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Wirtschaftspolitik: Warum Merz keine Alternative zu Milliardenschulden hatte

Wirtschaftspolitik: Warum Merz keine Alternative zu Milliardenschulden hatte

Wirtschaftspolitik: Warum Merz keine Alternative zu Milliardenschulden hatte

SPD-Chef Lars Klingbeil und CDU-Vorsitzender Friedrich Merz: Sie wollen die Schuldenbremse aufweichen. (Themenbild/Collage
SPD-Chef Lars Klingbeil und CDU-Vorsitzender Friedrich Merz: Sie wollen die Schuldenbremse aufweichen. (Themenbild/Collage
SPD-Chef Lars Klingbeil und CDU-Vorsitzender Friedrich Merz: Sie wollen die Schuldenbremse aufweichen. Fotos: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Ebrahim Noroozi /// privat JF-Montage
Wirtschaftspolitik
 

Warum Merz keine Alternative zu Milliardenschulden hatte

Weder das Rekord-„Sondervermögen“ noch die schwarz-roten Regierungspläne werden Deutschland wettbewerbsfähig machen. Das neue Schuldenpaket sichert vielmehr etwas ganz anderes. Ein Gastbeitrag von Thilo Sarrazin.
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Ein Grundproblem der deutschen Finanzpolitik seit 1970 besteht darin, daß bei nachlassenden Wachstumskräften und demographischer Alterung die Staatsquote deutlich gestiegen ist, nämlich auf der Einnahmeseite von 39 auf 47 Prozent und auf der Ausgabenseite von 38,5 auf 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). So zeigt es die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung des Statistischen Bundesamtes. Die gesamte Abgabenbelastung stieg von 35 auf 42 Prozent des BIP. Auch die Ausgabenstruktur hat sich verschoben: Der Anteil der staatlichen Investitionen sank von 4,7 auf nur noch 2,7 Prozent des BIP.

Die so entstandene Investitionslücke beträgt 90 Milliarden Euro im Jahr. Der Anteil der Verteidigungsausgaben am BIP sank von drei Prozent (1970) auf 1,3 Prozent (ohne Sondervermögen). Die so entstandene Verteidigungslücke beläuft sich auf jährlich 75 bis 80 Milliarden Euro. Der Anteil der Sozialausgaben stieg dagegen seit 1970 von 16,3 auf 25,1 Prozent des BIP. Bezogen auf die Gegenwart sind dies strukturelle Mehrausgaben im Sozialbereich von jährlich knapp 400 Milliarden Euro.

Dies ist durch die unersättliche Phantasie der Sozialpolitiker, durch die Wirkungen von Geburtenarmut und Alterung der Bevölkerung und in jüngerer Zeit auch durch die Asylmigration und die wachsende Zahl von Wirtschaftsflüchtlingen bedingt. Die Politik näherte sich den damit verbundenen Problemen allenfalls furchtsam und großenteils gar nicht. Eine Erklärung mag sein, daß die Wählerschaft von Menschen dominiert wird, die bereits im Rentenalter sind oder sich diesem nähern. Bei Fragen der Einwanderung hat man sich zudem in europarechtlichen Vorgaben und menschenrechtlicher Prinzipienreiterei verheddert.

Die FDP flog für ihre Prinzipien aus dem Bundestag

Weitsichtige Politiker erkennen seit Jahrzehnten die Zwangslage, die so für die Öffentlichen Haushalte entsteht. Aber sie wissen keinen grundsätzlichen Ausweg bzw. erschöpfen sich in wiederholten Konsolidierungsversuchen, die notwendig waren, aber immer wieder zu kurz griffen. So wuchs die Staatsverschuldung seit 1970 von 18 auf 63 Prozent des Sozialprodukts, und was trotzdem an Geld fehlte, knapste man halt bei den Investitionen und der Verteidigung ab.

Die 2009 ins Grundgesetz eingefügte Schuldenbremse war als Ausweg gedacht. Er funktionierte nicht: Denn die Politik sparte entweder immer wieder an den falschen Stellen (Investitionen, Verteidigung) statt im Sozialbereich, oder sie nutzte „Ausnahmetatbestände“ zur Umgehung der Schuldenbremse.

Die Ampelregierung zerbrach vor allem an dieser Grundsatzproblematik. Gleichwohl schaute bei der jüngsten Bundestagswahl keine der jetzt im Bundestag vertretenen Parteien der Problematik wirklich ehrlich ins Auge. Die Parteiprogramme boten dazu im wesentlichen Formelkompromisse. Linke, SPD und Grüne sahen den Ausweg nicht in Einsparungen, sondern in der Beseitigung oder Lockerung der Schuldenbremse. Die Union versuchte sich in einem verbalen Spagat, indem sie die Schuldenbremse einerseits verteidigte, bei der Benennung der Einsparungen aber unscharf blieb. Die FDP dagegen, die über der Einhaltung der Schuldenbremse die Ampelkoalition platzen ließ, flog zur Belohnung aus dem Bundestag.

Die Schuldenquote könnte 90 Prozent des BIP erreichen

Natürlich gibt es ihn, den finanzpolitischen Ausgabenpfad der Tugend, bei dem der nötige dramatische Ausgabenaufwuchs für Investitionen und Verteidigung durch Einsparungen und strukturelle Umschichtungen im Sozialbereich finanziert wird. Aber dieser Weg ist dornenreich. Ein führender politischer Kopf, der ihn wirklich gehen möchte und auch das Gewicht und das Temperament hat, ihn bei der Bevölkerung durchzusetzen, ist gegenwärtig in Deutschland nicht sichtbar. Und wenn es ihn gäbe, so wäre eine Mehrheit für ihn unwahrscheinlich, sobald es hart auf hart kommt.

Friedrich Merz hat die Konsequenzen daraus gezogen. Mit der Befreiung der Verteidigungsausgaben von der Fesselung durch die Schuldenbremse und einem schuldenfinanzierten Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für Investitionen kam er SPD und Grünen weit entgegen. Damit steigt – als Regierungsprogramm – die staatliche Schuldenquote auf 80 bis 90 Prozent des BIP. Neue jährliche Zinslasten von 30 bis 60 Milliarden Euro müssen aus den Öffentlichen Haushalten finanziert werden. Mit weitaus geringeren Zugeständnissen der FDP hätte Olaf Scholz ganz ungefährdet bis September weiterregieren können.

Es gibt keine politische Alternative zum „Sondervermögen“

Von außen kann nicht beurteilt werden, ob Merz sich den Weg zur Kanzlerwahl auch mit geringeren Zugeständnissen hätte erkaufen können. Gemessen an seinen Versprechen im Wahlkampf war dies in jedem Fall ein schwerwiegender Wortbruch. Das wird zwar irrelevant sein, wenn seine Regierung ansonsten erfolgreich ist. Bleibt aber dieser Erfolg aus, insbesondere in der Migrationspolitik, dann wird die AfD bei der nächsten Wahl bundesweit 25 bis 30 Prozent erreichen und wahrscheinlich größer werden als die Union. Schon jetzt ist der Abstand der beiden Parteien mit 7,8 Prozentpunkten nicht sehr beeindruckend.

Merz hatte aber tatsächlich keine Alternative. Er war und ist ein politischer Gefangener seiner Festlegung, niemals direkt oder indirekt mit der parlamentarischen Unterstützung der AfD zu arbeiten. Der SPD ist es so gelungen, als Wahlverlierer mit nur 16,4 Prozent Stimmenanteil eine weitgehend sozialdemokratisch geprägte Politik durchzusetzen. Die dringende Reform des Sozialstaats rückt damit in weite Ferne. Wird Merz unfreiwillig zum politischen Nachlaßverwalter Angel Merkels, und macht die Sozialdemokratisierung der CDU unter ihm weitere Fortschritte?


Dr. Thilo Sarrazin war SPD-Finanzsenator in Berlin und bis 2010 Vorstandsmitglied der Bundesbank.

Aus der JF-Ausgabe 13/25.

SPD-Chef Lars Klingbeil und CDU-Vorsitzender Friedrich Merz: Sie wollen die Schuldenbremse aufweichen. Fotos: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Ebrahim Noroozi /// privat JF-Montage
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