Das war überfällig. Wolfgang Reitzle, dem Aufsichtsratschef des Linde-Konzerns, ist der Kragen geplatzt. Der deutsche „nationale Alleingang“ bei der „Energiewende“ sei eine „sündhaft teure Sackgasse“, der Atomausstieg eine dringend zu korrigierende Fehlentscheidung. Man fragt sich, warum Deutschlands Industrielenker nicht schon längst der „Klima-Kanzlerin“ ihre fehlenden Kleider vorhalten.
Die lässige Faktenignoranz bei energiepolitischen Grundsatzentscheidungen mache ihn „sprachlos“, bekennt Reitzle. Das Schweigen der Fachleute ist offenkundig Teil des Problems. Wie sonst konnte es geschehen, daß Kahlschlag-Ideologen, Luftschloß-Bastler und Befindlichkeits-Gurus Wirtschafts- und Energiepolitik des Industriestaates Deutschland bestimmen. Und das nicht erst seit dem Merkelschen „Energiewende“-Manöver.
Vage Visionen
Widersinnig und verlogen ist der energiepolitische Irrlauf, den Deutschland sich zum Erstaunen der restlichen Welt erlaubt. Einerseits soll, dem quasi-religiös überhöhten „Klimaschutz“ zuliebe, binnen kurzem vollständig auf CO2 freisetzende fossile Energieträger verzichtet werden. Andererseits hat man, mit nicht minder apokalyptischen Weltuntergangsszenarien, die praktisch CO2-freie Kernenergie schon länger verteufelt und will ihr gegen den globalen Trend binnen weniger Jahre ganz den Stecker ziehen.
Zum dritten will man auch noch den Kfz-Verkehr von Verbrennungsmotoren planwirtschaftlich auf elektrische Antriebe umstellen. Während also sämtliche Grundlast-Energieträger zu Auslaufmodellen erklärt sind, verordnet die Politik Deutschland zur gleichen Zeit eine Komplettumstellung seiner Mobilitätsindustrie, die entweder auf eine Potenzierung des bereits bestehenden Strombedarfs hinausläuft oder aber auf weitgehende Abschaffung jeglicher Individualmobilität mit allen negativen Folgen für den produktiven Kern des deutschen Wohlstands.
Wer fragt, wo denn in einigen Jahren, wenn all diese Visionen verwirklicht sein sollen, der dafür benötigte Strom herkommen soll, dem malen die Energiewender vage Visionen von „dezentralen“ Strukturen, erhofften neuen Speichertechnologien oder gar kompletten Humbug wie die Speicherung volatilen Wind- und Sonnenstroms in „intelligenten“ Netzen aus. Um zu erkennen, daß das nicht funktionieren kann, reicht der gesunde Menschenverstand.
Energiewende treibt die Emissionen hoch
Um so peinlicher ist das Armutszeugnis für Industrie und Fachwelt, die in der Masse all die Jahre opportunistisch und liebedienerisch den Öko- und Klima-Ideologen nach dem Munde geredet und vorgegaukelt haben, ihre Diktate umsetzen zu können, statt die politischen Verantwortungsträger zum Schwur zu zwingen. Wer die Zerschlagung bestehender Strukturen erzwingt, ohne exakt benennen zu können, was an ihre Stelle treten soll, der ist entweder ein fahrlässiger Träumer, oder er verfolgt den Plan, das Land zu deindustrialisieren und künstlich Mangel zu schaffen, um die Macht der Mangelverwaltungsbürokraten über die beraubte Masse zu steigern.
Dann sollten die Betreffenden das aber auch offen aussprechen, statt sich hinter Panikmache und Naturschutzidyllen zu verstecken. Denn: Auch dem Naturschutz dient die „Energiewende“ nicht, mögen sich auch noch so viele „Naturschutzverbände“ aus Lobby-Eigennutz hinter sie stellen. Dagegen spricht schon die monströse Verschandelung und Versiegelung von Wäldern und Fluren durch Windspargelwälder und Solarspiegelfelder, die Massaker an Insekten, Vögeln und Fledermäusen durch Windkraft-Rotoren oder die Zweckentfremdung wertvoller Agrarflächen für monokulturellen Anbau von „Energiepflanzen“.
Merkels „Energiewende“ hält nichts von dem, was sie verspricht. Von „CO2-Einsparung“ – die partiell durchaus sinnvoll ist – kann keine Rede sein; da die hochsubventionierte Wind- und Solarenergie nicht grundlastfähig ist, muß de facto eine kostspielige konventionelle Doppelstruktur aufrechterhalten werden, die die Emissionen wegen des Atomausstiegs sogar noch in die Höhe treibt.
Der Naturverbrauch ist enorm
Der Naturverbrauch für die in Felder und Wälder betonierten Windkraftschneisen ist, verglichen mit dem Platzbedarf von Atomkraftwerken, enorm; und gemessen an der ausgereiften und zumindest in Deutschland havariefreien Kernenergie fällt auch die Sicherheitsbilanz brennender, einstürzender und ihre Rotoren verlierender Windkraftanlagen bescheiden aus. Alle Parameter sprechen also für die von Reitzle ins Spiel gebrachte Renaissance der Kernkraft.
Selbst wenn die Entscheidung dafür fiele, wäre dieser Schritt allerdings schwer genug. Mit dem Verzicht auf Neubauten seit vier Jahrzehnten hat Deutschland sich auch von der technologischen Weiterentwicklung unweigerlich abgekoppelt. Kernphysiker werden kaum noch ausgebildet, und wenn, dann fürs Ausland. Der Nachwuchs ist praktisch versiegt. Deutsche Unternehmen, einst führend in der Welt, sind nicht nur aus der Reaktorentwicklung ausgestiegen, sie verabschieden sich insgesamt vom politisch schikanierten Kraftwerksbau. Wo stünde die Technik heute, wären deutsche Ingenieure noch an vorderster Front dabei?
Die Technologieführerschaft verschiebt sich ironischerweise nach Rußland, das einst mit Tschernobyl die Panik befeuerte, heute aber mit der Brüter-Technologie an der Lösung des Brennstoff- und Abfallentsorgungsproblems arbeitet, wo deutsches Technikwissen vor vier Jahrzehnten mit der Nicht-Inbetriebnahme von Kalkar eine politisch erzwungene Vollbremsung hinlegen mußte. Ist das schon die Lösung der Energieprobleme der Zukunft? Wohl nicht. Aber es ist eine Brücke, die Zeit gibt, neue Wege zu erforschen, an die heute vielleicht noch niemand denkt. Am besten ohne Bevormundung durch Politiker und Ideologen, die wertvolle Ressourcen, Gelder und Zeit in unproduktiven Sackgassen vergeuden.
JF 21/19