Die Kasachen haben’s gut. Seit nunmehr fünf Jahren müssen sie den Sommerzeit-Terror nicht mehr über sich ergehen lassen. Der Staatspräsident ließ nachrechnen, man legte ihm eine Studie vor, wonach die ganze Uhrenfummelei nichts bringe außer Gesundheitsbelastungen besonders für Kinder und alte Leute, und mit einem Federstrich war der Unfug wenigstens in der zentralasiatischen Republik Kasachstan auch wieder abgeschafft.
Autoritäre Regierungssysteme haben eben manchmal auch ihre Vorteile. In einer fein austarierten Parteien-, Verbände- und Lobbyisten-Demokratie wird man einen einmal eingeführten Unsinn so leicht nicht wieder los, auch wenn die Mehrheit ihn gar nicht haben will – siehe Rechtschreib-„Reform“. Die rot-grüne Bundesregierung wußte über Sinnlosigkeit und Schädlichkeit der verordneten Zeitmanipulation 2005 schon längst alles, was auch dem kasachischen Staatspräsidenten bekannt war, und sah „keine Notwendigkeit zur Beibehaltung“. Nur zum Konsequenzenziehen fehlte dann halt doch der Mut.
Wie so vieles, was eigentlich niemand braucht, wurde nämlich auch die Sommerzeit im Laufe der Jahre durch eine lange Latte von EU-Richtlinien einheitlich geregelt. Das schafft Automatismen gegen den Ausstieg: Sachargumente gegen die Abschaffung gibt es nicht, aber „Deutschland darf keine Zeitinsel werden“.
Alljährliche Uhrenspielerei
Vielleicht ist die alljährliche Uhrenspielerei ja tatsächlich so was wie die Währungsunion – ist man erst mal drin, kommt man einfach nicht mehr raus. Bestimmt ein erhebendes Gefühl für alle Eurokraten, wenn auf ihren Knopfdruck 300 Millionen Europäer mit Biorhythmus-Störungen zu kämpfen haben.
Energie wird durch die Sommerzeit nicht gespart – daß das Hauptargument nicht sticht, war schon wenige Jahre nach der Einführung klar. Alljährlich im März und Oktober füllen sich die Boulevardspalten mit mehr oder minder spektakulären Berichten über Gesundheitsgefahren und Unfallrisiken der Zeitumstellung, melden immer mal wieder Umfragen, daß die Uhrenverdreherei den meisten eher auf den Senkel geht und die meisten sowieso nicht wissen, warum es veranstaltet wird und wozu es gut sein soll.
Bürgerinitiativen und Ligen kämpfen so beharrlich wie vergeblich gegen die Sommerzeit. Immerhin haben sie eine FDP-Bundestagsabgeordnete auf ihrer Seite: Gudrun Kopp hätte die Abschaffung der Sommerzeit gern als Maßnahme zum Bürokratieabbau in den Koalitionsvertrag eingebracht. Hat aber nicht geklappt; ebensowenig wie der Vorstoß ihrer Fraktion aus dem Jahr 2008, es wenigstens beim einmaligen Vorstellen der Uhr für das ganze Jahr zu belassen und auf das ständige Vor- und Zurückdrehen zu verzichten – ein Vorschlag, für den sich auch andere Kritiker der „Mogelpackung Sommerzeit“ erwärmen können.
Nützlichkeitsbesessene Gesellschaftsingenieure
Eingebrockt haben uns den ganzen Rummel nützlichkeitsbesessene Gesellschaftsingenieure. Benjamin Franklin hatte 1784 wohl als erster die Idee – man könnte ja Kerzen sparen, wenn’s abends länger hell bleibt. In Deutschland wurde die Zeitumstellung zuerst in den beiden Weltkriegen eingeführt und danach wieder abgeschafft: Mehr Tageslicht für die Rüstungsarbeiter.
Auch die Briten kamen damals übrigens auf die „Daylight Saving Time“. Von 1947 bis 1949 gab’s, des Strom- und Brennstoffmangels wegen, sogar eine Hochsommerzeit im Mai und Juni, in der die Uhren gleich zwei Stunden vorgestellt wurden.
1980 hat uns die sozialliberale Koalition, obwohl weder Krieg noch Not ausgebrochen war, dann doch wieder die Sommerzeit beschert, hauptsächlich, weil die europäischen Nachbarn es ja auch so machen. Ölkrise, Energiesparen – und Gastronomie und Tourismus sollten bessere Umsätze machen, wenn der Abend zum Tag wird. Tatsächlich gehen die Leute seither einfach nur später aus.
Gelackmeiert sind die Landwirte
Mehrheiten findet die Sommerzeit folglich bis heute praktisch nur bei Großstädtern unter 30. Gelackmeiert dagegen sind Landwirte, deren Kühe die Uhr nicht kennen, Schichtarbeiter, Eltern, deren Kinder morgens schwerer in Schule und Kindergarten zu bewegen und abends schlechter in die Federn zu bekommen sind, Kleinkinder, Kranke, Alte und alle, die sowieso unter Schlafstörungen leiden.
Außer Spesen und einem dankbaren Plauderthema also nichts gewesen. Ach ja, und falls es Ihnen noch keiner gesagt hat – nicht vergessen: In der Nacht von Samstag auf Sonntag, um zwei Uhr nachts, die Uhr eine Stunde vorstellen. Vor, nicht zurück. Zurück ist dann wieder im Oktober. Jetzt ist die Stunde erst mal weg. Bis zum Herbst jedenfalls. Und immer schön die Augen offenhalten.