Es ist eine kleine Machtprobe: Der türkische Präsident Erdogan hat die Schleusen nur ein bißchen geöffnet und schon drängen sich tausende Migranten an der Grenze zu Griechenland. Sie wollen nach Europa, nach Deutschland, wo sie sich ein besseres Leben versprechen.
Und als hätte es die Flüchtlingskrise 2015 mit ihren immensen Problemen, Kosten und gesellschaftlichen Verwerfungen nicht gegeben, stimmt in Deutschland erneut der bekannte Chor aus linken und grünen Politikern, Journalisten, Künstlern und Asyl-Lobbyisten sein vertrautes „Refugees Welcome“-Lied an. „Laßt sie rein“, heißt es. „Wir haben Platz“ oder auch „Alle rein!“ Und es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich die Willkommensrufe und der Wunsch nach weiterer Masseneinwanderung in den Flüchtlingslagern der Türkei, aber auch in Libyen und Afrika verbreiten. „Laß uns nach Deutschland gehen“, mag sich so mancher junge Mann ohne Perspektive dort denken. „Dort wartet man auf uns. Dort gibt es Platz, da ist Geld.“
Wenn es dann soweit ist, will wieder keiner für die Lockrufe verantwortlich gewesen sein. Oder er hält es wie Angela Merkel (CDU) und meint lapidar: „Nun sind sie halt da.“
Die JF dokumentiert deshalb eine kleine Auswahl aktueller deutscher Sirenengesänge:
So wünscht sich der Linken-Bundestagsabgeordnete Niema Movassat zum Beispiel, 2015 möge sich wiederholen: „Ich bin sehr dafür, daß 2015 sich wiederholt, daß wir die Tore weit für Menschen in Not öffnen“, schreibt er auf Twitter.
Ich bin sehr dafür, dass 2015 sich wiederholt, dass wir die Tore weit für Menschen in Not öffnen. Diesmal gibt es genug Platz in Flüchtlingseinrichtungen. Viele Kommunen haben sich bereit erklärt Menschen aufzunehmen. Es ist DAS Gebot der Menschlichkeit! #WirHabenPlatz
— Niema Movassat (@NiemaMovassat) March 3, 2020
Ulrich Schulte von der taz ist ebenfalls der Ansicht, Deutschland habe den Flüchtlingsansturm von 2015 ganz gut verkraftet. „Dem Land geht es blendend, vielen Menschen wurde geholfen.“ Im Vergleich dazu wäre die Aufnahme von ein paar tausend Flüchtlingen quasi nur ein Klacks.
Wem solche Forderungen, Beschwichtigungen, Beschönigungen und Verharmlosungen bekannt vorkommen, dem ist vielleicht noch eine ähnliche Zitaten-Sammlung vom Oktober 2015 in Erinnerung. Auch da hieß es immer wieder, die massenhafte Aufnahme von Migranten sei für so ein Land wie Deutschland gar kein Problem. Die Folgen sind bekannt.
Dennoch ruft Mely Kiyak in der Zeit nun wieder: „Alle rein!“ 5.000 Flüchtlinge, wie von Grünen-Chefin Annalena Baerbock gefordert, seien keine Lösung. „Es kann nur ein einziges Ziel geben. Das Ziel sind alle“, schreibt sie. „Nur wenn man das so diskutiert, ‘Das Ziel sind alle!’, wenn man also das Maximum anstrebt, wird man das Höchste an Kräften aufbieten können, um sein Möglichstes zu tun.“
Baerbock hatte bereits am Wochenende gefordert, Deutschland solle weitere Flüchtlingskontingente aufnehmen.
Danke, dass du dort bist!
Wir müssen dringend Kontingente aufnehmen. Zig Kommunen stehen bereit.— Annalena Baerbock (@ABaerbock) March 1, 2020
„Dann sollten Kontingente von Flüchtlingen so schnell es geht in der EU verteilt werden, um dort die Asylverfahren durchzuführen“, mahnte sie in der Welt. „Wenn nicht alle mitmachen, müssen einige vorangehen und dafür finanzielle Hilfe erhalten. Deutschland sollte vorausschauend seine eigenen Kapazitäten an Flüchtlingsunterkünften wieder aktivieren.“
Eine deutsche Vorreiterrolle befürwortet ausdrücklich auch der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner. „Deutschland sollte vorangehen und auch Geflüchtete von den europäischen Außengrenzen aufnehmen“, fordert er.
Wenn die #EU der europäischen Idee verpflichtet bleiben will, dann braucht es #Solidarität. Die Geflüchteten auf den griechischen Inseln müssen evakuiert werden. Deutschland sollte vorangehen und auch Geflüchtete von den europäischen Außengrenzen aufnehmen. #Lesbos #Griechenland
— Michael Kellner (@MiKellner) March 2, 2020
Ähnlich äußerte sich Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt: Es gebe viele Kommunen, „die Kapazitäten haben und bereit sind, weitere Flüchtlinge aufzunehmen. Das sollten wir nutzen.“
Ihr Parteifreund im EU-Parlament, Sven Giegold, teilt diese Ansicht:
Die #CDU sorgt weder für Ordnung noch für Humanität! Die humanitäre Krise in #Griechenland erfordert, dass Deutschland & andere EU-Länder jetzt Kontingente von Flüchtlingen aufnehmen. Das geht kontrolliert und wir haben die Kapazitäten! https://t.co/S1EJhCK8UF
— Sven Giegold (@sven_giegold) March 3, 2020
Auch der Sprecher der Grünen Jugend, Georg Kurz, ist sich sicher: „Europa ist groß genug für uns alle.“
Europa ist groß genug für uns alle, #WirhabenPlatz.
Schützt Menschen, nicht Grenzen! #RefugeesWelcome pic.twitter.com/QtpCUAn207— Georg Kurz (@oekofuzzi) March 3, 2020
Sein Verbandskollege Tom Dzienus will am liebsten gleich Fähren schicken, um die Flüchtlinge nach Europa zu holen.
Kann man gar nicht oft genug sagen – aber aktuell besonders: Fähren statt #Frontex!#Griechenland #RefugeesWelcome pic.twitter.com/5ip1b61heT
— Timon Dzienus (@Dzienus) March 2, 2020
Für einen solchen Fall hätte Hamburg noch Platz, meint zumindest Hamburgs Innensenator Andy Grote von der SPD.
#Hamburg ist bereit, minderjährige Flüchtlinge u. Familien aus Griechenland aufzunehmen. Das habe ich heute ggü. Bundesminister Seehofer @BMI_Bund noch einmal ausdrücklich bekräftigt. EU und Bundesregierung sind in der Verantwortung, hierfür jetzt die Voraussetzungen zu schaffen.
— Andy Grote (@AndyGrote) March 4, 2020
Ähnlich sieht das Düsseldorfs Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD). Auch er will weitere Migranten aus der Türkei aufnehmen. Bis zu 8.500 Flüchtlinge könne Düsseldorf aufnehmen. „Wir sind eine zivilisierte Stadt“, verichert Geisel dem WDR. Man müsse „die Menschen menschenwürdig aufnehmen“.
Potsdams sozialdemokratischer Oberbürgermeister Mike Schubert reiht sich ebenfalls ein in die Riege der „Es ist noch Platz“-Rufer:
Was wir im Flüchtlingslager Moria #Lesbos sehen, kann man nur als Schande für Europa bezeichnen. Bundesratsinitiative oder sofortige Lösung durch die Bundesregierung sind nötig. Deutsche Städte wollen 500 unbegleitete Kinder aufnehmen. Nicht länger reden, handeln! @_Seebruecke_ pic.twitter.com/TA42QOXyUY
— Mike Schubert (@Mike_Schubert) February 28, 2020
Derweil versucht man bei „Fridays for Future“, die Jünger der Klimabewegung nun auf die Straße zu schicken, um für die Flüchtlingsaufnahme zu demonstrieren.
Das europäische Vorgehen in #Griechenland ist unmenschlich. In einer Welt, in der die Industriestaaten u.a. durch das Verursachen der #Klimakrise immer mehr Menschen zur Flucht zwingen, brauchen wir die klare Einhaltung der Grundrechte. Geht mit der @_Seebruecke_ auf die Straße!
— Fridays For Future Germany (@FridayForFuture) March 2, 2020
Wir könnten jetzt einen Klima Bezug finden um diesen Post zu "legitimieren", oder wir sehen einfach ein, dass die Situation an der türkisch-griechischen Grenze scheisse ist und sich da dringend etwas ändern muss.
Heute bei der Demo der @SeebrueckeK#WirHabenPlatz pic.twitter.com/vvFpOJKd7s— Fridays For Future Köln (@FFF_Koeln) March 3, 2020
Auch für die SPD-Politikern Sawsan Chebli ist der Schutz der europäischen Außengrenze zwischen Griechenland und der Türkei unmenschlich:
Auch heute Morgen wurden wieder Tränengas&Blendgranaten gg Flüchtlinge eingesetzt. Erinnert Ihr Euch an die Bilder von weinenden Migrantenkindern an der US-Mexiko-Grenze? Trump, der Unmensch. Gerade zeigt sich in so brutaler Weise die Doppelmoral&Heuchelei europäischer Politik.
— Sawsan Chebli (@SawsanChebli) March 4, 2020
Die stellvertretende Bundesvorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, schlägt in die gleiche Kerbe:
Wer sich über Trumps Grenzpolitik empörte, kann jetzt nicht zuschauen, wie an den EU-Außengrenzen Flüchtlinge gejagt und Kinder mit Tränengas beschossen werden. #Griechenland pic.twitter.com/IEQflIz98o
— Ricarda Lang (@Ricarda_Lang) March 4, 2020
Für den ARD-Journalist Gábor Halász gerät unterdessen ein ganzes Weltbild ins wanken. Während Bundeskanzlerin Merkel 2015 auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise die Massenaufnahme mit den Worten verteidigte: „Ich muß ganz ehrlich sagen: Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, daß wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen – dann ist das nicht mein Land“, klagt Halász angesichts der jetzigen Bilder von der griechischen Grenze: „Das ist nicht mein Europa.“
Das ist nicht mein Europa. https://t.co/DMXuPCedog
— gabor halasz (@gaborhalasz1) February 29, 2020
Sein ARD-Kollege Christian Butterkeit ist zudem von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) enttäuscht. Deren Auftreten erinnere an ihre Rolle als Verteidigungsministerin, kommentiert er im Deutschlandfunk. Statt Empathie zu zeigen, sprach sie über Grenzsicherung, als sei sie im Krieg.
Bei ihrem Besuch an der griechisch-türkischen Grenze schien es, als sei EU-Kommissionspräsidentin @vonderleyen wieder in ihrer Rolle als Verteidigungsministerin, kommentiert Christian Buttkereit. Statt Empathie zu zeigen, sprach sie über Grenzsicherung – als sei sie im Krieg. pic.twitter.com/U53wRs1JID
— Deutschlandfunk (@DLF) March 4, 2020
Das sieht auch die Lobbyorganisation Pro Asyl so. Auch sie hat eine andere Vorstellung von Europa:
Auf den griechischen Inseln verprügeln rechte Mobs Journalisten & Helfer*innen, lassen Flüchtlinge nicht an Land. Die griechische Regierung lässt sie gewähren. Und #VonDerLeyen bedankt sich bei Griechenland als »Schild Europas«. Was soll man dazu noch sagen? #NichtUnserEuropa
— Pro Asyl (@ProAsyl) March 3, 2020
Die Flüchtlingsorganisation Seebrücke meint sogar, die „Menschen, Kinder, Frauen, Männer und Familien“ hätten „jedes jedes Recht, sich hier bei uns ein neues Leben aufzubauen“.
Wir möchten nochmal dran erinnern: Es geht um Menschen, Kinder, Frauen, Männer und Familien. Sie haben Träume, Ideen u wollen ein selbstbestimmtes würdevolles Leben. Sie haben jedes Recht, sich hier bei uns ein neues Leben aufzubauen, frei von Verfolgung und Krieg #WirHabenPlatz pic.twitter.com/e0JBZ4jdru
— Seebrücke (@_Seebruecke_) March 5, 2020
Spiegel-Autor Nils Minkmar hingegen kann gar nicht verstehen, warum man die nach Europa drängenden Migranten aus dem Grenzgebiet nicht allesamt nach Deutschland holen möchte. Man brauche doch „Leute“.
Deutschland braucht Leute. Wir werben verzweifelt an. Ohne den Psychoknicks im Migrationsdiskurs könnten wir uns freuen, dass so jemand kommen möchte. https://t.co/E4LKnWZc1o
— nils minkmar (@nminkmar) March 4, 2020
Autor Mohamed Amjahid geht noch ein Stück weiter. Er möchte gern, daß gleich ganz Afrika nach Europa kommt.
Ich würde mir wünschen, dass GANZ AFRIKA tatsächlich nach Europa kommt und wir eine große Party feiern. Das wäre sehr schön.
— Mohamed Amjahid (@mamjahid) March 4, 2020
Und bei der CDU? Da betont man angesichts der Bilder einer neuen Flüchtlingswelle, Merkel habe ja schon beim letzten Mal alles richtig gemacht. Armin Laschet beispielsweise antwortete auf die Frage, wie er den Umgang Merkels mit der Flüchtlingskrise 2015 fand: „Den fand ich richtig. Und den finden inzwischen Markus Söder und die CSU und Horst Seehofer auch richtig.“
Da bleibt Norbert Röttgen, der sich wie Laschet anschickt, CDU-Chef zu werden, nur noch die Rolle als Erdogans Anwalt. Das Verhalten des türkischen Präsidenten sei weniger eine Drohung als ein „Hilferuf“, erklärt er den unwissenden Deutschen. Man solle das nicht als Provokation verstehen, sondern der Türkei für die Versorgung der Flüchtlinge „zusätzliches Geld und zusätzliche Hilfe bereitstellen“.