Und täglich grüßt die „Cancel Culture“; was auch für die Betreiber der politisch korrekten Zensurkultur nicht mehr so einfach zu bewerkstelligen ist. Schließlich ist mittlerweile vom Karnevalskostüm bis zum Schnitzel schon so ziemlich alles auf etwaigen Rassismus oder sonstige Diskriminierungen abgeklopft. Einige Krieger vom Stamme der sozialen Gerechtigkeit finden aber dennoch immer wieder Spuren und letzte Überbleibsel aus der Zeit vor der woken Erweckung. Kulturgüter aus den Hochzeiten der alten weißen Männer und ihrer rücksichtslos freiheitlichen Auffassung von dem, was der Mensch darf.
Kinderlieder zu singen, soll künftig aber nicht mehr zu diesen gefährlich unsensibel ausgelebten Freiheiten gehören. Zumindest nicht, wenn sie irgendwelche „rassistischen“ Untertöne beinhalten. Daß die „Zehn kleinen Negerlein“ heute nicht mehr gehen, dürfte den meisten schon lange klar sein. Okay sind vielleicht gerade noch „Zehn kleine Zappelmänner“ oder der Toten Hosen-Hit „Zehn kleine Jägermeister“. Letzterer aber nur, wenn keine Alkoholkranken anwesend sind, die sich durch das Absingen des Sauflied-Klassikers irgendwie angegriffen oder verführt fühlen könnten.
Der asiatischstämmige Journalist Frank Joung fühlt sich durch ein anderes altes deutsches Kinderlied beleidigt. Es ist natürlich der launige Gesang über die deutschen Umlaute und die „Drei Chinesen mit dem Kontrabaß“, an dem sich der Berliner Medienschaffende stört. Joung ist selbst kein Chinese. Er wurde in Hannover geboren. Seine Eltern stammen aus Korea. Seine ehemaligen Mitschüler haben das sprachliche Kinderspiel mit den drei musikalischen Chinesen trotzdem auf ihn bezogen, erzählt er.
„Halbe Kartoffl“ ist natürlich kein Problem
„Ich dachte: Was habe ich mit Chinesen zu tun?“, erinnert sich der heute 45jährige. Er habe nicht mehr mitgesungen – und die anderen Kinder hätten gelacht. „Das war mir peinlich, ich war genervt und ärgerte mich.“ Willkommen im Klub derer, die als Kind von Gleichaltrigen aufgezogen oder ausgelacht wurden. Ein besonders exklusiver Klub ist das nicht. So ziemlich jeder dürfte die Erfahrung gemacht haben – wenn er nicht gerade der Sprößling eines mächtigen Araber-Clans ist und mehr Brüder und Cousins hatte als Klassenkameraden.
Der Zirkel, zu dem Joung mittlerweile gehört, ist da schon etwas exklusiver. Wenn auch schon lange nicht mehr so exklusiv wie er mal war. 2016 gründete er einen Podcast, in dem er sich mit Deutschen mit ausländischen Wurzeln unterhält. Titel der Gesprächsreihe: „Halbe Katoffl“. Wie so viele, die irgendwas mit Medien und Migrationshintergrund machen, hat auch der Deutsch-Koreaner mit dem kultursensiblen Gehör für Kinderlieder offenbar kein Problem mit dem Bedienen von abgedroschen Klischees; wenn man damit Geld verdienen und ein bißchen berühmt werden kann.
Ob die „Halbe Katoffl“ seinen Podcast auch „Halbes Reiskorn“ genannt hätte, wenn ihm der Titel genügend Klicks in Aussicht gestellt hätte, weiß man nicht. Andere Berufsmigranten und Rassismus-Jäger haben jedenfalls zum Beispiel kein Problem damit, ihren mit öffentlich-rechtlichen Gebührengeldern subventionierten Podcast „Kanackische Welle“ zu nennen.
Kolumbus und Affen fallen in Ungnade
Das Veralbern der Sprache durch Zeilen wie „Dra Chanasan“, „Dri Chinisin“ oder „Dru Chunusun“ findet Joung jedenfalls verletzend, wie er sagt, und auch Kinderreime wie „Ching Chang Chong“. Unterstützung bekommt er von dem Musikethnologen Nepomuk Riva. „Es ist eine relativ überschaubare Anzahl von Liedern, die ich als kritisch betrachte“, sagt der Forscher von der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover noch relativ gelassen. Fährt dann allerdings in deutlich strengerem Ton fort: Es sei ihm ein Rätsel, warum diese Lieder noch in Büchern auftauchten. Aber auch das wird wohl schon bald der Vergangenheit angehören. Mit unliebsamen Büchern war das in Deutschland ja schon immer so eine Sache.
Ein Lied, das auch so gar nicht nach dem Geschmack des Musikkritikers ist, ist das alte Volkslied „Ein Mann, der sich Kolumbus nannt“. Darin erscheine die Entdeckung Amerikas wie ein lustiger Spaziergang des Seefahrers. Als Pointe schreien die erschreckten „Wilden“: „Wir sind entdeckt!“ Laut Riva, dem man zutraut, von Humor genauso viel zu verstehen wie von Musik, sei das natürlich nicht mit Ironie zu rechtfertigen. „Dazu müßte man wissen, wie es wirklich war. Von Umsiedlungen, Vertreibungen und Hetzjagden auf indigene Völker ist keine Rede.“
Das rockige Mitgröl-Lied „Die Affen rasen durch den Wald“ ist dem Musikethnologen ebenfalls ein Dorn im Auge. Dafür, daß er sich zum Eingang seiner Ausführungen so liberal gab, ist der Political-Correctness-Controller von der Musikhochschule jedenfalls ziemlich streng. Das Affenlied hält Riva für höchstproblematisch; zumal die Affen in Abbildungen in Liederbüchern vermenschlicht würden.
VW kümmert sich um Kinderlieder
Viele Musikbuchverlage sind im rivaschen Sinn immerhin auf einem „guten“ Weg. Auch wenn es um die von ihm so ungeliebten Musikchinesen geht. Der Carus-Musikverlag versichert allen Freunden des politisch korrekten Gleichklangs: „Bei uns ist diskriminierungs-unsensible Sprache in Kinderliedern selbstverständlich immer ein Thema. Wir wägen immer sehr bewußt ab, und wenn wir ein Lied wie ‘Drei Chinesen mit dem Kontrabaß’ in eine Edition aufnehmen, dann geschieht das immer mit einer entsprechenden Einordnung beziehungsweise einem Hinweis.“ Der Ravensburger Verlag hat die „Drei Chinesen“ sogar schon komplett rausgeschmissen.
Auch die ersten Großunternehmen sind schon woke. Im September hatte die Volkswagenstiftung in Hannover eine Veranstaltung zum Thema Rassismus in Kinderliedern organisiert. Die Reaktionen im Publikum seien gespalten gewesen, berichtet Riva. Man darf durchaus vermuten, daß das, was die Zustimmung zu seiner Sicht der Dinge angeht, noch sehr positiv formuliert war.
Wo es darum geht, Kindern politisch korrekt den Spaß zu verderben, und sie dabei ein bißchen für die eigene Ideologie anzufixen, ist natürlich auch die Amadeu-Antonio-Stiftung mit dabei. Die Erziehungswissenschaftlerin Rosa Fava plädiert dafür, Diversität abzubilden. In einem Lied zum Alphabet könnte das „O wie Ostern“ um „Ch für Chanukka“ und „R wie Ramadan“ ergänzt werden, lautet einer der genialen Vorschläge.
Selbst in dem Einschulungslied „Alle Kinder lernen lesen“ hat die Stiftungs-Dame rassistische Bezeichnungen entdeckt. „Viele Menschen kennen das Konzept von Alltagsrassismus gar nicht, sie denken bei Rassismus gleich an Nazis oder Neo-Nazis.“ Dabei könne man auch unbewußt rassistische Bilder weitertragen. Es ginge darum, das Verletzende an Anredeweisen oder Bildern zu erkennen, selbst wenn diese mit Spaß an den entsprechenden Liedern und positiven Kindheitserinnerungen verbunden seien.
Mein Gott… Mir war schon lange nicht mehr so nach ein paar Mitgröl-Liedern.