Unlängst wurde in Berlin-Kreuzberg eine taz-Journalistin von einem Türken angesprochen, und zwar von hinten: „Zieh dir einen BH an, es stört mich, wie du rumläufst.“ Der Mann war um die 30, die Frau anderthalb Jahrzehnte älter. „In dem Moment war ich nur wortlos, geplättet und fühlte mich erniedrigt“, berichtete sie. „Welches Recht nehmen sich solche Typen eigentlich heraus, nicht nur über die Kleidung fremder Frauen zu urteilen, sondern ihnen dieses Urteil auch noch in einem Befehlston mitzuteilen?“
Die taz-Journalistin meint, daß der verbale Übergriff mit „einem gesellschaftlichen Klima“ zu tun hat, „in dem Leute wie er es zu ihrer Angelegenheit machen, ob Frauen züchtig genug sind“. Wie bloß konnte dieses Klima mitten im linken, alternativen, multikulturellen Kreuzberg entstehen?
Die taz-Journalistin weiß nur, womit es auf gar keinen Fall zusammenhängt: Es gehe „keineswegs um Religion. Die ewigen Diskussionen darüber, ob das Tragen von Kopftüchern, Kreuzen oder Kippas mit einem laizistischen Gemeinwesen zu vereinbaren ist, sind bloße Spiegelfechterei.“ Sie dagegen will richtig kämpfen: „Es ist ein feministischer, kein religiöser oder gar antimuslimischer Kampf.“
Gesellschaft sollte den Staat ersetzen
Wer erfolgreich kämpfen will, muß sich über die Dimension des Konflikts im klaren sein. Der Rostocker Althistoriker Egon Flaig äußert sich in der Zeitschrift Sinn und Form (4/2009) zu Überlegungen in Großbritannien und der Schweiz, muslimische Bürger vor die Wahl zu stellen, entweder nach Landes- oder nach Scharia-Recht behandelt zu werden. So entstünde ein Staat im Staate. Beide Staatsformen seien miteinander unvereinbar, denn der alte, europäische, beruhe „auf der Partizipation der Bürger, der neue hingegen auf dem Gesetz Gottes. Eine solche Unvereinbarkeit mündet erfahrungsgemäß in einem gewaltsamen Austrag der Differenzen. Ein Ende der auf Partizipation der Bürger beruhenden politischen Lebenform kündigt sich an.“
Die taz-Journalistin und ihre Gesinnungsfreunde haben ihren Triumph noch gar nicht begriffen. Mit dem „Feminismus“, der „Demokratisierung“, „Liberalisierung“, „Modernisierung“, „Emanzipierung“ und wie ihre Phrasen alle heißen, waren sie dermaßen erfolgreich, daß darüber der Staat „als eigenständige Autorität“, die über den „inneren Frieden“ wacht (E. Flaig), neutralisiert wurde.
Die Gesellschaft sollte den Staat ersetzen, der Diskurs den Ernstfall. Trunken vom weltumspannenden Humanitarismus, wurde die Unterscheidung von Innen und Außen, von Freund und Feind, geächtet. Letzterer steht nun im eigenen Haus, und kein Feminismus kann ihn schrecken. In Michael Klonovskys Aphorismus-Büchlein „Jede Seite ist die falsche“ findet sich der passende Satz zur Lage: „Mit einer gewissen Vorfreude erwartet man den Tag, an welchem unsere Schwulen, Lesben und Feministinnen zum Endkampf gegen die muslimischen Machos antreten.“
Ich glaube der taz-Journalistin nicht, daß sie zu der Aufforderung, sich einen BH anzuziehen, nur aus Verblüffung geschwiegen hat. Sie hatte einfach Angst.