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Nach der Unterhauswahl: England ist frei

Nach der Unterhauswahl: England ist frei

Nach der Unterhauswahl: England ist frei

Nigel Farage (l.) und Boris Johnson
Nigel Farage (l.) und Boris Johnson
Nigel Farage (l.) und Boris Johnson: Männer, die Geschichte machen Fotos: picture alliance / empics / JF-Montage
Nach der Unterhauswahl
 

England ist frei

Es gibt sie noch, die Männer, die Geschichte machen: Nigel Farage und Boris Johnson. Deutsche Politiker könnten einiges von ihnen lernen: Wie Wahlkämpfe aufgezogen werden müssen. Oder wie eine kleinere populistische Partei die größere konservative Partei unter Druck setzen kann. Ein Kommentar von Bruno Bandulet.
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Es gibt sie noch, die Männer, die Geschichte machen. Das lange, zeitweise alptraumartige Brexit-Drama läßt sich zurückverfolgen bis zum Jahr 1992, als Großbritannien dem Vertrag von Maastricht beitrat und ein damals unbekanntes Mitglied der Konservativen Partei namens Nigel Farage im Protest die Torys verließ. Der Kreuzzug, zu dem er aufbrach, erreichte das Ziel am 12. Dezember 2019, als Farages alte Partei das beste Wahlergebnis seit 1983 einfuhr und sich die Engländer nach dem Referendum vom Juni 2016 ein zweites Mal dafür entschieden, die EU zu verlassen.

Es muß offen bleiben, wie die Wahlen ausgegangen wären, hätte sich der Mitgründer der UK Independence Party nicht am 11. November gegen erhebliche Widerstände in seiner jetzigen Partei (Brexit Party) dazu durchgerungen, in 317 der 650 Wahlkreise nicht anzutreten. Farage überließ sie den Torys.

Jedenfalls sah der Guardian darin den „wichtigsten Moment“ des Wahlkampfes: „Farage gewann ihn für Johnson.“ Mehr noch, ohne Farage wäre der Brexit vielleicht später, aber nicht schon jetzt, Realität geworden. Er ging in die Politik, er hatte den langen Atem, er präsentierte den Briten die Vision eines Landes, das sich wieder selbst regiert.

Vor allem begriff er, daß er den Hebel dort ansetzen mußte, wo die Torys zwischen EU-Anhängern und EU-Gegnern gespalten waren. Um seine zerstrittene Partei zu befrieden, griff David Cameron 2016 zum Instrument der Volksabstimmung. Er war überzeugt, sie gewinnen zu können. Doch die Mehrheit stimmte für den Brexit, Cameron mußte die Downing Street Theresa May überlassen, sie wie er ein „Remainer“. Auch May hatte für den Verbleib in der EU geworben.

Ungeheurer Affront gegenüber Brüssel

Die Premierministerin ließ sich ein Jahr Zeit, bis sie die Austrittsverhandlungen überhaupt aufnahm. In Brüssel hatte der französische Chefunterhändler Michel Barnier im fünften Stock des Berlaymont, des Sitzes der EU-Kommission, in einem Hochsicherheitstrakt 50 hochkarätige Experten um sich versammelt. Sie taten das, was die EU-Technokraten am besten können: aus einer im Prinzip einfachen Sache, dem Brexit nämlich, eine komplizierte zu machen.

Während die Briten schlecht vorbereitet kamen, beherrschten Barniers Leute die kafkaeske Rechtsmaterie der EU, die angeblich einhunderttausend Seiten umfaßt. Sie wollten die Engländer nicht in Würde gehen lassen, sie wollten sie bestrafen. Sie konspirierten sogar, wie in der EU-freundlichen Londoner Financial Times zu lesen war, mit den „Remainers“ im Unterhaus.

Denn das in Brüssel angesiedelte Machtzentrum der Union betrachtete die bloße Idee des Brexit von Anfang an als einen ungeheuren Affront. Wie konnte die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU, die stärkste europäische Militärmacht, eine Nation von 66,4 Millionen, die seit 1973 dabei war, den Konsens einer „immer enger werdenden Union“ aufkündigen! Wie konnte sie Demokratie und Selbstbestimmung dem bequemen Wohlstand überordnen, den die EU angeblich garantiert! How dare you!

Es gelang, den Brexit zu verschleppen. Noch Ende September schien die Lage von Mays Nachfolger Boris Johnson aussichtslos. 21 Tory-Abgeordnete hatten die Regierungspartei verlassen. Johnson hatte die Mehrheit im Unterhaus und sämtliche Abstimmungen verloren. Das Oberste Gericht hatte sich gegen ihn gestellt. Neuwahlen konnte er nicht durchsetzen, weil ihm die dafür nötige Zweidrittelmehrheit im House of Commons fehlte. Und doch schaffte es Johnson, am Ende alle auszumanövrieren und die Wahlen ebenso wie das Referendum von 2016 mit drei simplen Worten zu gewinnen: „Take back control“ und dann: „Get Brexit done“.

Deutsche Politiker könnten einiges daraus lernen

Die Politiker in Deutschland könnten aus dieser Geschichte einiges lernen: Wie Wahlkämpfe aufgezogen werden müssen. Wie eine kleinere populistische Partei die größere konservative Partei unter Druck setzen kann. Wie eine geschwächte Volkspartei zu alter Stärke zurückfinden kann, wenn eine charismatische Figur an die Spitze rückt und bereit ist, voll ins Risiko zu gehen. Und warum der Ruck der Sozialdemokraten nach ganz links auch hierzulande vorhersehbar im Ruin endet.

Die medialen und politischen Eliten Deutschlands wurden von den Dezember-Wahlen – wie zuvor schon vom Referendum – auf dem falschen Fuß erwischt. Peter Frey, der unsägliche Chefredakteur des ZDF, hielt Johnson selbst am Tag nach der Wahl immer noch für einen „Clown“. Sie haben nichts begriffen. Sie haben schon den Ausgang des Referendums als Mißverständnis und zu korrigierenden Irrtum abgetan. Die Deutschen, ein ängstliches Volk, schätzen die Engländer immer wieder falsch ein. Schon Helmut Kohl war sich in den neunziger Jahren sicher, daß das zögernde Britannien doch noch dem Euro beitreten werde. Margaret Thatcher meinte einmal, weil sich die Deutschen nicht selbst regieren wollten, sollten auch die anderen Europäer das nicht dürfen.

Die Würfel sind gefallen. Ende Januar wird Großbritannien die EU verlassen und anschließend ein Freihandelsabkommen aushandeln. Grund zur Freude besteht aus deutscher Sicht nicht. Die Bundesrepublik wird zusammen mit den marktwirtschaftlich orientierten Ländern des nördlichen Europa die Sperrminorität in Brüssel verlieren. England ist frei, Deutschland bleibt verstrickt in eine auf Umverteilung gepolte EU und eine fragile, fehlkonstruierte Eurozone. Im Verlauf des kommenden Jahrzehnts wird sich herausstellen, daß die Engländer die bessere Karte gezogen haben.

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Dr. Bruno Bandulet war Chef vom Dienst bei der Welt und ist Herausgeber des „Deutschland-Briefs“ (erscheint in eigentümlich frei).

JF 52/19

Nigel Farage (l.) und Boris Johnson: Männer, die Geschichte machen Fotos: picture alliance / empics / JF-Montage
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