Aus dem Tierreich sind sogenannte Neuroparasiten bekannt, beispielsweise der Wespenfeind (Xenos Vesparum). Seine Larve befällt die gallische Feldwespe und ernährt sich nicht nur von ihrem Blut, sondern steuert fortan auch ihr gesamtes Verhalten. Das Wirtstier wird so zu einer Art Zombie: Es sieht zwar noch aus wie eine Wespe, dient aber jetzt nur noch der Vermehrung des Parasiten, bis es schließlich verendet.
Die gleiche Strategie kennt man in der Politik als Marsch durch die Institutionen. Die gezielte Infiltrierung entsprechender Führungspositionen läßt sie formal unverändert, kann aber die ursprüngliche Ausrichtung in das genaue Gegenteil verändern. Selbst per Gesetz unabhängige Zentralbanken können auf diese Weise umgedreht beziehungsweise ferngesteuert werden.
Deshalb hatte Deutschland damals auf Frankfurt als Sitz der Europäischen Zentralbank (EZB) bestanden. Die Hoffnung war, daß sich die deutsche Tradition einer stabilitätsorientierten Geldpolitik in dieser Umgebung besser bewahren lassen würde als etwa in Paris oder gar in Rom. Genutzt hat es dennoch nicht viel, wie wir inzwischen wissen.
SPD will Feld nicht mehr
Das jüngste Opfer der Zombifizierungs-Strategie droht jetzt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zu werden. Bisher war es üblich, die Amtszeit der „Wirtschaftsweisen“ jeweils zu verlängern, wenn sie nicht selbst ausscheiden wollten oder bei ihren Kollegen in Ungnade gefallen waren. Beides ist bei dem amtierenden Ratsvorsitzenden Lars Feld nicht der Fall.
Er gehört dem Gremium seit zehn Jahren an und wurde erst im vergangenen Jahr zu seinem Vorsitzenden gewählt. Als Finanzwissenschaftler und Leiter des Freiburger Walter-Eucken-Instituts genießt er einen ausgezeichneten Ruf. Konziliant im Ton, vertritt er dezidiert marktwirtschaftliche Positionen und gehört zu Deutschlands einflußreichsten Ökonomen.
Jetzt aber sperrt sich die SPD gegen die Verlängerung seiner Amtszeit. Dem Vernehmen nach soll ein eher links ausgerichteter Nachfolger an seine Stelle treten, im Gespräch sind Marcel Fratzscher und Jens Südekum. Beide stehen der SPD nahe, Südekum ist sogar Parteimitglied. Fachlich genießen auch sie einen guten Ruf, den aber vor allem DIW-Chef Fratzscher immer wieder mit wenig fundierten Gefälligkeitsanalysen aufs Spiel setzt.
Rat sollte frei von politischer Einflussnahme sein
So rechnete er 2015 vor, der unkontrollierte Flüchtlingsstrom werde sich schon bald für Deutschland wirtschaftlich rentieren. Diese Analyse war derart hanebüchen, daß sogar die FAZ damals titelte: „Fratzscher kann nicht mal Excel“. Korrigiert hat er den Unsinn bis heute nicht.
Noch sperrt sich die Unionsfraktion gegen die Pläne der SPD, den Rat umzudrehen. Es ist aber wohl nur eine Frage der Zeit, bis es dennoch dazu kommen wird. Dabei sollte der Rat eigentlich gut gegen politische Einflußnahme geschützt sein. Laut SVR-Gesetz von 1963 ist er nämlich „nur an den durch dieses Gesetz begründeten Auftrag gebunden und in seiner Tätigkeit unabhängig.“
Seine fünf Mitglieder dürfen „weder der Regierung oder einer gesetzgebenden Körperschaft des Bundes oder eines Landes noch dem öffentlichen Dienst des Bundes, eines Landes oder einer sonstigen juristischen Person des öffentlichen Rechts“ angehören, mit Ausnahme von Universitäten oder wissenschaftlichen Instituten. Sie werden für jeweils fünf Jahre direkt vom Bundespräsidenten berufen, allerdings auf Vorschlag der Bundesregierung. Eine vorzeitige Abberufung ist nicht möglich. Andererseits besteht aber auch kein Anspruch auf Wiederberufung, was die SPD sich nun zunutze machen will.
Der Marsch zurück zur Planwirtschaft
Die Politisierung des Rates hat ohnehin längst begonnen. Zwar wollte Ludwig Erhard damals ein wirklich unabhängiges Gremium schaffen. Er ließ deshalb in das Gesetz schreiben, die Ratsmitglieder dürften auch „nicht Repräsentant eines Wirtschaftsverbandes oder einer Organisation der Arbeitgeber oder Arbeitnehmer sein“. In der Praxis bildete sich aber dennoch von Beginn an ein faktisches Vorschlagsrecht der Tarifparteien für jeweils ein Ratsmitglied heraus.
Traditionell waren dies zwar angesehene Wirtschaftsprofessoren, auch wenn sie sich oft durch umfangreiche Minderheitsvoten profilierten. Über die Qualifikation von Achim Truger, der aktuell diese Rolle im Rat spielt, gab es allerdings schon einiges Naserümpfen in der Ökonomenzunft. Seit einiger Zeit ist es zudem ein ungeschriebenes Gesetz, daß mindestens zwei Ratssitze mit Frauen zu besetzen sind. Obwohl auch diese bisher durchaus qualifiziert waren, hat damit faktisch die Quoten-Unsitte Einzug in das bislang angesehenste ökonomische Beratergremium gehalten.
Setzt sich die SPD jetzt noch mit Fratzscher oder Südekum durch, wird es auch mit der marktwirtschaftlichen Grundausrichtung des Rates bald vorbei sein. Damit fällt eine weitere Bastion gegen den Marsch zurück zu Planwirtschaft und Staatsinterventionismus, der unter Bundeskanzlerin Angela Merkel unaufhaltsam vorangeschritten ist. Sie braucht dann die Ratsgutachten nicht mehr wie bisher zu ignorieren, sondern wird sie im Gegenteil zur Bestätigung ihrer Politik benutzen können.
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Prof. Ulrich van Suntum ist Volkswirt und lehrte von 1995 bis 2020 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und war Generalsekretär des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (der sogenannten Wirtschaftsweisen).