freibier auf Kosten des Steuerzahlers – und lagen damit richtig.
Rechts von Linkspartei, SPD, Grünen und Piraten sieht sich gerade noch ein Viertel der Berliner. Die 23 Prozent der Union seien „ein sehr gutes Wahlergebnis“ sagt Angela Merkel dazu doch tatsächlich. Derart euphemistisch konnte sich der Vizekanzler Philipp Rösler bei 1,8 Prozent nicht mehr äußern – zu offensichtlich war das desaströse Abschneiden der FDP. Für die Mainstreammedien ein willkommener Anlaß den vermeintlichen Grund dafür am Wahlabend wieder und wieder zu wiederholen: Es läge am vermeintlich rechtspopulistischen Gehabe der FDP in Sachen Euro.
Warum gehen Sarrazins Leser nicht wählen?
Daran lag es also. Nicht daß die FDP in Berlin seit Monaten unter drei Prozent gehandelt wurde; nicht daß die Mehrheit der Deutschen gegen das weitere Betanken von griechischen Fässern ohne Boden wäre. Nein, weil der gute Philipp Rösler darüber nachdachte, was denn passiere, wenn Griechenland seine Schulden nicht mehr bedienen könne und daher ein Regelwerk für dessen potentielle Staatsinsolvenz einforderte, war Rösler nun a) Rechtspopulist und b) der Grund für das seit einer gefühlten Ewigkeit andauernde Dahinsiechen der FDP. Das ist die Logik unserer per Zwangsgebühren finanzierten Sendeanstalten.
40 Prozent der Deutschen würden eine euroskeptische Partei wählen, so die neueste Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Emnid. Aber kaum einer tut es tatsächlich. Wenn man die FDP denn überhaupt mitzählen möchte, dann waren es 1,8 Prozent der Wähler von der FDP, 1,0 Prozent von Die Freiheit und 1,2 Prozent von pro Deutschland. Zusammen – je nach zählweise – 2,2 bis 4 Prozent. War das Thema den Wählern also nicht so wichtig oder aber hat das Angebot nicht überzeugt? Ebenso verhält es sich mit den Thesen Thilo Sarrazins. Die Partei Die Freiheit verstand sich als „Die Partei zum Buch“, pro Deutschland plakatierte „Wählen gehen für Thilos Thesen“. Die Demoskopen ermittelten ein Wählerpotential bis zu 30 Prozent, abgegriffen wurden 1 plus 1,2 Prozent.
Ominöse Sammlungsbewegung
Und die Konsequenzen? Rösler ist schon wieder auf dem Rückzug. Ein anti-europäischer Populismus sei mit ihm nicht zu machen. Die einzige Chance der FDP, ein Thema zu besetzen, um langfristig wieder Glaubwürdigkeit herzustellen: Vergeben! Die Freiheit will nun in Schleswig-Holstein antreten, wo man im Vergleich zu Berlin praktisch kaum organisiert ist und sich die nächste Klatsche holen wird. Und bei den diversen „pro“-Gruppen raunt man von nun wieder von „Sammlungsbewegungen“.
Wenn man in der Linken nicht weiter weiß, gründet man einen Arbeitskreis. Dies findet seine Entsprechung auf der Rechten in der ominösen Sammlungsbewegung, die in rechten Hinterzimmern als Vereinigung der diversen erfolglosen Rechtsparteien schon hundertfach gefordert und dutzendfach gegründet wurde. Übersetzt bedeutet das: Ein Mann, der an der Bar bei keiner Frau landen kann, gibt die Schuld dafür einem anderen Mann, der ebenfalls bei keiner landet. Nach ein paar frustrierenden Nächten und Bieren schließen sich die beiden zusammen und hoffen so die Top-Models dieser Welt mit nach Hause nehmen zu können.