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Corona-Pandemie: Wenn der Staat versagt

Corona-Pandemie: Wenn der Staat versagt

Corona-Pandemie: Wenn der Staat versagt

Schule bald wieder im Lockdown
Schule bald wieder im Lockdown
Ein Grundschüler nimmt zuhause vor dem Bildschirm am Onlineunterricht teil Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Annette Riedl
Corona-Pandemie
 

Wenn der Staat versagt

Die Gesundheitskrise hat sich lange angekündigt. Die Politik hat schlecht vorgesorgt. Nun sollen vielleicht Kinder wieder nicht zur Schule gehen können, damit Vulnerable vor vermeidbaren Infektionen geschützt werden. Das ist falsch verstandene Solidarität. Ein Kommentar.
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Lockdown-Maßnahmen waren rechtens, urteilt das Bundesverfassungsgericht. Kontaktbeschränkungen, Ausgangssperren und sogar Schulschließungen waren „verhältnismäßig“, befinden die höchsten deutschen Richter in Karlsruhe. Die jetzt abermals aufgeworfene Frage nach der Unabhängigkeit ist nicht die entscheidende, sondern die nach der Lebensrealität.

Und die ist durch und durch geprägt von Corona. Kein Tag vergeht, da nicht jedes Medium wenigstens drei Meldungen zum Thema verbreitet. Wo steht die Inzidenz? Wer ist im Krankenhaus? Und was treiben die Ungeimpften? Ein Abklingen der glühend erhitzten Erregungsspirale ist nicht in Sicht. Schon steht die neueste „besorgniserregende Variante“ Omikron vor der winterlichen Tür, die vielleicht noch infektiöser als Delta und derart mutiert ist, daß sie die fast acht Milliarden weltweit ausgebrachten Impfungen umgehen könnte. Könnte! Daß Ärzte aus Südafrika sagen, die Infektionen verlaufen bisher ausgesprochen milde, wird da geflissentlich überhört. Es paßt der Mehrheit nichts ins Bild.

Lockdown kostet vier Milliarden pro Woche

Alles schlimm also. Als „Staatsversagen“ geißelte der Ökonom Daniel Stelter im Frühjahr 2021 den da gerade zu Ende gehenden Lockdown und rechnete vor, was Kanzlerin Angela Merkel, Gesundheitsminister Jens Spahn und alle Ministerpräsidenten Deutschlands in einem halben Jahr Atempause zwischen dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 und dem zweiten im Winter nicht geschafft hatten.

1. Der (bereits 2013 erstellte) Pandemie-Plan wurde nicht umgesetzt. 2. Politiker kauften überteuerte Masken und andere Hilfsmittel. 3. Die vielgepriesene Corona-Warn-App unterstützte die Kontaktnachverfolgung kaum. 4. Testkonzepte gingen fehl. 5. Risikogruppen wurden nicht geschützt. 6. Was andere Länder richtig machen, wurde ignoriert. 7. Man versagte bei der Verteilung des Impfstoffs. Alles zusammen: „Vier Milliarden Euro pro Woche kostete uns der Lockdown.“

Hat sich etwas geändert? Nein. Es ist weiter kein Plan in Sicht. Politiker kaufen Unmengen von Impfstoff, die für fünf Impfungen pro Bürger genügen, aber keine neuen Varianten abdecken. Die Warn-App dient nur dazu, das Impfzertifikat bereitzuhalten. Die Testung von Geimpften wird nirgends verlangt, denn das würde das sakrosankte Narrativ, daß diese „vollkommen sicher“ seien, beleidigen. Was andere Länder richtig machen, bleibt egal. Und Impfzentren wurden vor dem Winter sogar noch dichtgemacht. Kinder sollen gar geimpft werden, während Ältere auf ihre Auffrischung warten.

Distanzunterricht funktioniert für Grundschüler nicht

Stelter schloß damals: „Merkel und ihre Minister haben alle gemeinsam ihre Verpflichtungen nicht erfüllt“. Der Ökonom meinte die Verpflichtung dem Bürger gegenüber, der nicht unmittelbar durch Corona gefährdet war. Wie etwa die Schüler und besonders die Grundschulkinder. Hier winkt Karlsruhe jetzt der Politik freundlich zu und erinnert „daß das Verbot von Präsenzunterricht bei einem allgemeinen Impfangebot allmählich seine Rechtfertigung verlieren könnte“. Denn besonders für Grundschüler sei der Distanzunterricht ungeeignet. „Fertigkeiten und Wissen“ seien ihnen so nicht „erfolgreich zu vermitteln“.

Diese Kinder verlieren ihr Grundrecht auf Bildung aus „Solidarität“, weil einige Alte ungeimpft bleiben wollen. Denn der Lockdown war – so lautete das Narrativ – ein Akt der Solidarität. Die Regierung hätte also dafür sorgen müssen, daß diese Solidarität nicht zu einer dauerhaften Einbahnstraße wird.

Hat sie aber nicht. Heute wird von breiter medialer und politischer Front wieder ein Lockdown gefordert, auch wenn sich die jüngste Ansteckungswelle erstmal abgeschwächt hat. Belege für die Effektivität der einzelnen Maßnahmen bleibt die Regierung weiterhin schuldig.

Wieviel Risiko wollen wir als Gesellschaft akzeptieren?

Die Krankenhäuser melden aber bereits 4.575 intensivmedizinisch behandelte Covid-Patienten. Zu Beginn des Dezember 2020 waren es dagegen nur 4.000. Und nein, daran sind nicht nur die Ungeimpften schuld. Und auch nicht die Kinder, die immer wieder als „Treiber der Pandemie“ verleumdet werden. Es gibt dank dieser Erzählung Großeltern, die ihre Enkel nicht sehen wollen, weil sie mehr Angst vor dem Virus als vor dem Vergessenwerden haben. Wahrscheinlich hat es noch nie in der Geschichte eine Gesellschaft gegeben, die so wenig Liebe für ihre Kinder und Enkelkinder hatte. Aber es hat auch noch keine Gesellschaft gegeben, die so wenig Kinder hatte und so alt war.

Es ist lange bekannt, daß die Risikowahrnehmung im Alter zunimmt. So ist es erklärbar, daß sich nur vier von zehn Menschen in Deutschland als ungefährdet durch das Virus sehen, wie das Cosmo-Projekt der Uni Erfurt zeigt. Die tatsächliche Gefahr für jeden Einzelnen ist weit geringer. Deutlich unter einem Prozent der Infizierten landet gegenwärtig noch auf der Intensivstation, die dank des demographischen Wandels seit über zehn Jahren immer weniger Pfleger bereithält.

Die Frage, die wir uns als Gesellschaft stellen müssen, ist also weniger, wie kommen wir gut durch den Winter, sondern vielmehr, wie wollen wir künftig leben? Wollen wir zurück zu einer Gesellschaft, wie sie vor Wuhan existierte? Eine Gesellschaft, die vermeidbare Virus-Erkrankungen als normales Grundrisiko akzeptiert? Oder wollen wir miteinander einen Weg finden, der diese Risiken für alle verringert?

Die Spaltung schreitet voran

Deutschland ist momentan mit wenig Rücksicht für Gewohntes und bis vor zwei Jahren Normales auf dem zweiten Weg. Die Bruchlinien werden immer schärfer. Einerseits gibt es Angriffe auf Impf-Teams an Schulen oder Impf-Ärzte. Andererseits werden Ungeimpfte pauschal als Terroristen diffamiert und ausgegrenzt. Ein Zusammenkommen scheint unmöglich. Beide Gruppen leben in ihrer eigenen Welt.

Die Freunde der Impfung sehen sich von den hohen Zahlen an Ungeimpften auf den Krankenstationen bestätigt. Die Ungeimpften dagegen lesen jede Impfnebenwirkung als Bestätigung für ihre Entscheidung, sich nicht dem staatlichen Druck zu diesem medizinischen Eingriff zu unterwerfen. Für eine Impfpflicht – richtiger eine Impf-Abo-Pflicht, denn es werden andere Varianten und Viren kommen – hatte die Politik keinen Mut, und vielleicht auch kein ehrliches Interesse. Bleibt also nur das winterliche Einmotten des Staates und die Spaltung mit 2G.

JF 49/21

Ein Grundschüler nimmt zuhause vor dem Bildschirm am Onlineunterricht teil Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Annette Riedl
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