Das Handlungsgerüst der „Ibiza-Affäre“ wirkt wie das Drehbuch eines Trash-Films: Der Vorsitzende einer rechten Partei und spätere Vize-Regierungschef eines mitteleuropäischen Staates verbringt seinen Sommerurlaub als Partylöwe auf Ibiza. Auf der Baleareninsel läßt er sich von seinem Fraktionschef und Leibfuchs seiner Studentenverbindung zu einem Treffen mit der rassigen Nichte eines angeblichen russischen Oligarchen überreden. Sie machen sich nicht ansatzweise die Mühe, ihre Legende vernünftig zu überprüfen. Treffpunkt ist eine angemietete Luxusvilla, die sich später als aufwendig mit Kameras verwanzt herausstellt.
Dort zechen die beiden Politiker im Beisein der – im Falle des Parteichefs – eben erst kennengelernten „Investorin“ stundenlang und plaudern eifrig aus dem Nähkästchen: Wer die Top-Spender ihrer Partei sind, welche Umgehungsmöglichkeiten an der korrekten Parteienfinanzierung vorbei möglich sind, wie dicke man mit Moskau sei und welche staatlichen Aufträge man der hübschen Russin zuschanzen könne, wenn sie sich in die größte Zeitung des Landes einkaufe und dort für gefällige Berichterstattung sorge.
Doch es ist kein billiges B-Movie, sondern Realität. Zwei Jahre nach Aufzeichnung der kompromittierenden Begegnung von FPÖ-Parteichef Heinz-Christian Strache und seinem Fraktionschef Johann Gudenus spielen interessierte Dritte die Aufnahmen an deutsche Medien, die diese zufälligerweise eine Woche vor den EU-Wahlen publizieren. Ergebnis: Strache und Gudenus treten zurück, die FPÖ taumelt in eine schwere Krise, die österreichische Regierung fliegt in die Luft, das Modell rechtsbürgerlicher Koalitionen steht in Frage.
Schockstarre
Nun heißt es von vielen Kommentatoren, man habe schon immer gewußt, daß mit „Rechtspopulisten“ kein Staat zu machen sei, eine Regierungsbildung mit ihnen ins Chaos führe, deren Politiker unseriös und käuflich seien. Dies löst eine Schockstarre unter allen aus, die auf eine politische Wende in Europa hoffen.
Die Affäre setzt sich aus mehreren Aspekten zusammen: Auf der einen Seite eine Partei, deren Führungsfiguren stets „Law and Order“ fordern, für mehr Wahrhaftigkeit und Rechtsstaatlichkeit eintreten, als Kämpfer gegen Filz und Korruption gelten wollen und sich nun als Halbweltfiguren entpuppen, bereit für einen machtpolitischen Vorteil sogar Landesinteressen zu verkaufen.
Sicher ist, daß es für die FPÖ und ihre politischen Partner nicht reichen wird, in Deutschland die AfD, die Affäre mit dem Rücktritt der beiden Protagonisten als „singulären Fall“ abzuhaken. Es sind alle mitbeschädigt, die Strache und die FPÖ zu einem Vorbild erklärt haben – sie wollte schließlich die Politik- und Regierungsfähigkeit mustergültig unter Beweis stellen. Der Fall und weitere Mitwisser müssen umfassend aufgeklärt werden – hier steht die FPÖ erst am Anfang.
Es hilft dabei nicht, auf die Serie an Korruptionsfällen, Spendenaffären anderer zu verweisen. Schließlich tritt die FPÖ in Österreich und ihr deutscher Partner, die AfD, ausdrücklich gegen Käuflichkeit, Klüngelei und Vetternwirtschaft an, wie es gerade bei der haarsträubenden Verwandtschafts-Affäre der SPD in Mecklenburg-Vorpommern ans Tageslicht kommt.
Abgrund politischer Auseinandersetzung
Hinzu kommt bei der Ibiza-Affäre das Moment, daß eben nicht zufällig ein Lockvogel aus Rußland eingesetzt wurde. Strache-Intimus Gudenus bereitete seit Jahren der Annäherung an Putin den Boden, profilierte sich als „Wahlbeobachter“ auf der von Rußland annektierten Krim, fädelte das Partnerschaftsabkommen mit der Kreml-Regierungspartei „Einiges Rußland“ ein.
Auch in der AfD stehen verhinderte Weltpolitiker Schlange, um sich bei Treffen auf der Krim oder in Moskau politisch zu profilieren. Daß in einer Villa auf Ibiza die Sicherungen durchbrannten, liegt auch an absurden Vorstellungen, mit „Moskauer Verbindungen“ innenpolitisch einen besonderen Joker zu besitzen – und den Lobbyisten von Atlantikbrücke und anderen NGOs Paroli bieten zu können.
Auf der anderen Seite offenbart die Affäre, zu welchen kriminellen Methoden politische Gegner zu greifen bereit sind, um lästige Konkurrenten auszuschalten, eine demokratische Alternative unmöglich zu machen. Wir blicken in den Abgrund einer politischen Auseinandersetzung, bei der jedes Mittel recht zu sein scheint, um den Gegner notfalls mit Inszenierungen und schmutzigen Kampagnen zu vernichten.
Zeitpunkt der Veröffentlichung wirft Fragen auf
Daß das zwei Jahre alte Video just eine Woche vor den EU-Parlamentswahlen als Bombe lanciert wurde, wirft erhebliche Fragen auf. Beinahe putschartig löste dies den Sturz der bis dato erfolgreich arbeitenden und in der Bevölkerung beliebten Regierung aus, die nicht zuletzt das Verdienst hat, nach 2015 die Balkanroute für Massenmigration geschlossen und sich gegen den UN-Migrationspakt gestellt zu haben. Sollte die Veröffentlichung helfen, den Siegeszug „rechtspopulistischer“ Parteien zu stoppen?
Gerade jetzt steht für etablierte Kräfte viel auf dem Spiel. Es verdichten sich aktuell die Hinweise auf erdrutschartige Zugewinne für EU-kritische, rechtskonservative, nationalistische Parteien. Die neue „Brexit-Partei“ von Nigel Farage kommt bei jüngsten Umfragen auf 35 Prozent, Le Pens Partei in Frankreich auf 24 Prozent, Matteo Salvinas Lega in Italien über 30 Prozent, Viktor Orbáns Fidesz bis zu 60 Prozent, die AfD auf 13 Prozent.
Es droht aus Sicht der politischen Eliten, die eher eine zentralistische EU wollen, ein mächtiger Block von Parteien zu entstehen, die weitere Integrationsbemühungen bremsen wollen und für die Rückgewinnung nationalstaatlicher Kompetenzen stehen. Das Komplott um die „Ibiza-Affäre“, zeigt, mit welch harten Bandagen demokratische Entscheidungen beeinflußt werden. Alternative Kräfte werden jedoch dauerhaft nur Zukunft haben können, wenn sie Vertrauen und Seriosität gegen Korruption und Filz setzen.
JF 22/19