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Aufarbeitung des Auslandseinsatzes: Afghanistan-Untersuchungsausschuß: unwürdiger Tanz auf Soldatengräbern

Aufarbeitung des Auslandseinsatzes: Afghanistan-Untersuchungsausschuß: unwürdiger Tanz auf Soldatengräbern

Aufarbeitung des Auslandseinsatzes: Afghanistan-Untersuchungsausschuß: unwürdiger Tanz auf Soldatengräbern

Ein Ehrenhain für gefallene Soldaten in Afghanistan: Die Aufarbeitung geschieht unter falschen Vorzeichen Foto: picture alliance / Gregor Fischer/dpa | Gregor Fischer
Ein Ehrenhain für gefallene Soldaten in Afghanistan: Die Aufarbeitung geschieht unter falschen Vorzeichen Foto: picture alliance / Gregor Fischer/dpa | Gregor Fischer
Ein Ehrenhain für gefallene Soldaten in Afghanistan: Die Aufarbeitung geschieht unter falschen Vorzeichen Foto: picture alliance / Gregor Fischer/dpa | Gregor Fischer
Aufarbeitung des Auslandseinsatzes
 

Afghanistan-Untersuchungsausschuß: unwürdiger Tanz auf Soldatengräbern

Ein Jahr nach dem überstürzten Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan soll sich nun ein Untersuchungsschuß mit dem Einsatz in dem Land befassen. Doch statt zu fragen, wie es beispielsweise zu der jahrelangen Fehleinschätzung der dortigen Sicherheitslage kommen konnte, setzt die Politik andere Schwerpunkte. Ein Kommentar von René Springer.
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Es ist ein warmer Septembertag in Kabul. Ich stehe in deutscher Wüstentarnuniform auf dem Dach meiner Militärbaracke im Zentrum der Stadt und telefoniere mit der Heimat. An der Brusttasche meiner Uniform baumelt mein Dienstausweis: René Springer, Senior Chief Petty Officer, Germany, Operation Enduring Freedom, Combined Security Transition Command – Afghanistan. Plötzlich rumst es ohrenbetäubend laut, ich spüre eine Druckwelle. Rauch steigt in der Nähe auf, jemand ruft hektisch auf Englisch „Down! Down!“ und geht neben mir in Deckung, sein Gewehr im Anschlag. Nur rund 200 Meter Luftlinie entfernt fuhr ein Selbstmordattentäter mit seinem zur Bombe umgebauten Toyota in den berühmten Massoud-Kreisverkehr und sprengte sich neben einer amerikanischen Patrouille in die Luft. Später ist von sechzehn Toten die Rede – Zivilisten und Soldaten. Ich kenne den Kreisverkehr gut. Er liegt auf meinem Arbeitsweg. Ich hatte Glück an diesem Tag. Mehr Glück als die zum damaligen Zeitpunkt zwanzig deutschen Soldaten, die seit Beginn des Einsatzes nicht mehr lebend zu ihren Familien zurückkehrten.

Das war im Jahr 2006. Deutschland engagierte sich zu diesem Zeitpunkt bereits fünf Jahre militärisch in Afghanistan. Fünfzehn lange Jahre sollten noch hinzukommen, bis sich das Scheitern am Hindukusch politisch nicht mehr kaschieren ließ. Am Ende mußte die Bundeswehr das Land Hals über Kopf und mit eingezogenem Schwanz verlassen. „Ihr habt die Uhr, wir haben die Zeit“, war die Haltung der Taliban gegenüber den verhaßten Besatzern aus dem Westen. Das Spiel auf Zeit haben die Koranschüler in Sandaletten mit Kalaschnikows und selbstgebastelten Sprengsätzen gewonnen.

Mehr als siebzehn Milliarden Euro aus dem deutschen Haushalt versickerten im Wüstensand und in den Taschen korrupter Afghanen. Über 100.000 deutsche Soldaten, die dort im Verlauf des Einsatzes ihren Dienst verrichteten, wurden verheizt, 59 ließen ihr Leben, Tausende kehrten mit einsatzbedingten psychischen Erkrankungen heim. In ihren Köpfen setzte sich der Krieg oftmals noch Jahre fort. Das alles für nichts.

Wer übernimmt die Verantwortung für den Einsatz?

Der Ruf nach gründlicher parlamentarischer Aufarbeitung dieses Desasters wurde immer lauter. Nun wurde er von der Ampel erhört. Einen Monat, nachdem die AfD-Bundestagsfraktion einen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses eingebracht hatte, legt die Ampel mit der CDU/CSU im Schlepptau jetzt nach. Doch was da zu Papier gebracht wurde, ist an politischer Ignoranz und Dreistigkeit nicht mehr zu übertreffen.

Denn von all den Fragen, die man hätte stellen müssen, findet sich keine einzige im Antrag. Allen voran fehlt die Frage, wer die politische Verantwortung für den zwanzigjährigen Einsatz trägt, bei dem trotz aller erbrachten Opfer kein einziges Ziel erreicht wurde. Weshalb wurde die Sicherheitslage trotz aller Stabilisierungsbemühungen von Jahr zu Jahr immer prekärer? Wie konnten fünf Bundesregierungen sich selbst und die deutsche Öffentlichkeit derart täuschen, daß man an einem Krieg festhielt, der nicht zu gewinnen war? Warum setzte die Bundesregierung auf korrupte Warlords und Kriegsverbrecher als Partner, denen der eigene Machterhalt wichtiger war als staatliche Stabilität?

Wie konnte Afghanistan trotz des jahrelangen Kampfes gegen die Drogenproduktion zum Global Player im Drogengeschäft aufsteigen, der zuletzt achtzig Prozent aller Drogenkonsumenten weltweit mit Opium versorgte? Warum hat sich die Bundesregierung trotz der militärisch aussichtslosen Situation so lange geweigert, mit den Taliban Gespräche zu führen, wie es der damalige SPD-Vorsitzende Kurt Beck bereits 2007 forderte und von US-Präsident Trump dann 2020 durchgezogen wurde? Wie konnte ein riesiger Armee- und Polizeiapparat, der zwanzig Jahre lang vom Westen ausgebildet, ausgerüstet und finanziert wurde, innerhalb weniger Tage kollabieren?

Afghanistan-Untersuchungsausschuß ist eine Farce

Weil diese Fragen im geplanten Untersuchungsausschuß nicht gestellt werden, wird es darauf auch nie Antworten geben. Keine Sicherheitsbehörde wird sich für die fehlerhafte Beurteilung der Lageentwicklung vor Ort rechtfertigen müssen. Kein General, Staatssekretär oder Minister wird für fehlerhafte Entscheidungen oder wegen der Vortäuschung falscher Tatsachen öffentlich unter Druck geraten. Niemand wird die politische Verantwortung übernehmen. So viel steht jetzt schon fest. Denn im Hohen Haus deckt man sich gegenseitig. Keine Krähe hackt hier einer anderen das Auge aus. Stattdessen stiehlt man sich mit einem dreisten Scheinantrag aus der Verantwortung.

Denn der Untersuchungsausschuß beschränkt sich einzig und allein auf den überhasteten Abzug im vergangenen Jahr und soll im Wesentlichen zwei Fragen klären: Warum konnten nicht noch weitere sogenannte Ortskräfte evakuiert werden und warum wurden ausreisepflichtige Straftäter nach Afghanistan abgeschoben? Angesichts des enormen Aufklärungsbedarfes ist das eine einzige Farce. Mehr noch, wenn im Antrag an 19 Stellen von „Ortskräften“ die Rede ist, aber unsere gefallenen Soldaten nicht mit einem einzigen Wort erwähnt werden, dann ist der kommende Untersuchungsausschuß zu Afghanistan eine Verhöhnung aller Opfer und Hinterbliebenen dieses sinnlosen Krieges. Er wird als unwürdiger politischer Tanz auf Soldatengräbern in die deutsche Parlamentsgeschichte eingehen.

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René Springer ist seit 2017 AfD-Bundestagsabgeordneter. Er war 2006 bis 2007 als Bundeswehrsoldat in Afghanistan im Einsatz. 

Ein Ehrenhain für gefallene Soldaten in Afghanistan: Die Aufarbeitung geschieht unter falschen Vorzeichen Foto: picture alliance / Gregor Fischer/dpa | Gregor Fischer
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