An den radikalen Bedeutungswandel mancher Worte haben wir uns gewöhnt. „Toleranz“ heißt heute auch, Andersdenkende mundtot zu machen. Aus Straftätern, die im Namen dieser Toleranz Autos in Brand setzen, wurden „Aktivisten“. Und das beliebte Demonstrations-Motto „Für Vielfalt“ bedeutet, nur eine politische Meinung zuzulassen. Wenn Politiker nun im Zusammenhang mit dem geplanten Medienstaatsvertrag gebetsmühlenartig die „Medienvielfalt“ hochjubeln, sollten wir also aufhorchen.
Denn der von der EU-Kommission durchgewinkte Vertrag sichert dem Staat ein enormes Zugriffsrecht auf eben jene Medienvielfalt. Die Befürchtung, auch dieser Begriff könnte in sein Gegenteil verkehrt werden, ist berechtigt. Blogger, zum Beispiel, stehen mit Inkrafttreten unter der Aufsicht der Landesmedienanstalten. Streamer brauchen eine teure Rundfunklizenz, wenn sie 20.000 Zuschauer erreichen. Ob sie die erhalten, hängt vom Wohl der Behörde ab. Wer „Falschnachrichten“ oder „Verschwörungstheorien“ verbreitet, soll Strafen zahlen oder sein Kanal verboten werden.
Könnten also die Öffentlich-Rechtlichen verboten werden, wenn sie wie in der Flüchtlingskrise behaupten, vor allem Fachkräfte, die in unser Sozialsystem einzahlen, wandern ein? Oder daß vorwiegend schutzbedürftige Frauen und Kinder über die Grenzen kommen, obwohl es in großer Mehrheit junge moslemische Männer sind? Wohl kaum. Dieses Folterbesteck richtet sich gegen abweichende Medienmacher. Verschwörungstheoretiker waren nach seinerzeitiger politischer Interpretation alternative Journalisten, die davor warnten, auch Terroristen, Scharia-Anhänger und Männer mit mittelalterlichem Frauenbild könnten ins Land strömen.
Der Weg in die gelenkte Pressefreiheit
Ohne Zweifel gibt es schwarze Schafe. Aber wer zieht die Grenze zu unliebsamen Meinungen? Und wo liegt sie? Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz hat gelehrt, daß es keineswegs nur um das Löschen von Haßsprache geht, sondern auch als Instrument im Kampf um Deutungshoheit mißbraucht wird.
Ist auch die Sorge, der Staatsvertrag werde der Zensur Tür und Tor öffnen, nur eine Verschwörungstheorie? Zu denken gibt, daß die rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Hamburg genau solche Möglichkeiten erwägt. Der Staat könnte, so die Juristen, „über die Zulassungspflicht kritische Blogs zensieren“. Und die zuständige Staatssekretärin Heike Raab räumt erstaunlich offen ein, Berichterstattung müsse innerhalb von „Leitplanken“ verlaufen, „wie sie der Medienstaatsvertrag vorsieht“. Unverhohlen kündigt die Sozialdemokratin den Weg in eine gelenkte Pressefreiheit an. Ein Aufschrei in den Leitmedien bleibt aus – womöglich, weil die sich bereits seit geraumer Zeit freiwillig nur in engen Leitplanken bewegen.
Mit dem Staatsvertrag nimmt die Politik auch Facebook, YouTube, Google und Twitter an die Kandare und spannt sie ins öffentlich-rechtliche System ein. Deren Reichweiten sollen genutzt werden, um „zur Sicherung der Meinungsvielfalt“ Sendungen von öffentlichem Interesse eine hervorgehobene Sichtbarkeit zu garantieren. Medienvielfalt? Wer ARD und ZDF schauen möchte, kann auf seiner Fernbedienung die entsprechenden Knöpfe drücken. Ist es nicht eher ein Beleg für Einfalt, wenn der Staat die Menschen auch im Internet zuerst auf diese Programme stößt?
Netflix-Abo kaufen, Öffentlich-Rechtliche sehen?
Noch gruseliger wird es, wenn wir sogar mit dem Abo eines Streaming-Dienstes wie Netflix die Öffentlich-Rechtlichen einkaufen. Diese Unternehmen werden nun gezwungen, Teile ihrer Sendeplätze für ARD und ZDF zu reservieren. Im Staatsvertrag heißt es, sie müßten „im Umfang von höchstens einem Drittel“ die zur „bundesweiten Verbreitung gesetzlich bestimmten beitragsfinanzierten Programme“ sowie die „Dritten Programme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ anbieten. Zudem sollen diese „leicht auffindbar“ sein. Es ist ein bißchen wie mit dem Großen Bruder in Orwells „1984“. Überall, wohin wir schalten, ZDF-Moderator Claus Kleber ist schon da.
Im Jubel der Medien-Politiker über die Entscheidung der EU-Kommission zum Medienstaatsvertrag geht unter, daß diese ausdrücklich „Bedenken“ geäußert hat. Leider hat sie nicht veröffentlicht, was sie damit genau meint. Aber wenn eine der Ablehnung von Regulierungen völlig unverdächtige Institution zusätzlich von „einiger Sorge“ spricht, unterstreicht das die Dramatik, die auf uns zukommt.
Im Herbst sollen die staatlichen Drangsalierungs-Werkezuge die finale Hürde nehmen. Die 16 Ministerpräsidenten haben den Vertrag bereits unterschrieben, die EU hat ihn nicht blockiert. Letzte Hoffnung sind die Länder-Parlamente. Damit der Medienstaatsvertrag in Kraft treten kann, müssen ihn alle Landtage ratifizieren. Bisher galt das in unserer Abnick-Demokratie als reine Formsache.
Eine parlamentarische Querfront könnte die Medienvielfalt retten
Aber plötzlich regt sich doch Widerspruch, der das ganze Projekt kippen könnte. In Thüringen teilt die CDU die Ablehnung der AfD. Gemeinsam mit der FDP wären die beiden Parteien in der Lage, ein „Nein“ durchzusetzen. Doch daß die dortige CDU diesen Schritt geht, ist nach der öffentlichen Prügel und dem anschließenden Canossa-Gang im Zusammenhang mit der Wahl eines Liberalen zum Ministerpräsidenten unwahrscheinlich. Bevor auch diese Entscheidung auf Befehl der Kanzlerin rückgängig gemacht werden muß, stimmen die Unions-Abgeordneten eher gegen ihre Überzeugung.
So wird es auf Sachsen-Anhalt ankommen, wo die CDU mit SPD und Grünen regiert. Während Rot-Grün ein bedingungsloses „Ja“ fordert, lehnt die Union auch hier den Vertrag ab – genau wie AfD und Linke. Sollte die CDU-Fraktion bis zuletzt dem Druck des Kanzleramtes widerstehen, könnte eine noch nie dagewesene parlamentarische Querfront zum Retter der wirklichen Medienvielfalt in Deutschland werden.