Vor einer Woche wurden zwei Jugendliche in Bodenfelde brutal getötet. Nun werden Bedenken geäußert, ob die Tat vielleicht doch hätte verhindert werden können. Schließlich war der mutmaßliche Täter vorbestraft.
Über einen ähnlichen Mordfall im Jahr 2010, der jetzt vor dem Landgericht Lübeck verhandelt wird, berichtete diese Woche der Spiegel: In einem offenen Wohnheim für geistig und seelisch behinderte Menschen sitzt ein mehrfach straffällig gewordener Gewalttäter seine Freiheitsstrafe auf Bewährung ab. Eines Nachts nimmt er seinen „Kuhfuß“ – also eine Brechstange –, das er als Werkzeug in seinem Zimmer deponiert hat, holt aus der Heimküche zwei riesige Messer und öffnet die Tür zum Ruheraum des Personals mit einem Monate zuvor gestohlenen Schlüssel.
Dann zertrümmert er Gesicht und Schädel der dort schlafenden 23jährigen Nachtschwester Vasthi G., sticht die 37,5 und 28,5 Zentimeter langen Messer durch ihre Brust und schneidet ihr die Kehle durch.
„Persönlichkeitsbesonderheiten“, jedoch keine krankhaften
Das geschah in der Nacht vom 17. auf den 18. März 2009 im Haus Rümeland im schleswig-holsteinischen Großhansdorf. Und ja, auch diese Tat hätte verhindert werden können.
Schließlich war Martin H. der Justiz seit Jahren bekannt: Er war mehrmals verurteilt worden, man kannte seine Aggressivität sowie seinen Einfallsreichtum, was die Straftaten anging.
Doch Konsequenzen mußte der 26jährige nie erfahren. Statt dessen kam er immer und immer wieder auf Bewährung frei. Bis er eben zum Mörder wurde – angeblich weil das Opfer seine Liebe nicht erwiderte.
Doch wer ist schuld? Nun, in erster Linie natürlich der Täter, Martin H. Denn im Gegensatz zu früheren Diagnosen, die ihm psychische Krankheiten attestierten, weist er dem neuesten psychologischen Gutachten für den laufenden Mordprozeß zwar „Persönlichkeitsbesonderheiten“ auf, jedoch keine krankhaften, die seine Schuldfähigkeit mindern würden.
„Geringe Anstrengungsbereitschaft bei hoher Anspruchshaltung“, „unzureichende Normenverinnerlichung und geringe Frustrationstoleranz“, „Dahindümpeln in bequemen Nischen“, zitiert der Spiegel aus dem Gutachten und kommt zu dem Ergebnis: Martin H. sei exemplarisch für ein marodes Rechtssystem mit Grauzonen und blinden Stellen. Ein System, in dem das Opfer „keine Chance hatte, weil man einem anderen zu viele gewährte“.
Unfähig, ein härteres Rechtssystem durchzusetzen
Doch es gibt im Fall Vasthi G. neben dem Mörder auch einen anderen Täter – das Rechtssystem. Das klingt zwar etwas ungreifbar, doch bricht man es in seine Bestandteile auf, bekommen die einzelnen Glieder plötzlich Gesichter, die ebenfalls zur Rechenschaft gezogen werden könnten – wenn man es denn wollte.
Doch obwohl auch der Spiegel die Mitschuld dieser Glieder erkennt, zur Rechenschaft will auch er sie nicht ziehen. Übertrieben wäre das allerdings nicht. Schließlich würde die 23jährige Pflegerin noch leben, hätten diese Menschen anders gehandelt – oder überhaupt gehandelt.
Auf diese Weise mitschuldig im Sinne der Anklage sind auch: die Heimleiterin, weil sie die kriminelle Vergangenheit von Martin H. ignorierte und ihn in das offene Wohnheim aufnahm, „weil er so nett war“; die Richter früherer Verfahren gegen Martin H., weil sie seinen Straftaten keine wirklichen Konsequenzen folgen ließen und unfähig waren, echte Strafen durchzusetzen; die psychologischen Gutachter, weil sie – wie so oft – einen Kriminellen zum Kranken umdeuteten und ihm dadurch die Möglichkeit gaben, zum Wiederholungstäter zu werden.
Und schließlich trägt auch die Politik – wie eigentlich immer – eine gehörige Portion Schuld mit an dem Tod von Vasthi G., weil sie all die Zustände erlaubt und unfähig beziehungsweise unwillig ist, ein härteres und wirksames Rechts- und Strafsystem durchzusetzen.