Anzeige
Anzeige

Die gespaltene Gesellschaft: Radikalisierte Regenten

Die gespaltene Gesellschaft: Radikalisierte Regenten

Die gespaltene Gesellschaft: Radikalisierte Regenten

Kanzler Scholz
Kanzler Scholz
Olaf Scholz gibt Ungeimpften die Schuld Foto: picture alliance/dpa/dpa Pool | Bernd von Jutrczenka
Die gespaltene Gesellschaft
 

Radikalisierte Regenten

Die Corona-Gegenwart lehrt uns über die Geschichte mehr, als alle Fernsehdokus, Proseminare und staatlichen Gedenkstunden zusammen. Ganze Bevölkerungsgruppen werden zu Volksfeinden erklärt. So dringt die Spaltung in die soziale Feinstruktur ein und steigert sich zur Atomisierung der Gesellschaft. Ein Kommentar.
Anzeige

Die Corona-Gegenwart lehrt uns über die Geschichte mehr, als alle Fernsehdokus, Proseminare und staatlichen Gedenkstunden zusammen. Zum Beispiel belehrt sie uns darüber, wie das möglich war, wie das so geht und anfängt, wenn Bevölkerungsgruppen zu Volksfeinden erklärt werden, zu Saboteuren von Fortschritt, Vernunft und allgemeiner Wohlfahrt, wenn sie als Schädlinge der Volksgesundheit stigmatisiert und ausgesondert werden und man ihnen mit immer neuen Schikanen das Leben erschwert.

Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) hat erklärt, es gehe darum, „den Ungeimpften eine klare Botschaft zu senden: Ihr seid raus aus dem gesellschaftlichen Leben“. Das ist die Sprache des kalten Bürgerkriegs und kündigt denen, die sich der Agenda der Regierenden verweigern, die soziale Eliminierung an. Bloß wohin mit ihnen? In Leo Trotzkis „Abfalleimer der Geschichte“?

Auch die Regierungserklärung des neuen Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) klang in wesentlichen Passagen wie die Kriegserklärung an einen inneren Feind. Nach zwei Jahren enervierender Pandemie-Maßnahmen und trotz 70prozentiger, doppelter Durchimpfung sind die Infektionszahlen höher denn je. Die Strangulierung des öffentlichen Lebens hat sich medizinisch als wirkungslos erwiesen. Meßbar sind dagegen die wirtschaftlichen und mehr noch die sozialen Schäden. Die Menschen leiden an Depression und Erschöpfung, sie werden umgetrieben von Frustration, Wut, Existenzangst.

Unwissenheit, Tücke oder kalte Staatsräson?

In dieser Situation behauptet der Kanzler, wir hätten „unser früheres Leben und unsere frühere Freiheit“ längst zurück, wenn, ja, wenn nicht „eine winzige Minderheit von enthemmten Extremisten“ und „Haßerfüllten“ versuchen würde, „unserer gesamten Gesellschaft ihren Willen aufzuzwingen“. Scholzens Redenschreiber haben sich hier reichlich aus dem Fundus einer Afterwissenschaft, der Extremismusforschung, bedient.

Ist es Unwissenheit, Tücke oder kalte Staatsräson, wenn der Regierungschef die Legende von der „Pandemie der Ungeimpften“ wiederholt, der selbst der regierungsnahe Mediziner Christian Drosten klar widerspricht? Die Kampagne für die Dritt-Impfung ist kaum in Fahrt gekommen, da wird bereits verkündet, daß auch sie keine Immunität gegen die neuen Corona-Varianten versprechen. Die propagierte Impfpflicht, sollte sie kommen, liefe auf ein Dauerabonnement hinaus.

Schon der Begriff „Impfgegner“ ist falsch. Die allermeisten, die sich heute den im Schnelldurchlauf fabrizierten und genehmigten Vakzinen verweigern, haben sich in der Vergangenheit die Tetanus-, Pocken- oder Polioimpfungen verabreichen lassen. Ihr aktuelles Mißtrauen wegen unabsehbarer Neben- und Spätfolgen ist keineswegs irrational, denn dieselben Experten, die Langzeitschäden durch die Impfstoffe bestreiten, sind an der Einschätzung ihrer Wirkungsdauer grandios gescheitert.

Argumente und Diskussionen zählen nicht mehr

Auch die Contergan- und DDR-Dopingopfer mahnen zur Vorsicht. Genauso ist es das natürliche Recht der anderen, insbesondere der Risikogruppen, sich für eine Impfung zu entscheiden. Was soll es unter diesen Umständen heißen, wenn der Kanzler erklärt, die „wehrhafte Demokratie“ und der „Rechtsstaat“ würden den „Haßerfüllten“ – also den Skeptikern und Kritikern – „entschieden entgegentreten“, und überhaupt gebe es im Kampf gegen Corona „keine roten Linien“?

Für die Politik-Theoretikerin Hannah Arendt bedeutete Demokratie die Präsentation aller relevanten Argumente, ihre öffentliche Diskussion, Prüfung, Abwägung, um zur bestmöglichen Entscheidung zu kommen. Davon kann aktuell keine Rede sein. Nicht einmal eine vernünftige Datenbasis als Diskussionsgrundlage existiert. Hamburgs rot-grüne Landesregierung hatte Grundrechtseinschränkungen für Ungeimpfte damit begründet, daß auf sie 90 Prozent der Neuinfektionen zurückgehen würden. Nun stellt sich heraus, daß bei zwei Drittel der Infizierten der Impfstatus unbekannt war und bei den übrigen die Zahl der Geimpften die der Ungeimpften um die Hälfte übersteigt. Die bayerische Staatsregierung mußte ebenfalls eine „statistische Unschärfe“ zugeben.

Zudem geht die Pandemie-Bekämpfung einher mit der Etablierung eines umfassenden Kontroll-, Überwachungs- und Steuerungssystems. In diesen Kontext paßt wiederum der Auftritt des Kanzlers im Bundestag. Scholz präsentierte sich nicht als verantwortlicher Entscheidungsträger, der überzeugt und leidenschaftlich für seine Politik wirbt und dabei – was verzeihlich wäre – rhetorisch überzieht, sondern als sprichwörtlicher „Scholzomat“, als Gerichtsvollzieher, der einen ergangenen Beschluß bloß zu vollstrecken, nicht zu diskutieren hat.

Als Sündenbock vorgeführt

Als Reaktion spaltet die Gesellschaft sich in drei reaktive Gruppen auf: Die eine stimmt dem Kontrollregime mit Inbrunst zu. Die zweite und größte Gruppe fügt sich teils gleichgültig, teils widerwillig in die Umstände, weil ihr nichts anderes übrig bleibt. Der Rest, immerhin rund 30 Prozent, verweigert sich; einige werden sogar laut. Diese „Ungeimpften“ werden nun, nachdem das Licht am Ende des Tunnels sich partout nicht zeigen will, der demoralisierten, um ihre Erwartungen betrogenen Zwei-Drittel-Mehrheit als Sündenbock vorgeführt.

Was auf der Sachebene irrational ist, gehorcht einem rationalen Machtkalkül. Das gilt auch für die sachlich nicht begründbare Impfung der Kinder, der am wenigsten gefährdeten Altersgruppe. Nichtgeimpfte werden in der Schule gemobbt, was sie veranlaßt, gegen den ursprünglichen Elternwillen auf den sozialen Weiheakt der Impfung zu bestehen. So dringt die Spaltung in die soziale Feinstruktur ein und steigert sich zur Atomisierung der Gesellschaft.

Wer seine Ablehnung öffentlich macht, muß damit rechnen, von Baden-Württembergs grünem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann als „Aasgeier der Pandemie“ bezeichnet zu werden. Der frühere K-Gruppen-Kader greift auf den Jargon Andrej Wyschinskis, Stalins Chefankläger, zurück, der Angeklagte als „tollwütige Hunde, Schlangen und Hyänen“ beschimpfte. Die Corona-Gegenwart lehrt viel über die Geschichte. Weiterhin lehrt sie, daß die vielzitierten „Lehren aus der Geschichte“ nichts als Phrasen sind.

JF 52/21 – 1/22

Olaf Scholz gibt Ungeimpften die Schuld Foto: picture alliance/dpa/dpa Pool | Bernd von Jutrczenka
Anzeige
Anzeige

Der nächste Beitrag