Unmittelbar nach der Bundestagswahl sagte Britta Haßelmann als Parlamentarische Geschäftsführerin der grünen Bundestagsfraktion einen verräterischen Satz: „Unser Auftrag ist größer als unser Ergebnis.“ Die totalitäre Grundierung dieser Aussage scheint nicht erst durch, wenn man diesen Satz einem Autokraten in den Mund legt. Man braucht ihn nur in zwei Teile zu zerlegen. Dann gibt es einen Auftrag, dem man sich verpflichtet fühlt, und ein Wahlergebnis, das diesen Auftrag nicht einmal annähernd mehrheitlich legitimiert. Aber Auftrag bleibt Auftrag. Wer in höherer Mission unterwegs ist, kann sich schließlich nicht von fehlender Akzeptanz bei den Wählern bremsen lassen.
Zwei Jahre nach dem Eintritt in die Regierungskoalition ist die Diskrepanz zwischen diesem höheren „Auftrag“ der Grünen und dem Wählerwillen gewachsen. Bei Landtagswahlen in Berlin, Bayern, Hessen und Bremen liefen ihnen die Wähler in Scharen davon. In Hessen wurden sie von der CDU und in Berlin von der SPD in die Opposition geschickt – und gingen buchstäblich erst einmal weinen.
Noch nicht einmal die Wahl zum Landesvorsitz bekommen die verstörten Ökotruppe an der Spree noch hin. Vergangenen Samstag wurde ihr Parteitag nach drei gescheiterten Versuchen abgebrochen. Unter Tränen verließ die Spitzenkandidatin den Saal. In Bremen können Grüne zwar gerade noch mitregieren, aber die SPD an der Weser hat andere Machtoptionen und könnte sie auch dort ersetzen. Ebenso wie in Hannover, wo die rot-grüne Rathauskoalition am Öko-Projekt „autofreie Innenstadt“ zerbrach. Zum Niedergang der Grünen bei Landtagswahlen gesellt sich bundesweit ein Abwärtstrend in den Umfragen.
Grüne Flagschiffe steuern ins Nirgendwo
Die Gründe für diese Wählerflucht sind offensichtlich. Die beiden Flaggschiffe der Grünen-Agenda sind nicht nur leckgeschlagen, sie sinken. Der Umbau Deutschlands in eine „multikulturelle“ Gesellschaft durch unbegrenzte Zuwanderung scheitert. Der Zustrom überfordert die ohnehin fragile Infrastruktur des Landes und gefährdet Sicherheit und Ordnung. Selbst grüne Landräte und Bürgermeister schreiben Brandbriefe.
Ähnlich prekär erscheint die „klimaneutrale“ Transformation der deutschen Industriegesellschaft. Die ungedeckten Wechsel, mit denen die Ampel diesen Umbau finanzieren wollte, sind mit dem Stoppsignal aus Karlsruhe geplatzt – der Kaiser ist nackt. Entkleidet ist auch das zugrunde liegende Konzept des Umbaus: Erst den Wirtschaftsstandort mit Klimaauflagen und künstlicher Energieverknappung zu verteuern und dann – wie lange eigentlich? – mit Steuermilliarden wieder wettbewerbsfähig zu subventionieren? Das soll nachhaltig und aufkommensneutral sein? Und wie soll das überhaupt funktionieren? Das Ampel-Motto „Wir können die Welt nicht alleine retten, aber wir zeigen ihr, wie’s geht“ ist längst durch furchentiefe Schleifspuren in Konjunktur- und Wirtschaftsstatistiken widerlegt. Das macht uns niemand nach.
Regierungswechsel als logische Konsequenz
Hinzu kommen grobe Patzer im parlamentarischen Maschinenraum und offene Täuschungsversuche wie die gefälschte Kriminalitätsstatistik. Auch das ist aufgeflogen. So machte sich maßlose Ernüchterung breit. „Sie können es nicht“ wurde zum geflügelten Wort sogar in den Mainstreammedien. Wenn also nicht noch ein Wunder geschieht, wird diese Koalition in zwei Jahren krachend abgewählt. Die Eröffnungsbilanz jeder Nachfolgeregierung dürfte immense Folgekosten ausweisen. Ist das der Preis der Demokratie?
Nein. Regierungsversagen und damit einhergehender Vertrauensverlust haben systemrelevante Folgen, wie das flächendeckende Protestwahlverhalten zeigt. Zum anderen ist der Schaden keineswegs nur materieller Natur. Die allgegenwärtige Zuneigung zu grünem Utopismus wirft ernste Fragen nach dem Geisteszustand gesprächsführender Schichten dieses Landes auf. Und beides wird durch einen Regierungswechsel allein nicht geheilt. Das Land hat ein nachhaltiges Problem.
Regierungswechsel nach Wahlen sind nur parlamentarischer Vollzug von Gesellschaftsveränderungen, nicht deren Ursache. In den Merkel-Jahren wurde gesät, was nach dem Amtsantritt der Ampel zur vollen Blüte kam. Das „sozialdemokratische Jahrzehnt“, das Lars Klingbeil bei seiner Wahl zum SPD-Vorsitzenden ausrief, lag da hinter uns. Im Tarnanzug der „schwäbischen Hausfrau“ hatten Merkel und große Teile ihrer Union ein sattes Land in wirtschaftliche und intellektuelle Wohlstandsverwahrlosung geführt. Die marode Infrastruktur, das demolierte Bildungssystem, die Modernisierungsdefizite, die praktische Aufgabe der eigenen Wehrfähigkeit, die volkswirtschaftlich nie zu Ende gedachte Energiewende und ein gemeingefährliches Migrationsregime sind das Erbe ihrer Amtszeit und keine Erfindung der Ampel.
Der Gesellschaftsumbau bekommt jetzt eine Bremse
Diese setzt dem Ganzen mit der kulturkämpferischen Dreistigkeit der Grünen nur noch die Krone auf. Es geht um weit mehr als esoterisch anmutende Klimarettungserzählungen und transhumanistische Wahnvorstellungen, wie sie als „Selbstbestimmung“ ins Gesetzbuch geschrieben werden sollen. Es ist die seit Jahrzehnten andauernde Verschiebung des politischen Koordinatensystems, die nun das Faß zum Überlaufen bringt. Unter dem Deckmantel des „Kampfs gegen Rechts“ wurde jeder grundsätzliche Widerspruch gegen den Gesellschaftsumbau stigmatisiert und in die No-go-Area des Extremistischen verbannt. Mit immer neuem staatlich finanziertem Furor gegen das vermeintlich Unerhörte wuchs die Zahl der Ungehörten. So wurde eine kapitale Repräsentationslücke kultiviert.
Nun gibt das Ende des Höhenflugs der Grünen einen neuen Blick in ihre Auftragsbücher frei. Auf wessen Anordnung führt eine grün gestrickte urbane Elite eine gegenderte Privatsprache in Medien und Politik ein, die von mehr als zwei Dritteln der Bevölkerung abgelehnt wird? Wer legitimiert die Masseneinreise in deutsche Sozialsysteme mit all ihren sozioökonomischen Belastungen? Mit welcher Begründung wird das Kriterium der kulturellen Differenz aus jeder migrationspolitischen Debatte verbannt? Wer hat an Universitäten und Akademien eine „postkoloniale“ Lehre von der weißen Grundschuld unwidersprochen Raum greifen lassen? Mit welchem Auftrag treten Verfassungsschützer als politische Aktivisten auf, wenn sie zum Beispiel zeitgleich zum Verlauf den Parteitag einer Oppositionspartei verunglimpfen?
Wenn jetzt in einem Bundesland nach dem anderen die Regierenden ihr blaues Wunder erleben, so ist das nur ein Vorschein von dem, was noch kommen wird. Ist das „Volk, der große Lümmel“ (Heine), erst einmal in Fahrt, kann es ruppig werden. Das Volk aber kann man nicht abwählen. Man kann es nur nehmen, wie es zugerichtet wurde.