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Immer mehr Meldeportale: Die neue Lust am Denunzieren: Abweichler aufspüren

Immer mehr Meldeportale: Die neue Lust am Denunzieren: Abweichler aufspüren

Immer mehr Meldeportale: Die neue Lust am Denunzieren: Abweichler aufspüren

Arbeitskollegen denunzieren einen Büroangestellten
Arbeitskollegen denunzieren einen Büroangestellten
Arbeitskollegen denunzieren einen Büroangestellten: Meldeportale sollen Abweichler abschrecken Foto: picture alliance / VisualEyze | Sammy
Immer mehr Meldeportale
 

Die neue Lust am Denunzieren: Abweichler aufspüren

Heutzutage soll der gesetzestreue Bürger nicht bloß eine für ihn schädliche Politik erdulden, er soll sich mit ihr identifizieren und nach dem Motto handeln: Kontrolliere mit! Überwache mit! Denunziere mit! Ein Kommentar von Thorsten Hinz.
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Sage mir, welche Aktivitäten der Staat fördert und fordert, und ich sage dir, wes Geistes Kind die Inhaber der Staatsmacht sind und was sie aus dem Staat gemacht haben. Die Aufforderung beziehungsweise Einladung an die Bürger lautet: Meldung machen! Zu diesem Zweck stampfen Bund, Ländern und Kommunen immer neue Meldestellen aus dem Boden. Als meldefähig und -würdig gelten Haßpostings – wobei „Haß“ stets „rechts“ bedeutet –, Bekundungen von Queerfeindlichkeit, Antifeminismus, Rassismus, Islamophobie. Im Fokus stehen auch Gaststättenbetreiber, die sich der „Mehrwegangebotspflicht“ entziehen, und weiterhin Impfskeptiker. Verstöße gegen den Mindestlohn und der Verdacht auf Steuerhinterziehung sind gleichfalls eine Meldung wert. Ministerien, das Bundeskriminalamt, einschlägige Organisationen wie Greenpeace und die Amadeu-Antonio-Stiftung bilden Knotenpunkte des Überwachungsgeflechts, das sich über das Land legt.

Inkriminiert werden also kritische Meinungsäußerungen oder Verweigerungshaltungen gegenüber Maßnahmen und Vorgaben des Staates, die in den Privatbereich, in den Sprachgebrauch und in die wirtschaftliche Freiheit eingreifen. Sogar bei der individuellen Steuerschummelei stellt sich heute die Frage, ob es sich nicht vielmehr um die Wahrnehmung von Abwehr- oder Notwehrrechten gegenüber einem Staat handelt. Schließlich treibt dieser die Steuer- und Abgabenlast in exorbitante Höhen, um eine dysfunktionale politische Klasse und eine Politik zu finanzieren, die sowohl das Land als auch die Interessen des wertschöpfenden und gesetzestreuen Bürgers vorsätzlich beschädigt. Der wiederum soll diese Politik nicht bloß erdulden, er soll sich mit ihr identifizieren und nach dem Motto handeln: Kontrolliere mit! Überwache mit! Denunziere mit!

Es geht ja nicht darum, akute Gefahren –einen Terroranschlag etwa – abzuwehren. Es sollen Abweichler aufgespürt, kenntlich und unschädlich gemacht werden. „Melden“ und „denunzieren“ hängen etymologisch eng zusammen. Das Verb „denunzieren“ bedeutet laut dem Wörterbuch der Deutschen Sprache, „jemanden aus niedrigen Beweggründen anzeigen, verraten“. Es ist aus dem lateinischen „dēnūntiāre – ankündigen, Meldung machen“ entlehnt und wird seit dem 19. Jahrhundert abwertend verwendet. Ein Hoffmann von Fallersleben zugeschriebenes Zitat brachte es auf den Punkt: „Der größte Lump im ganzen Land ist und bleibt der Denunziant!“

Spitzel blühen auf

Der Lump, der innere Schweinehund, lauert stets in uns, er ist eine anthropologische Konstante, die alle Zeiten und Systeme überdauert. Um trotzdem ein humanes Zusammenleben zu ermöglichen, geben Gesellschaften sich einen Verhaltenskodex, ein informelles Regelwerk, das ihn an die Kette legt. Sogar die DDR, die mit 90.000 hauptamtlichen Stasi-Angestellten und 190.000 Informellen Mitarbeitern (IMs) in puncto Überwachung weiß Gott Weltspitze war, wagte es nicht, sich offiziell zu ihm zu bekennen. Die Spitzelei war flächendeckend und jeder wußte, daß es sich um eine staatliche Angelegenheit handelte, doch der Spitzel wurde allgemein verachtet.

Spitzel und Denunzianten blühen auf in Obrigkeitsstaaten und Diktaturen. Sie sind das Dementi des Citoyens, des mündigen Staatsbürgers, der dem Machthaber auf die Finger schaut und ihm nötigenfalls widerspricht. Der Denunziant hingegen bestätigt der Macht, sogar dort im Recht zu sein, wo sie den Wahnsinn zelebriert und ihn selber mit Füßen tritt. Mit dem Anschwärzen Dritter glaubt er Teil der Macht zu werden. Dieser Glaube kompensiert die eigene Erniedrigung und sein Defizit an Courage.

Ein Staat, der den inneren Schweinehund zum Tugendwächter und zivilgesellschaftlichen Aktivisten adelt, wird zum Zerstörer menschlichen Anstands und politischer Freiheit. Im Aufruf von Greenpeace: „Jetzt Meldeheld:in werden“, ist die „Lehre“ versammelt, die der Homo bundesrepublicanensis „aus der Geschichte“ gezogen hat: Der Blockwart steckt sich die Weiße Rose des Widerstands ins Knopfloch und fühlt sich erneut ins Recht gesetzt. „Wenn jemand aus eurer Familie Nazi-Propaganda auf Facebook oder woanders postet, reportet ihr das doch auch, oder? Antifaschismus ist dicker als Blut“, echot es aus dem Netz.

Denunzieren zerstört den öffentlich-politischen Raum

Durch Staatsaktionen wie das „Bundesprogramm Demokratie leben!“ wird die moralische Konfusion systemisch. Die Macht- und Propagandaorgane arbeiten unentwegt an der Kolonisierung und Bewirtschaftung des individuellen Gewissens. Dabei wird jenes informelle Regelwerk ausgeschaltet, zu dessen Normen gehören: ein Gefühl für Fairneß; das instinktive Wissen, daß Verrat und Vertrauensbruch widerwärtig sind und man den Nachbarn nicht vorsätzlich schädigt; und daß man nicht noch nachtritt, wenn der Gegner am Boden liegt. Natürlich werden die stillschweigend kodifizierten Anstandsregeln tagtäglich verletzt, aber solange sie gültig bleiben, verhindern sie das Schlimmste. Leider schreitet ihre Erosion unter den Anfeuerungsrufen aus Politik, Medien, Kirchen und Großorganisationen voran.

Zum Überwachungsapparat gehören auch die etablierten Medien, die seit Jahren als Denunziationsportale agieren. Das bleibt nicht ohne Wirkung. In den Zentralorganen der wachsamen Demokraten quollen die digitalen Leserbriefspalten wegen der Inhaftierung des Querdenker-Gründers Michael Ballweg über vor Häme und Schadenfreude. Die Favorisierung des inneren Schweinehundes führt zu personellen Deformierungen und erschafft eine kollektive Atmosphäre der Mißgunst, Furcht und Heimtücke.

Sie zerstört den öffentlich-politischen Raum, der entweder ein Ort des angstfreien Austausches oder eben ausgelöscht ist. Das atomisierte Individuum, befreit vom sozialen Vorwissen und vorstaatlichen Loyalitäten, soll seine Sinnerfüllung als Informeller Mitarbeiter der grünen Transformation finden. Die moralische und politische Enteignung geht einher mit der materiellen Beschlagnahme. Das Wärmepumpengesetz zur Klimarettung dekretiert eine Zwangshypothek, die Besitzer wie Mieter in Nöte stürzt. Es soll weder innere noch äußere Schutzräume vor neototalitären Zumutungen mehr geben. Der Staat, der das exekutiert, hat das Zeug zum Ungeheuer.

JF 16/23

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