Auf Wiedersehen Großbritannien, Du hast vergessen, etwas mitzunehmen. Für Deine Hinterlassenschaft bist Du aber eigentlich gar nicht schuld, sondern die Brüsseler Bürokratie. Trotz oder vielleicht gerade wegen der deutschen Wiedervereinigung drängte in der Europäischen Union (EU) das Englische seit 1990 die beiden Sprachen Deutsch und Französisch immer weiter an den Rand. Beschwerden darüber verhallten in all den Jahren ungehört. Mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU gibt es jetzt eigentlich erst recht keinen Grund mehr für die EU-Kommission, die englische Sprache weiterhin einseitig zu bevorzugen und die deutsche Sprache zu benachteiligen.
Deutsch ist in vier EU-Staaten (Deutschland, Österreich, Belgien, Luxemburg) und in Südtirol Amtssprache, Englisch nur noch in zwei Kleinstaaten: Irland und Malta. Fast zwanzig Prozent der Bürger in der EU haben Deutsch als Muttersprache: Deutsch wird von rund 90 Millionen EU-Bürgern als Muttersprache gesprochen, Englisch – nach dem EU-Austritt – nur noch von rund fünf Millionen. Nimmt man Muttersprachler und Fremdsprachler zusammen, sprechen jeweils rund ein Drittel der EU-Bewohner Deutsch und Englisch.
Vor allem die EU-Kommission diskriminiert die deutsche Sprache
Sprachschützer fordern schon seit langem, auf die Selbstverständlichkeit hinzuwirken, daß sämtliche Veröffentlichungen der EU vollständig auch auf deutsch vorliegen müssen. Auf zahlreichen Ebenen ist Englisch zur Zeit noch die einzige Arbeitssprache in der EU. Unterlagen zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) sind meist ausschließlich auf englisch. In 99 Prozent aller Sitzungen bei Kommission, Rat, EU-Ausschüssen und EU-Agenturen wird ins Englische, in 75 Prozent ins Französische und in 60 Prozent ins Deutsche gedolmetscht. Bundestagsabgeordnete müssen außerdem häufig über schwierige EU-Vorlagen abstimmen, die zu weiten Teilen nicht in deutscher Sprache, sondern auf englisch abgefaßt sind.
Vor allem durch die EU-Kommission wird die deutsche Sprache diskriminiert. Der Bundestag hat darum die Bundesregierung mehrmals dazu aufgefordert, die EU-Kommission auf ihre Übersetzungspflicht hinzuweisen; leider erfolglos, denn die Bundesregierung weigert sich offensichtlich bis heute, eine stärkere Rolle für die deutsche Sprache in der EU durchzusetzen.
Johannes Singhammer (CSU), der als Bundestagsvizepräsident immer wieder nach Brüssel reiste, um dort für die deutsche Sprache zu kämpfen, schied nach der jüngsten Wahl als wichtigster Deutschverfechter aus dem Bundestag aus. Zwar sitzt ein Andreas Scheuer als Minister in der Bundesregierung, der als CSU-Generalsekretär noch gefordert hatte:„In der EU muß mehr Deutsch gesprochen werden.“ Doch Scheuer hat derzeit voll und ganz mit den Folgen des Mautdebakels zu kämpfen und ist nur noch ein Minister auf Abruf.
Die Tatenlosigkeit der Regierung wirkt
Dabei stellt sich die Regierung mit ihrer Untätigkeit gegen das eigene Volk. Das belegt eine repräsentative INSA-Umfrage vom November, die von der Theo-Münch-Stiftung für die Deutsche Sprache in Auftrag gegeben worden war. „Deutsch sollte mit Englisch und Französisch auf allen Ebenen der Europäischen Union gleichberechtigte Arbeitssprache sein.“ Dieser Aussage stimmen 58 Prozent der Befragten zu; 21 Prozent lehnen sie ab, 21 Prozent sind unschlüssig oder machen keine Angabe. Im Vergleich zu einer Umfrage des Mannheimer Instituts für deutsche Sprache von 1999 ist die Zahl der Befürworter sogar noch gestiegen, wenn auch geringfügig.
Die Tatenlosigkeit wirkt: „Nach der Brexit-Entscheidung haben manche insgeheim gehofft, daß nun das Deutsche und das Französische an Bedeutung gewinnen“, zitiert die Nachrichtenagentur dpa eine enttäuschte Dolmetscherin. „Aber da wird wohl nichts draus.“ Die EU-Kommission kann sich zurücklehnen und stellt fest: „Der Brexit wird keinerlei Einfluß auf das rechtliche Regelwerk und die bewährten institutionellen Praktiken der Kommission haben.“
Nicht damit einverstanden ist der ehemalige österreichische Innenminister Herbert Kickl, nun FPÖ-Fraktionsvorsitzender im Nationalrat. Die EU ist seines Erachtens nach dem Austritt Großbritanniens verpflichtet, die Ordnung ihrer Arbeitssprachen zu überdenken: „Für mich ist es nur logisch, daß die deutsche Sprache zumindest auf dasselbe Gebrauchsniveau in Verhandlungen und Dokumenten der EU gehoben wird wie die englische.“
Europa lebt von seiner kulturellen und sprachlichen Vielfalt
Doch damit nicht genug: „Nach einer Übergangsfrist sollte dann, basierend auf der Verbreitung als Muttersprache, Deutsch die führende Rolle in der Familie der EU-Arbeitssprachen einnehmen, so wie derzeit das Englische vorherrschend ist.“ Kickl erwartet sich daraus für den deutschsprachigen Raum „erhebliche Vorteile“.
Deutsch also als führende Vatersprache in der „Familie der EU-Arbeitssprachen“? Die anderen Sprachen Europas sind jedoch keine Kinder der der deutschen Sprache. Den einen Sprachkolonialismus durch das Englische gegen einen anderen Sprachkolonialismus durch das Deutsche ersetzen zu wollen, erscheint einem Sprachschützer zweifelhaft. Europa lebt von seiner kulturellen und sprachlichen Vielfalt und Mehrsprachigkeit. Wenn dies wieder als Stärke verstanden wird, sollte sich Machtgelüste auf Kosten anderer Sprachen verbieten.
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Thomas Paulwitz ist Historiker und Schriftleiter der von ihm mitbegründeten, vierteljährlich in Erlangen erscheinenden Zeitung Deutsche Sprachwelt.