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Spätrömische Dekadenz (II)

Spätrömische Dekadenz (II)

Spätrömische Dekadenz (II)

 

Spätrömische Dekadenz (II)

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Zum Thema Dekadenz als Ausdruck von fehlendem Respekt für selbst vielbeschworene Werte könnte dies in dieser Woche ein Beitrag zur Trunkenheitsfahrt einer Kirchenfürstin sein. Doch scheint eine andere Meldung dieser Tage mit Blick auf das Alte Rom von größerer Bedeutung. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) soll Gesprächstermine gegen Geldzahlung vergeben haben.

Rüttgers hätte mit einem solchen Vorgehen einen echten Schritt in Richtung des altrömischen Klientelwesens getan. In Rom war es üblich, die eigene Klientel täglich morgens im eigenen Hause zu empfangen, zur sogenannten salutatio. Dort wurden dann der Tag und die anliegenden Dinge besprochen, weniger im Rahmen eines Befehlsempfangs denn im Modus eines gegenseitigen Gebens und Nehmens.

Althistoriker schreiben dem Ganzen übrigens eher eine nivellierende Wirkung zu. So lange das Geben und Nehmen wechselseitig war, funktionierte die Republik. Als die Gaben maßlos und einseitig wurden, etablierte sich die de facto Monarchie des römischen Alltags, die gelegentlich in Tyrannei abgleiten konnte, zumal auch noch der kleine Mann ins Klientelsystem mit einbezogen wurde, der außer seiner zustimmenden Anwesenheit nichts zu geben hatte. Spätrömische Autoren spotteten gerne über die Klienten aus dem einfachen Volk, die morgens die Straßen verstopften und vom Empfang Körbe mit Essen und Geld nach Hause trugen.

Theorie der zweckfreien Beziehung

Das System konnte dazu führen, daß ein Philosoph wie Seneca im Windschatten seiner Beziehung zu Kaiser Nero einen märchenhaften Reichtum entwickeln konnte. Natürlich predigte er weiter gegen die Laster der Reichen, unterhielt aber eine Klienteltafel, die zu besten Zeiten über fünfhundert Tische verfügt haben soll. Als Rechtfertigung für den damit verbundenen Umsatz entwickelte er eine Theorie der zweckfreien Beziehung unter Freunden, die sich gegenseitig materiell Gutes tun, ohne einen bestimmten Zweck zu verfolgen.

Sich wechselseitig Gutes zu tun, dafür ist ein Ritual nötig, das in jeder Gesellschaft anders funktioniert. Im industrialisierten Westen gehört zum Ritual der Anschein der unmittelbaren Gegenleistung, die in der Politik regelmäßig etwa durch „Vorträge“ stattfindet. Guido Westerwelle, der Streiter gegen die spätrömische Dekadenz, gibt beispielsweise für die Saison 2007/2008 21 Vorträge an, bei denen er jeweils mehr als 7.000 Euro erhalten hat. Zu genaueren Angaben ist er nicht verpflichtet.

Man wird nicht annehmen, daß bei solchen Gelegenheiten nur vorgetragen und ansonsten vorher und nachher nur über das Wetter geredet wird. Solche Zahlen sind zugleich gar nichts im Vergleich zum „Neuen Rom“ in Washington. Selbst hartgesottenen Beobachtern stockte etwas der Atem, als im Zuge der Präsidentschaftskandidatur Hillary Clintons die Vermögensverhältnisse des Haushalts offengelegt werden mußten und das Ausmaß des Millionenvermögens sichtbar wurde, das ihr Ehemann und Expräsident mittlerweile durch Reden und Beraten in der kurzen Zeit seit seiner Präsidentschaft erworben hat.

Lebenslange Mitgliedschaft in einem Entscheidernetzwerk

Es wäre unzutreffend, dies als Ausdruck von direkten Abhängigkeiten zu deuten. Tatsächlich geht es um lebenslange Mitgliedschaft in einem Entscheidernetzwerk, innerhalb dessen die Funktionen dann und wann wechseln. Ob dies für die Republik schädlich oder nützlich ist und wo die Dekadenz anfängt, ist eine Frage der persönlichen Wertung.

Man wird sie wohl spätestens dort konstatieren, wo das demotivierte gemeine Volk nicht mehr seine verfassungsmäßigen Rechte wahrnimmt, sondern in erster Linie darauf achtet, auch etwas im Körbchen nach Hause zu tragen. In jedem Fall braucht eben alles sein Ritual. Geld zum Empfang mitbringen, das geht im „Westen“ einfach nicht – es weckt dort die Frage, wo hier die unmittelbare Gegenleistung zu suchen ist.

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