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Grinsen statt Zähne zeigen

Grinsen statt Zähne zeigen

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Grinsen statt Zähne zeigen

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„Der lachende Mann“ gehört zu den unbekannteren Romanen Victor Hugos, dabei spiegelt er den Zeitgeist besser wider als der – ungebrochen populäre – „Glöckner von Notre Dame“. Der Titelheld, Gwynplane, wurde als Kind im Auftrag des Königs schrecklich deformiert: Durch eine komplizierte Operation ritzte man ihm das ewige Grinsen ins Gesicht, verwandelte es in eine starre Fratze. Als häßliches Monster irrt er umher, wie Quasimodo von aller Welt gemieden. Bis er bei einem blinden Mädchen ein wenig Liebe findet – wenn auch nur für kurze Zeit. Dann, für den Autor typisch, endet alles in Tod und Trauer.

Bei der Lektüre wird man den Gedanken nicht los, daß Gwynlanes Schicksal als Ausgestoßener zeitbedingt war. Heute würde er mit seinem Defizit (dem Dauergrinsen) zweifellos eine Bombenkarriere hinlegen, und die weibliche Hälfte der Menschheit läge ihm kollektiv zu Füßen. Grinsen, das ist die moderne Art, „Zähne zu zeigen“ – affirmativ bis zur Deformation.   

Ernsthaftigkeit alter Porträts

In Zeiten von „Wellness“ und der Wertschätzung „sozialer Kompetenzen“ ist die Fähigkeit zum völlig grundlosen Grinsen in Werbung, Dienstleistung, Medien und Politik unabdingbar. Wer Seminare für Führungskräfte besucht hat, weiß, wie die Teilnehmer dort mit „positivem Denken“ gefoltert werden. Auf daß der „Spirit“ sich im Gesicht widerspiegle. Die Botschaft: Ich mache nicht nur mit, ich fühle mich auch noch wohl dabei!

Wer die Ernsthaftigkeit alter Öl- und früher Fotoporträts kennt, erlebt das pseudo-offene Zähnezeigen von Zeitgenossen als Mißhandlung. Kinder, darauf noch nicht programmiert, werden vom Fotografen stets genötigt: „Komm, lach‘ mal! Sag mal ‚Cheese‘. Deine Eltern wollen das.“ Es ist absurd, die fernöstliche Kultur des Lächelns als emotionale Unterdrückung, als irritierend zu brandmarken und gleichzeitig dem Kult des Grinsens zu frönen.  

Wer glaubt, hier würde zu dick aufgetragen, sollte sich folgende Episode zu Gemüte führen: In Hollywood ist es sehr ungehörig, oft sogar unter Vertragsstrafe verboten, sich negativ über vergangene Filme und Kollegen zu äußern. Könnte ja geschäftsschädigend sein. Deshalb immer das monotone „Oh, he/she was fantastic“, wenn man Hollywoodstars über Kollegen befragt. In diesem Kontext beging die 23jährige Schauspielerin Megan Fox eine Blasphemie, als sie ihren Ex-Regisseur Michael Bay beschuldigte, er benehme sich am Set wie Napoleon und Hitler.

Schleimer und Kriechtiere

Naja, wo ein Diktator ist, wittern auch Schleimer und Kriechtiere ihre Chance. Denn während sich der Beleidigte still verhielt, griffen drei Crew-Mitglieder zur Feder und verfaßten einen öffentlichen Brief: Darin werden Mrs. Fox´ Vergleiche keineswegs widerlegt, statt dessen wirft man ihr mangelnde Sozialkompetenz vor.

Woran man dieses Defizit erkennt? Nun, sie habe immer nur gelächelt, wenn die Kamera auf sie gerichtet wurde. Sonst sei die Schauspielerin eine „echte Sauermiene“. Und – Gipfel der Unverschämtheit – sie habe nicht eine der insgesamt 15 Crew-Partys besucht! – Zusammengefaßt: Sie hat keine soziale Kompetenz, weil sie nicht ständig grinst und Party-Smalltalk mit grinsenden Zombies ablehnt. Die drei Crew-Mitglieder werden bestimmt bald Karriere machen. Und was Mrs. Fox betrifft: Wen wundert`s noch, daß ihr neuer Film „Jennifer’s Body“ an der US-Kasse gefloppt ist?

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