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Krise des Journalismus: Blick in den Spiegel

Krise des Journalismus: Blick in den Spiegel

Krise des Journalismus: Blick in den Spiegel

Spiegel
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Verlagsgebäude des Spiegel in Hamburg Foto: picture alliance / Arco Images GmbH
Krise des Journalismus
 

Blick in den Spiegel

Der Spiegel versucht die Fälschungen von Claas Relotius als bedauerlichen Einzelfall darzustellen. Dabei gehört seine Masche in geringeren Dosen zum Alltag in vielen Redaktionen – nicht nur beim Spiegel. Das beste Mittel dagegen ist, sich daran zu erinnern, daß die Realität nie nur schwarz oder weiß ist. <>Ein Kommentar von JF-Chefredakteur Dieter Stein.<>
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Die vor Weihnachten vom Spiegel eingeräumte Affäre um seinen Redakteur Claas Relotius ist der größte Medien-Skandal seit 1983. Damals flog dem Hamburger Magazin Stern die Veröffentlichung der gefälschten Hitler-Tagebücher um die Ohren. Während Konrad Kujau 62 Kladden mit „Erinnerungen“ des „Führers“ in Sütterlin vollmalte, erfand Relotius in ähnlich großer Zahl Reportagen und Interviews, die sich jetzt als teilweise haarsträubend zusammenphantasierte Geschichten entpuppten. Für diese Räuberpistolen wurde er mit Preisen überhäuft.

Relotiosiaden am laufenden Band

Ist der Fall Relotius ein bedauerlicher Einzelfall, wie er in jedem System vorkommen kann? Handelt es sich um den Betrüger, vor dem sich niemand wappnen kann, wenn dieser mit ausreichend krimineller Energie vorgeht? Der Spiegel hätte das gerne und stilisiert sich mit großem Aufwand als Opfer, verweist pathetisch auf das ihn verpflichtende und in ehernen Lettern im Verlagshaus angebrachte Motto des Magazingründers Rudolf Augstein: „Schreiben, was ist.“

Die Wahrheit ist: Relotius ist die Spitze des Eisberges. Er flog auf, weil er zu dreist und zu hanebüchen log. Er wurde, was er ist, wohl auch, weil seine Masche in geringeren Dosen zum Alltag nicht nur beim Spiegel, sondern in vielen Redaktionen gehört. Was nicht paßt, wird passend gemacht. Um zum Beispiel Donald Trump in einer ganzen Serie von primitiven Titelgeschichten als kompletten Vollidioten hinzustellen. Relotius erfand dazu wunschgemäß die adäquaten Reportagen über Trumps verblödete Wähler.

Alexander Wendt ordnet den Fall Relotius treffend ein als Symptom eines „guten medienwirklichkeitsschaffenden und sehr unvielfältigen Milieus“, das Relotiosiaden am laufenden Band produziere. Die erfundenen „Hetzjagden“ in Chemnitz sind hierfür nur eines von vielen Beispielen. Relotius ist der zur Kenntlichkeit entstellte „Haltungsjournalist“. Georg Restle, Leiter des WDR-Magazins „Monitor“, der sich noch vor kurzem über „Journalismus im Neutralitätswahn“ mokierte („Warum wir endlich damit auhören sollten, nur abbilden zu wollen, ‘was ist’.“) – dürfte dies nun peinlich sein.

Die Wahrheit ist immer grau

Juan Moreno ist der Spiegel-Redakteur, der Relotius’ Lügengebäude zum Einsturz brachte. Er erinnert daran, daß die Wahrheit immer grau sei, „nie schwarz oder weiß“. So sieht es aus: Zwei Tage vor Silvester verletzten im bayerischen Amberg in einer Prügelorgie vier Asylbewerber willkürlich zwölf Passanten und beleidigten diese teils rassistisch. In der Silvesternacht fuhr ein 50jähriger Deutscher in Bottrop und Essen in mutmaßlich fremdenfeindlicher Absicht seinen Wagen in Fußgängergruppen mit Ausländern – hier wurden fünf Personen teilweise schwer verletzt. Das ist die graue Realität. Wie berichten Journalisten über diese Ereignisse? Wie ordnen wir sie ein? Bleiben wir bei der Wahrheit.

Verlagsgebäude des Spiegel in Hamburg Foto: picture alliance / Arco Images GmbH
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