Nur sieben Monate nach dem Ende der Amtszeit von Angela Merkel wird das ganze Desaster ihrer Fehlentscheidungen sichtbar. Nicht nur wurde die Bundeswehr in naiver Friedensseligkeit unverantwortlich geschwächt. Deutschland ist zudem so abhängig von Energieimporten aus anderen Ländern wie nie zuvor, namentlich von russischem Gas.
Das nutzt Wladimir Putin jetzt aus, Robert Habeck ruft den Notstand aus. Die Lieferungen aus der Pipeline Nord Stream 1 hat Putin bereits reduziert, wenn auch zunächst nur um 60 Prozent und angeblich wegen Wartungsarbeiten. Damit will er uns wohl sagen: Ihr könnt jederzeit wieder mehr Gas bekommen, wenn ihr nach meiner Pfeife tanzt.
Tatsächlich explodieren bei uns die Preise für Energie und wichtige Nahrungsmittel geradezu, allerdings nicht allein wegen Putin und Corona. Denn der Wert des Euro leidet nach langer Zeit scheinbarer Stabilität inzwischen ohnehin angaloppierender Schwindsucht. Die immer ungeniertere Staatsfinanzierung der EZB mit der Notenpresse fliegt uns jetzt um die Ohren. Auch der Wechselkurs zum Dollar ist gesunken, binnen Jahresfrist um mehr als elf Prozent.
Das wiederum treibt die Importpreise für Öl und Gas weiter nach oben. Dazu kommen noch die Kosten der Energiewende und die CO2-Abgabe. So sind die Deutschen mittlerweile nicht nur Weltmeister bei den Stromtarifen, sondern zahlen neben den Dänen auch die höchsten Preise für das Heizen und an den Zapfsäulen.
Putin scheint am längeren Hebel zu sitzen
Auf den ersten Blick scheint Putin somit tatsächlich am längeren Hebel zu sitzen. Wegen der hohen Gaspreise kann er sich trotz rückläufiger Mengen sogar über steigende Einnahmen freuen. Das dürfte allerdings kein Dauerzustand sein. Denn hohe Preise lösen erfahrungsgemäß Substitutionsprozesse aus, sowohl beim Angebot als auch auf der Nachfrageseite. Noch ist das schwierig und teuer.
So können zum Beispiel nicht von heute auf morgengenügend Transportkapazitäten für alternative Gasimporte auf dem Meer und im Binnenland geschaffen werden. Längerfristig wird das aber der Fall sein, und auch den Energieverbrauchern dürfte es zunehmend gelingen, sich den neuen Verhältnissen anzupassen.
Entsprechende Marktreaktionen begrenzen aber auch die Wirkung der Rußland-Sanktionen. So sind inzwischen China und Indien Hauptabnehmer für russisches Öl und Gas, wenngleich zu niedrigeren Preisen. Denn die Transportkosten sind höher als nach Europa, was Putin zu entsprechendem Entgegenkommen zwingt.
Umgekehrt kommt aber dafür wiederum mehr Öl in die westliche Welt aus Saudi-Arabien, das bisher wichtigster Lieferant von China war. Die Ankündigung der BRICS-Staaten, künftig noch stärker untereinander zu handeln, sollte uns also nicht zu sehr erschrecken. Allerdings muß auch die Politik entsprechend umdenken.
Wiedereinstieg in die Atomkraft bleibt unausweichlich
Immerhin läßt selbst der grüne Wirtschaftsminister inzwischen wieder auf Kohle zur Erzeugung des notwendigen Stroms zurückgreifen. Aber das soll nur vorübergehend der Fall sein. Danach will die Ampel noch stärker auf erneuerbare Energien umstellen als bisher. Eine eventuelle Laufzeitverlängerung der drei noch verbliebenen Atomkraftwerke ist sogar grundsätzlich weiterhin umstritten.
Offenbar hoffen die Regierungsparteien, sich auf diese Weise durch die Krise zu mogeln, ohne ihre Klimaschutz-Agenda aufzugeben. Das dürfte sich jedoch als Illusion erweisen. Schließlich weiß niemand, wie lange sich der Krieg in der Ukraine noch hinziehen wird. Alles scheint derzeit möglich, von einer Spaltung des Landes bis hin zu einem langen Stellungskrieg.
Wie auch immer es ausgeht, die früheren Zeiten kommen keinesfalls zurück. Rußland wird vielmehr auf unabsehbare Zeit als verläßlicher Handelspartner und Energielieferant ausfallen. Zu groß sind der Schock und der Vertrauensverlust, selbst wenn es zu einem Friedensschluß kommen sollte. Man wird schon froh sein können, wenn der Konflikt nicht noch auf andere Länder des früheren Sowjetreichs oder gar auf die Nato-Staaten übergreift.
Die grüne Energiewendepolitik ist obsolet geworden
So oder so ist die Energiewende im bisherigen Sinne damit obsolet geworden. Denn Sonne und Wind benötigen als Reservekapazität nun einmal konventionelle Energieträger in gleich hoher Kapazität. Diese Doppelung ist teuer, und man kann dabei nach Lage der Dinge auch nicht mehr einseitig nur auf Gas setzen.
Zudem schaffen auch die Erneuerbaren neue Abhängigkeiten, etwa von den Produzentenländern Seltener Erden. Daher ist Diversifizierung in der Energieversorgung das Gebot der Stunde. Alle bisher verworfenen Alternativen müssen dabei ohne ideologische Vorbehalte wieder auf den Tisch.
Illusorisch ist es allerdings, die verbliebenen drei Atommeiler einfach ein paar Monate länger laufen zu lassen und dann doch endgültig abzustellen. Weder die Betreiberfirmen noch die Beschäftigten dort werden das mitmachen. Ohnehin ist es schon schwierig genug, die längst ausgesprochenen Kündigungen von Materialzufuhr und hochqualifizierten Mitarbeitern zu revidieren.
Eine Zeitwende auf allen Politikfeldern muß her
Angesichts der dramatischen Veränderung der Weltlage ist es daher angezeigt, den Beitrag der Kernenergie zur sauberen und klimafreundlichen Energieversorgung grundsätzlich neu zu bewerten. Andere Länder und selbst die EU haben dies längst getan, sofern sie überhaupt jemals den deutschen Sonderweg mitgegangen sind. Abgesehen von Österreich war das praktisch nirgendwo der Fall.
So hat Frankreichs Präsident Macron erst kürzlich den Neubau von bis zu 14 weiteren Atomkraftwerken angekündigt. Über 56 AKWs verfügt das Land bereits und ist damit nach den USA der größte Atomstrom-Produzent der Welt. So gesehen hat die aktuelle Krise auch ihr Gutes. Der von Kanzler Scholz ausgerufenen Zeitenwende muß jetzt auch eine entsprechende Politikwende folgen.
Das betrifft keineswegs nur die Energie- und Verteidigungspolitik. Vielmehr bedarf auch die Arbeitsmarkt-, Sozial- und Migrationspolitik einer grundsätzlichen Neuorientierung. Wie kann man zum Beispiel erklären, daß trotz rückläufigen Wachstums und millionenfacher Einwanderung akuter Arbeitskräftemangel in der Wirtschaft herrscht?
Vor allem Fachkräfte in Industrie und Handwerk sind kaum noch zu finden, aber auch in Gastronomie und Einzelhandel werden fleißige Hände dringend gesucht. Irgend etwas ist wohl gründlich schiefgelaufen bei dem Versuch, junge und motivierte Arbeitskräfte im Wege humanitär begründeter Masseneinwanderung ins Land zu holen. Man hat allerdings nicht den Eindruck, daß die Ampel hier umdenken will, ganz im Gegenteil.
JF 27/22