Grün ist die letzte Hoffnung für die Merkel-CDU. Anders sind die heißen Signale nicht zu verstehen, die derzeit aus dem Unionslager an die Ökopaxe gesendet werden: In der CDU gewinnt der schwarz-grüne Flügel die Oberhand, der die schwarz-gelbe vermeintliche „Wunschkoalition“ bereits wieder als Auslaufmodell betrachtet und auf der Linken nach neuen strategischen Alternativen zur „Großen“ Koalition mit den abgewirtschafteten Sozialdemokraten Ausschau hält.
Aus der grellen Hektik, mit der FDP-Chef Guido Westerwelle die Sozialstaatsdebatte vom Zaun gebrochen hat, spricht die Nervosität des Pyrrhussiegers, dem die Felle davonschwimmen. Die Flitterwochen sind gerade vorbei, da liebäugelt Muttis Partei schon mit einem anderen. Westerwelle soll in der Koalitionsrunde getobt haben wie ein gehörnter Ehemann, kolportiert die Welt, nachdem Umweltminister Norbert Röttgen in einem Zeitungsinterview faktisch die Bereitschaft zum endgültigen Atomausstieg signalisiert hatte.
Das war ein klares Angebot an die Grünen – abgegeben vor deren NRW-Landesparteitag und verkündet just an dem Tag, an dem die Liberalen in Umfragen mit acht Prozent gegenüber dem Bundestagswahlergebnis halbiert worden waren. Kein Zufall, daß die neuesten schwarz-grünen Gedankenspiele aus dem Landesverband Nordrhein-Westfalen lanciert werden – dort könnte Schwarz-Gelb schon im Mai abgewählt werden.
Schleifen aller konservativen Bastionen
Röttgens Landsmann und Landesvorsitzender, Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, pflegt ohnehin ein kuscheliges Verhältnis zu den Landesgrünen und hat als weiteres Liebeszeichen ein Veto gegen das liberale Hauptprojekt Steuersenkungen angekündigt. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast hat das Röttgensche Verhandlungsangebot bereits angenommen; weder im Bund noch in Nordrhein-Westfalen will sie die schwarz-grüne Machtoption ausschließen. Auch für die Linksbourgeoisie ist Opposition schließlich auf die Dauer Mist.
In der Unionsführung sonnt man sich im Hochgefühl der eigenen Schlauheit, nach dem Merkelschen Schleifen aller konservativen Bastionen durch inhaltliche Unverbindlichkeit praktisch mit allen außer – vorerst – den Kommunisten koalieren zu können. Die Merkel-Buben an den Berliner Schalthebeln – Generalsekretär Hermann Gröhe, Kanzleramtschef Ronald Pofalla, Umweltminister Röttgen – entstammen allesamt der „Pizza-Connection“, jener Nachwuchspolitiker-Runde beim Bonner Nobelitaliener, in der seit der Spätphase der Ära Kohl die neue schwarz-grüne Unverbindlichkeit erprobt worden war. Auf der anderen Seite des Tisches saß damals unter anderem Cem Özdemir, heute Grünen-Parteichef.
Die opportunistische Unionsmentalität, die den Kampf um Meinungsführerschaft schon lange aufgegeben hat und es statt dessen vorzieht, ihren entschwindenden bürgerlichen Milieus ins linksalternative Lager nachzureisen, erleichtert die Annäherung. Macht geht vor Inhalt; steht ein etwa noch vorhandener programmatischer Inhalt im Wege, wird er abgeworfen. >>
Nicht nur der Atomausstieg, für die Grünen ein unverhandelbares Hausheiligtum, steht zur Disposition. Für die schwarz-grüne Koalition in Hamburg stimmte Ole von Beust, ohne mit der Wimper zu zucken, der Demontage des gegliederten Schulwesens durch die sechsjährige Primarschule zu und riskierte dafür beträchtlichen Ärger mit der eigenen Basis und den Stammwählern. Für NRW stellt die Grünen-Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann bereits ähnliche Forderungen und skizziert auch schon den faulen Kompromiß – „freiwilliger Einstieg“ in ein „längeres gemeinsames Lernen“. Wenn’s um die Macht geht, wird Rüttgers eine schwarz-grüne Koalition daran nicht scheitern lassen.
Zu vieles unter einen Hut gepreßt
Merkel und ihre Vollstrecker können sich dabei sogar auf der Höhe der öffentlichen Meinung wähnen. 42 Prozent der Deutschen finden laut Stern und Forsa Schwarz-Grün gut. Für NRW liegt die Zustimmung nur unwesentlich darunter. Bei den Grünen-Wählern wünschen sich sogar fast drei Viertel eine Koalition mit der CDU im Bund.
Merkels Rechnung könnte aufgehen, hätte der Beliebigkeits-Spagat die Union nicht in einen Dauerstreit gestürzt, der zur Zerreißprobe werden könnte. Marktliberale gegen Staatsinterventionisten, Christlich-Soziale gegen Urban-Progressive – in der nach links geöffneten CDU der „Berliner Erklärung“ soll zu vieles unter einen Hut gepreßt werden. Am unteren Ende der Hackordnung stehen die Konservativen, deren Milieus aber nichts mehr zu melden haben sollen.
Wäre die Union ein Unternehmen, wäre sie reif zur Aufspaltung: Mischkonzerne mit Bauchladen-Portfolio gelten als nicht zukunftsfähig. Daß bei den marginalisierten Konservativen derzeit noch keiner den ersten Schritt tun will zu einer eigenständigen parteipolitischen Vertretung rechts der Union, liegt vor allem an der drohenden Stigmatisierungsmacht des auch von ihr mitgetragenen Dauerkampfs „gegen Rechts“. Die CDU wird derzeit also vor allem vom Antifa-Tabu zusammengehalten. Für eine Partei, die sich für die letzte Volkspartei hält, ist das als Überlebensperspektive recht wenig. Nicht nur Schwarz-Gelb, auch die „Alles geht“-Union könnte sich als Auslaufmodell erweisen.
JF 9/10