Die Bundeswehr sorgt mal wieder für Aufregung. Es geht um vermeintlich „entwürdigende Aufnahmerituale“, die „Gebirgsjäger-Affäre“ und den „Testosteron-Irrsinn“. Alle sind erschrocken und furchtbar aufgeregt. Aber warum? Gehören Aufnahmerituale nicht genau so zum Militär wie das allmorgendliche Antreten?
Besonders empört ist der „Sicherheitsexperte“ Omid Nouripour von den Grünen. Er beklagt „eklatantes Führungsversagen“ und fordert lautstark eine Reform der Offizierausbildung. Ob er wohl weiß, wie enorm menschenfreundlich diese Ausbildung mittlerweile ist? Auch die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, SPD-Frau Susanne Kastner, steht „ganz schwer kopfschüttelnd“ vor solchen Ritualen. Da sich beide ja intensiv mit der Bundeswehr und ihrer Verwendung beschäftigen, möchte man ganz leise fragen: „Haben Sie gedient? Wissen Sie überhaupt, worüber Sie krakeelen?“
Der Wert der Zugehörigkeit
Wer nie Teil einer militärischen Einheit war, hat wenig Ahnung vom kameradschaftlichen Geist, der in einer Truppe herrschen kann. Das ist in etwa so, als ob ich über die „Kollegialität“ im Politikbetrieb urteilen würde, ohne einen blassen Schimmer davon zu haben. Nouripour, Kastner und Konsorten veranstalten hinter den Kulissen vielleicht Dinge, die ich wohl „ganz schwer kopfschüttelnd“ zur Kenntnis nähme. Jedenfalls, wenn ich davon wüßte.
Dem Wehrbeauftragten Reinhold Robbe liegen 54 Fälle vor, einige davon seien 20 Jahre alt. Die Bundeswehr hat 250.000 Soldaten, auf 20 Jahre hochgerechnet erscheint die vorliegende Fallzahl äußerst gering. Aber das ist freilich ein schlechtes Argument, denn die gemeldeten 54 Fälle können nur die Spitze eines Eisberges sein. Es stellt sich also die Frage, warum all’ die anderen – ach so unwürdigen – Vorfälle nicht gemeldet wurden?
Gruppendruck mag eine Rolle spielen, viel häufiger wird die selbstverständliche Akzeptanz des Rituals der Grund sein. Denn die Anstrengung (oder Erniedrigung) eines anspruchsvollen (oder dämlichen) Rituals erhöht den Wert der Zugehörigkeit. Denn der „Neue“ zeigt die Bereitschaft, sich selbst zu überwinden, um dazuzugehören. Das Teil-der-Einheit-Werden erscheint unverzichtbar, wenn man sich die möglichen Belastungen der Kampfgemeinschaft anschaut.
Am liebsten eine Truppe aus 250.000 Individualisten
Im Verteidigungsausschuß ficht man mit Bildschirmpräsentationen, Diagrammen und Folienstiften. Zum Feierabend ist der Spaß vorbei. Im Einsatz der Bundeswehr dagegen müssen Gruppe, Zug und Kompanie jedoch mehrere Monate miteinander verbringen. Die Crew eines Schiffes hockt noch enger aufeinander. Da braucht es noch nicht mal ein Gefecht, um die Gemeinschaft auf die Probe zu stellen. Es ist also gut, wenn der Zusammenhalt schon vorher gefestigt ist. Freilich ist dafür noch mehr vonnöten, als ein Aufnahmeritual. Und freilich ist es Schwachsinn, das Ritual zu übertreiben. Aber es ist der Anfang einer notwendig kameradschaftlichen Beziehung.
Nouripour, Kastner und Konsorten können ihr ziviles Weltbild also nicht einfach auf die Truppe übertragen. So würden sie auch nie die Notwendigkeit der zackigen Meldung an den Vorgesetzten und des Gleichschritts kapieren. Sie sollten erkennen, daß beim Militär ein anderer Geist herrscht – und auch herrschen muß. Einerseits debattiert der Verteidigungsausschuß über Wiederaufbau und Kampfeinsätze in Afghanistan. Andererseits verlangt er, daß die Truppe aus 250.000 aufgeklärten und kritisch reflektierenden Individualisten besteht, die sich zu fein für archaische Rituale sind. Das ist eine Rechnung, die nicht aufgeht.