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Allgemeine Dienstpflicht: Wessen Land?

Allgemeine Dienstpflicht: Wessen Land?

Allgemeine Dienstpflicht: Wessen Land?

Bundeswehr
Bundeswehr
Ehrenformation der Bundeswehr: Seit dem Ende der Wehrpflicht 2011 plagen die Streitkräfte Nachwuchssorgen Foto: picture alliance/Jens Büttner/dpa-Zentralbild/ZB
Allgemeine Dienstpflicht
 

Wessen Land?

Deutschland ist in einer demographischen und mentalen Verfassung, die eigentlich die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht notwendig macht. Doch in der Gesellschaft und auch in den Parteien dürften sich nur schwer Mehrheiten dafür finden lassen. Ein Kommentar von Josef Kraus.
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Das Grundgesetz (GG) ist eine in hohem Maße individualistische Verfassung. „Recht“ bzw. das Grundwort „-recht“ kommt dort 105mal vor. Das Wort „Pflicht“ gibt es selten im GG-Text – einmal indirekt im Zusammenhang mit Artikel 12a, wo es heißt: „(1) Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden.“

Im Kontext damit kommt „Pflicht“ in Artikel 12a (5) explizit vor, nämlich als Pflicht zur Teilnahme an Ausbildungsveranstaltungen zur Vorbereitung auf zivile Dienste im Verteidigungsfall. Ansonsten findet sich eine individuelle Pflicht in Artikel 6 (2): „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“

Bleiben wir bei der „Wehrpflicht“, die laut GG nur eine Kann-Bestimmung ist bzw. war. Und die Anfang 2011 schier handstreichartig ausgesetzt wurde. Der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hatte 2010 eine Defizitanalyse zur Lage der Bundeswehr in Auftrag gegeben. Eine Kommission sollte Ideen entwickeln, wie die Bundeswehr sicherheitspolitische Herausforderungen preiswerter bewältigen könne. Im Juni 2010 schlug der vermeintlich konservative Politiker dem Bundeskabinett vor, die Wehrpflicht auszusetzen, sie aber im Grundgesetz zu belassen.

Das Bundeskabinett folgte Guttenbergs Vorschlag im Dezember 2010. Ab dem 1. März 2011 sollte niemand mehr einberufen werden. Von seiten der CDU und ihrer Kanzlerin gab es keinen Widerstand, die Koalitionspartner der FDP sahen in diesem Beschluß ohnehin die Erfüllung eines lange gehegten Wunsches. Auch die CSU machte die Pläne ihres damaligen „shooting stars“ mit.

Der CSU-Parteitag hatte der Aussetzung der Wehrpflicht bereits im Oktober 2010 mit überwältigender Mehrheit zugestimmt. Ohne Gegenrede bei nur wenigen Gegenstimmen folgten die tausend Delegierten „ihrem“ Bundesverteidigungsminister. Dieser hatte das praktische Ende der Wehrpflicht mit folgendem Satz begründet: „Es ist eine sicherheitspolitische wie eine patriotische (!) Verantwortung, die wir für die Bundeswehr haben.“

Die Zeit läßt sich nicht zurückdrehen

Merkel, Seehofer, zu Guttenberg und Co. handelten hier – dem pazifistischen Zeitgeist folgend – populistisch gegen allen Rat von Experten. Man wußte, daß mit dem Aussetzen der Wehrpflicht die Bundeswehr immer mehr aus der Öffentlichkeit verschwinden; daß es erhebliche Nachwuchsprobleme geben würde – bei der Bundeswehr und in den Ersatzdiensten; daß der ewige Friede mit dem Umbruch von 1990 nicht ausgebrochen war; daß die „Friedensdividende“ mit der Verkleinerung der Bundeswehr von ehemals 500.000 (1990) auf 245.000 Angehörige (2010; heute: 182.000) längst sozialpolitisch verfrühstückt war.

Man wird die Zeit nicht zurückdrehen und die Wehrpflicht wieder einführen können in diesem postheroischen und postpatriotischen Land. Aber dieses Land ist in einer demographischen und mentalen Verfassung, die eigentlich die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht notwendig macht – zum Beispiel in der Form, daß alle jungen Menschen beiderlei Geschlechts zwischen dem 18. und 25. Lebensjahr zwölf Monate Dienst am Gemeinwesen leisten.

Zudem gibt es einen entscheidenden staatsbürgerlichen und pädagogischen Grund dafür: Junge Menschen in Deutschland sind „von der Wiege bis zur Bahre“ Nutznießer einer weltweit schier einmaligen Infrastruktur mit einem hochdifferenzierten, weitgehend kostenlosen Bildungswesen sowie einem weltweit angesehenen Gesundheits- und Verkehrswesen. Frage: Wäre es da zumal bei steigender Lebenserwartung nicht angebracht, ein Lebensjahr in das Gemeinwesen zu investieren? Daß dieses Jahr auch ein Jahr intensivierter Reifung bedeutete, sei zusätzlich erwähnt.

Der Staat braucht die Bürger

Die Chancen, ein solches Jahr zu etablieren, sind gering, denn es bedürfte dazu einer Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. Keine Partei wird sich an so etwas wagen, weil bei Wahlen Stimmenverluste im Millionenbereich drohten. Und eine Allparteienkoalition wird es dafür kaum geben.

Dennoch sollte eine allgemeine Dienstpflicht diskutiert werden! Es muß das Bewußtsein dafür geschärft werden, daß sich ein „Vater Staat“ ohne aktives Mitwirken der Bürger nicht trägt; daß die Mentalität eines „Vollkasko ohne Beteiligung“ nicht funktioniert; daß es eine bloße „komfortable Stallfütterung“ (Wilhelm Röpke) nicht geben kann.

Diskussion um Dienstpflicht ist keine Scheindebatte

John F. Kennedy mag nicht mehr als der Star gelten, als der er in seiner US-Präsidentschaft vom 20. Januar 1961 bis zu seiner Ermordung am 22. November 1963 galt. Bei seiner Antrittsrede sagte er: „Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann, sondern fragt, was ihr für euer Land tun könnt!“ Vielleicht brauchen wir eine Schärfung für diesen Gedanken oder auch für den Gedanken, den Max Weber 1922 in seinem monumentalen Werk „Wirtschaft und Gesellschaft“ formulierte: „Allein die Nation kann die innere Bereitschaft der Menschen wecken, sich solidarisch und selbstlos für das Gemeinwesen einzusetzen.“

Wenn wir in dieser so saturiert wohlhabenden und hypermoralisierend wohlwollenden Gesellschaft so weit kommen, über Kennedy und Weber nachzudenken, ist die Debatte um eine allgemeine Dienstpflicht keine Scheindebatte, sondern eine Debatte, die uns darauf besinnen läßt, worum es geht bzw. gehen müsste in diesem unserem Lande.

JF 2/20

Ehrenformation der Bundeswehr: Seit dem Ende der Wehrpflicht 2011 plagen die Streitkräfte Nachwuchssorgen Foto: picture alliance/Jens Büttner/dpa-Zentralbild/ZB
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