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Politische Wende auf dem Balkan?: Alle blicken auf Belgrad

Politische Wende auf dem Balkan?: Alle blicken auf Belgrad

Politische Wende auf dem Balkan?: Alle blicken auf Belgrad

Ein Anti-EU und Anti-Nato Graffiti auf einer Mauer in Belgrad
Ein Anti-EU und Anti-Nato Graffiti auf einer Mauer in Belgrad
Ein Anti-EU und Anti-Nato Graffiti auf einer Mauer in Belgrad Foto: picture alliance/dpa | Jan Woitas
Politische Wende auf dem Balkan?
 

Alle blicken auf Belgrad

Die serbische Opposition hofft auf einen Machtwechsel in Belgrad. Doch der dürfte auf sich warten lassen. Was nicht zuletzt daran liegt, daß Präsident Aleksandar Vučić die Bevölkerung in seinem EU- und Nato-kritischen Kurs hinter sich weiß.
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Obwohl in einem mühseligen Prozeß endlich geeint, bringt es die serbische Opposition kurz vor den Parlaments- und Kommunalwahlen auf gerade einmal 25 Prozent. Wenn die Pro-Europäer trotz dieser Prognose auf einen Wahlsieg wie in Polen hoffen und damit eine politische Wende in dem Balkanland, dann erklärt sich das nur aus ihrem Glauben an das Prinzip Hoffnung.

Die Realität sieht anders auf. Eine Mehrheit der 6,5 Millionen Wahlberechtigten steht ganz offensichtlich hinter Präsident Aleksandar Vučić, der selbst nicht zur Wahl steht, und dessen Serbischer Fortschrittspartei (SNS). Fast alle Beobachter gehen davon aus, daß diese die für den 17. Dezember angesetzten Wahlen gewinnen wird.

Einzig ein Sieg der Opposition in Belgrad, wo etwa ein Viertel der Bevölkerung wohnt, scheint im Bereich des Möglichen. Das wäre aus Sicht des Bündnisses wenigstens ein symbolischer Erfolg. Ein Wechsel sei lokal möglich, landesweit jedoch „sehr unwahrscheinlich“, so Daniel Bochsler, Professor für Politikwissenschaft an der Universität von Belgrad. Auch der Wiener Politologe Vedran Džihić vom Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP), rechnet nicht mit einem Machtwechsel.

Proteste nach Amokläufen

Die SNS habe ihre Macht in ganz Serbien und in allen Institutionen seit 2012 zu sehr ausgebaut. Vučić sei allein schon durch seine Allzeitpräsenz im Fernsehen eine Figur, die bei vielen Serben populär ist, findet Bochsler. „Er hat Talent und setzt auf Klientelismus, Populismus, ein bißchen Nationalismus“, und spreche so ein breites Spektrum an.

Das wurde bereits bei den ebenfalls vorgezogenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im April 2022 deutlich, als Vučić rund 60 Prozent der Stimmen erhielt, seine seit 2012 regierende SNS dagegen nur noch 44 Prozent. Trotzdem kam die SNS-geführte Koalition „Gemeinsam können wir alles schaffen“ an die Regierung.

Die jetzige Auflösung des Parlaments ist politisches Kalkül.Vučić reagiert damit auf anhaltende Massenproteste. Zu diesen war es gekommen, nachdem es in einer Schule in Belgrad eine Schießerei gegeben hatte und in der Nähe von Mladenovac und Smederevo zu einem Massenmord gekommen war. Aus den Protesten formte sich das Oppositionsbündnis „Serbien gegen Gewalt“. Befeuert wurde die Krise durch einen Überfall serbischer Paramilitärs auf kosovarische Polizisten im überwiegend von Serben bewohnten Nordkosovo.

Rußland steigt in der Beliebtheit

Daß die kosovarische Präsidentin Vjosa Osmani daraufhin Belgrad eines Angriffs „auf die Unabhängigkeit des Kosovo“ beschuldigte und die EU Belgrad mit Sanktionen drohte, paßte Vučić ins Kalkül. Daß die EU und die USA deswegen Druck auf Serbien ausüben, stärkt den Präsidenten und die SNS. Ohnehin sinkt das Interesse der Bevölkerung an einem EU-Beitritt. Nur noch 38 Prozent der Serben unterstützen diesen, 51 Prozent lehnen ihn ab. Gleichzeitig steigt Rußland in der Beliebtheit.

Die SNS kann jetzt neben Korruption, Kriminalität und allgemeiner Teuerung in Serbien auch den Umgang mit dem Kosovo thematisieren. „Die Regierung versucht, die Kosovo-Frage in den Vordergrund zu rücken und zu zeigen, daß sich die Opposition in der Frage uneinig ist“, so Bochsler. Denn viele Serben erkennen die 2008 einseitig vom Kosovo ausgerufene Unabhängigkeit de facto nicht an.

Regierungsbildung in Belgrad dauerte halbes Jahr

Die ständigen Neuwahlen sind nach Ansicht von Beobachtern eine Taktik, um innen- und außenpolitische Entscheidungen zu verzögern und Reformen aufzuschieben. Auch wird Vučić abwarten wollen, wie die Europa- und die US-Präsidentschaftswahlen ausgehen. Die letzte Regierungsbildung in Serbien hat ein halbes Jahr gedauert. Ana Brnabić, seit 2017 Premierministerin, konnte ihr drittes Kabinett erst Ende Oktober vereidigen lassen. Nicht wenige Einwohner des aus der Konkursmasse der jugoslawischen Föderation wiedererstandenen Landes, das traditionell prorussisch ausgerichtet ist, träumen noch immer von einem Großserbien.

Daß ihr Präsident „autokratisch“ regiert, ist für sie eher ein Zeichen der Stärke. Auch wenn ein Drittel der Serben nach einer Umfrage des Instituts Demostat vom Juni 2023 der Meinung ist, die Lebensbedingungen seien schlechter als noch vor zehn Jahren und die Inflation aktuell 12,5 Prozent beträgt, glauben sie an den von Vučić versprochenen wirtschaftlichen Aufschwung.

JF 51/23

Ein Anti-EU und Anti-Nato Graffiti auf einer Mauer in Belgrad Foto: picture alliance/dpa | Jan Woitas
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