Das war deutlich. Zum wiederholten Mal ist die AfD daran gescheitert, eine(n) der ihren ins Präsidium des Bundestags wählen zu lassen. Oder besser gesagt: Zum sechstenmal hat ein großer Teil der etablierten Parteien dem Parlamentsneuling das verweigert, was ihm laut Geschäftsordnung zusteht.
Ja, natürlich, es gibt kein imperatives Mandat, die Abgeordneten waren nicht verpflichtet, Mariana Harder-Kühnel zu wählen. Doch die 423 Neinsager haben eine Regel gebrochen, die sich der Bundestag selbst gegeben hat. Sie verweigerten der 44jährigen Juristin das Amt allein wegen ihrer Parteizugehörigkeit. Traut man ihr etwa nicht zu, als amtierende Präsidentin auch eigene Fraktionskollegen zur Ordnung zu rufen? Oder – was noch viel bedenklicher wäre – traut man es ihr sehr wohl zu und will genau das verhindern: Daß eine AfD-Politikerin den Beweis erbringen kann, neutral und über dem Parteienhader eine Sitzung zu leiten? Das Hohe Haus würdig zu repräsentieren?
Die Schäbigkeit erfordert eine Sanktion
Ihr seid nicht wie wir – wir wollen euch hier nicht haben, mag euch der Wähler auch in dieses Parlament (und alle Landtage) entsandt haben. Das scheint die Motivation der vereinigten Verhinderer zu sein. Die Parallelen zum Brexit-Theater im britischen Parlament sind augenfällig. Die Mehrheit der Abgeordneten dort sind „Remainers“, die in der EU bleiben wollen, analysierte der frühere Thatcher-Vertraute Charles Moore jüngst in der Schweizer Weltwoche. „Es widerstrebt ihnen, den Willen des Volkes umzusetzen.“
Wie in London so offensichtlich auch in Berlin. Das Ergebnis an den Urnen läßt sich nicht ändern, verdrängen schon. Wir haben die Mehrheit – was gehen uns eure Minderheitenrechte an? Diese Mentalität spricht aus dem Abstimmungsverhalten am Donnerstag. Es ist – nebenbei bemerkt – genau dieselbe Vorgehensweise, die sonst die selbsternannten Gralshüter der westlich-liberalen Demokratie bei jeder sich bietenden Gelegenheit Ungarns Premier Viktor Orbán vorwerfen.
Was bedeutet das für die AfD? Sie steckt in der Zwickmühle. Zum einen kann sie nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Die Schäbigkeit, der größten Oppositionsfraktion einen ihr zustehenden Sitz im Präsidium zu verweigern, erfordert eine Antwort, man könnte auch sagen: Sanktion. Das können wir denen nicht durchgehen lassen, umschreibt die entsprechende Stimmungslage – bei den Abgeordneten und den Mitgliedern der AfD, aber auch bei vielen, die der Partei mit vielleicht nicht viel mehr als einer distanzierten Grundsympathie gegenüberstehen.
Obstruktion hat ihren Preis
Die parlamentarischen Spielregeln bieten da durchaus ein Arsenal für den einen oder anderen Nadelstich, mit dem man die Mehrheit nerven kann. Reden, die nicht ausschließlich zu Protokoll gegeben, sondern zu später Stunde auch tatsächlich gehalten werden, sind eine Möglichkeit. Das Infragestellen der Beschlußfähigkeit eine andere.
Doch das Ganze hat seinen Preis. Zunächst zehrt es auch an den Kräften der eigenen Leute, verschleißt eine Menge Ressourcen, die dann anderswo fehlen. Vor jeder Eskalation muß man sich darüber im klaren sein, ob und wie lange so etwas durchzuhalten ist. Erinnert sei an die Frühphase im Bundestag, als die AfD permanent auf die leeren Plätze bei den anderen im Plenum wies; mittlerweile haben sich auch die eigenen Reihen in den Sitzungen gelichtet. Weil es anders nicht möglich ist und die Anwesenheit in den parallel tagenden Ausschüssen ihren Tribut fordert.
Letztlich sitzen die anderen eben doch am längeren Hebel. Den Plan, künftig in jeder Sitzungswoche einen neuen Kandidaten für das Präsidium vorzuschlagen, dürfte der Ältestenrat, der die Tagesordnung festlegt, ganz schnell zunichte machen. Und im Zweifel kann – als letztes Mittel – eine einfache Mehrheit im Bundestag die Geschäftsordnung auch wieder ändern.
Die AfD macht es ihren Gegnern zu leicht
Entscheidend ist aber noch ein anderer Punkt. Mit reiner Obstruktion bugsiert sich die blaue Fraktion genau dorthin, wo ihre Gegner sie am liebsten sähen: in die Schmollecke. Seht her, werden sie dann sagen, die AfD kann nichts, außer destruktiv zu sein, sie blockiert die Arbeit, schädigt das Ansehen des Bundestages! Einen größeren Gefallen könnte man denen, die das politische Feld in „wir guten Demokraten“ gegen „die bösen Populisten“ aufteilen möchten, gar nicht tun. Zu allem Überfluß würde die AfD so noch jenen Argumente an die Hand liefern, die ihr geheimes Nein gegen Frau Harder-Kühnel zum Ausweis einer besonderen Haltung, zum Akt des Widerstands stilisieren.
So verständlich es ist, nun die Wagenburg zu errichten, so falsch wäre es, darüber den kritischen Blick auch nach innen zu vergessen. Denn natürlich gibt es – Stichwort „gäriger Haufen“ (Alexander Gauland) – vor der eigenen Tür noch genug zu kehren. Noch immer machen es zu viele in der AfD ihren Gegnern zu leicht, die Ausgrenzung zu rechtfertigen. Dazu gehören nicht nur jene Quertreiber in der Bundestagsfraktion, die den Spiegel für seine Geschichte vom vermeintlichen Widerstand gegen die Kandidatin in den eigenen Reihen fütterten.
Höfliches Auftreten als Antwort
Auch die Ränkespiele in der bayerischen Landtagsfraktion waren alles andere als hilfreich. Übertroffen wird das von nicht nachvollziehbaren Entscheidungen einzelner Abgeordneter bei der Mitarbeiterauswahl oder ganzer Kreisverbände bei der Aufnahme neuer Mitglieder, die das Bemühen der Parteispitze, die AfD aus dem Verfassungsschutzbericht herauszuhalten, konterkarieren.
Was fehlende Fairneß im Umgang mit der Partei, was das Foulspiel der Etablierten im Bundestag der AfD an Sympathien weit über die eigene Anhänger- oder Wählerschaft hinaus zufliegen läßt, das kann durch eigene Fehler schnell wieder verpuffen. Die Erfahrung zeige, so meinte ein Mitglied der AfD-Fraktionsführung resümierend, daß man die vehementesten Widersacher im Bundestag am meisten ärgere, wenn man ihnen freundlich gegenübertrete, lächelnd, ausgesucht höflich. Vielleicht wäre das die klügste Antwort auf die erneute deutliche Ausgrenzung der vergangenen Woche.
JF 16/19