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Elite-Diskurs auf der stählernen Arche

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Elite-Diskurs auf der stählernen Arche

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Als der süddeutsche Jungregisseur Roland Emmerich Anfang der achtziger Jahre mit geringem Budget „Das Arche-Noah-Prinzip“ drehte, gelang ihm damit „nur“ ein Erfolg im Programmkino. Seine Freunde verlachten den ambitionierten Spielberg-Fan, verpaßten ihm den Kosenamen „Spielbergle“. Inzwischen lachen sie nicht mehr, und Emmerich konnte sein frühes Thema, die Arche Noah, in wirklicher Spielberg-Dimension auf die Leinwand bringen: im Film „2012“, der die Kinokassen derzeit überlaufen läßt.

Nun ist die Arche Noah eine der ältesten Weltuntergangs-Erzählungen. Bereits im babylonischen „Gilgamesch“-Epos wollen die Götter die Menschheit in einer großen Flut ertränken. Nur Enki, der Gott des Grundwassers, ist gegen das Projekt und beauftragt König Ut-napashiti von Shuruppak mit dem Bau einer Arche. Darauf soll er sich, seine Familie, von jedem Handwerk einen Meister und von jeder Tierart ein Paar retten. Und warum gerade Ut-napashiti? Weil der ein Schelm, ein Eulenspiegel ist und darin dem Gott Enki gleicht. Gesagt, getan. Aber kaum ist die Menschheit ertrunken, bereuen die Götter ihre Tat: Denn wer soll sie jetzt durch Opfergaben ernähren? Als Wiedergutmachung heben sie Ut-napashita in den Rang eines Unsterblichen.

Wer darf heute auf die Arche?

Dieser Mythos fand später seine Adaption im Alten Testament: Nachdem Gott die Menschheit im Stich ließ – „Mein  Geist soll nicht ewig im Menschen leben, da er ja aus Fleisch ist“ (1. Mose, 6,3) – wurden die Verlassenen wild und „böse“. Einzige Ausnahme: Noah. Also beauftragt Gott ihn mit dem Bau der Arche, auf dem er sich, seine Familie und je ein Tierpaar retten soll. Dann flutet der Herr die gesamte Erde und gibt der überlebenden Familie Noahs einen Vermehrungsauftrag. Im Falle Königs Ut-napashiti war es Schelmentum, bei Noah dagegen Frömmigkeit und Gewaltlosigkeit, die ihn zum Auserwählten machte. Und heute? Wer darf heute auf die Arche? Und wer entscheidet das? Die Götter jedenfalls nicht mehr.

Emmerich läßt durch Sonneneruption den Erdkern schmelzen und gibt dadurch dem alten Maya-Kalender Recht, wonach im Jahr 2012 die Erde untergeht. Ein Wissenschaftler erkennt die kommende Katastrophe bereits 3 Jahre zuvor. Aber die hohe Politik schweigt dazu, sabotiert jeden Publikationsversuch und läßt in China heimlich stählerne Riesen-Archen bauen.

Schließlich zeigen sich die Vorboten des Unheils: Klaffende Erdspalten fressen sich durchs Land, Eruptionen bringen ganze Städte zum Einsturz. Die Öffentlichkeit ist ratlos und verdrängt so gut sie kann. Nur ein Einsiedler, ein Prophet mit weißem Bart, ein Zarathustra der Ätherwellen verkündet – aus seiner privaten Radiostation, mitten im Wald – die Apokalypse. Als die Katastrophe ungeschminkt ausbricht und das Waldstudio des Eremiten wegputzt, will der genial Verrückte nicht mal fliehen – zu sehr ist er von der Ästhetik des Untergangs fasziniert.

Modernes Götterpaar „Geld & Gene“

Dem kommt  im Verlauf des Films nur noch ein buddhistischer Lama gleich. Im Bergkloster sitzend, in Meditation versunken, läßt er sich seelenruhig von der Flutwelle wegspülen. Beide sind beneidenswerte Ausnahmen, der Rest der Menschheit gerät in Panik. Kameramann Dean Semler („Mad Max“, „Apocalypto“) kreiert phantastische Bilder einer entfesselten Natur. Babylonische Wolkenkratzer stürzen ein, riesige Abgründe reißen auf, lassen für Sekunden die Nichtigkeit aller Existenz erahnen. Religion und Wissenschaft erweisen sich als hilflos.  

Und wer kommt auf die rettende Arche? Milliardäre, deren Eintrittskarte den Bau der Rettungsschiffe finanzierte, wandelnde Genpools – und natürlich ein Haufen alter Regierungssäcke. Merke: Wer immer irgendwo Selektionskriterien aufstellt, sorgt dafür, daß er selbst auch darunter fällt. Das weiß man seit Stanley Kubricks „Dr. Strangelove“ (Dr. Seltsam, 1965). Selbst wenn das moderne Götterpaar „Geld & Gene“ heißt. Ein Präsidentenberater schlägt zudem die Zugehörigkeit zur Leistungselite als Selektionskriterium vor – damit der spätere Wiederaufbau gesichert wäre.

Akteure und Publikum atmen gleichzeitig auf

Es ist immer das gleiche Problem mit der Elitediskussion: Wer sie fordert, glaubt zu wissen, welche Fähigkeit der Menschheit nützlich wäre. Aber was der Welt oder auch nur einer Nation bekömmlich ist – wer kann das  „objektiv“  behaupten? Weniger der Glaube an radikale Egalität steht dem Elitedenken entgegen, sondern – umgekehrt – die Verschiedenheit der Menschen, ihrer Weltbilder und Wertungen. Um beim Film zu bleiben: Ist es sinnvoll, nach der Apokalypse wieder eine High-Tech-Zivilisation zu restaurieren? Oder bräuchte man vielleicht eher Seelsorger und Schamanen? Denn – wer weiß, ob nach dem Zeitalter der „Titanen“ nicht eine „Wiederkehr der Götter“ bevorsteht, wie Ernst Jünger prophezeite…?

„2012“ hält dem eine elementare Lebensauffassung entgegen. Eine, die sich aus der Not, dem Ausnahmezustand intuitiv einstellt. Emmerich zeigt, daß „Leben“ viel tiefer reicht als die Wertungskriterien einer Kultur. Er filmt Ertrinkende, zwingt den Zuschauer zur Identifikation mit deren Sauerstoffnot. Endlich kommen sie (doch noch) an die Wasseroberfläche: Akteure und Publikum atmen gleichzeitig auf. Das ist das Leben: Atem! Atmen können! Im Finale liest die Tochter des Präsidenten (wunderschön: Thandie Newton) ihrem Helden eine Geschichte vor. Darin macht sich das (Über-)Leben am „Geräusch unseres Atems“ fest. Atem heißt auf indisch „Atman“. Und das bedeutet auch: „Seele“.

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