Es ist die Unruhe vor dem Sturm. In der Nationalversammlung wird heftig debattiert, im Netz polemisiert und zur neuerlichen Demonstration in Paris aufgerufen. Aber es ist unwahrscheinlich, daß es auch am kommenden Wochenende so gewalttätig zugehen wird wie an den beiden Samstagen zuvor.
Polizei und Sicherheitskräfte haben gelernt und bereiten sich auf die Randalierer vor. Ein Fehler am 1.Dezember war, daß rund um das leere Elysee – der Hausherr war in Argentinien – mehr als 2.000 Mann den Palast und die angrenzenden Straßen sicherten, statt die Hälfte auf die nahe Prachtstraße Champs Elysee zu schicken und dort in den sternenförmig um den Triumphbogen abzweigenden Nobelstraßen die vermummten Krawallos aufzuhalten oder auch zu jagen. In der Provinz allerdings kann es hier und da zu Ausschreitungen kommen. Die Bewegung der Gelbwesten ist keineswegs besänftigt durch die Ankündigung des Premierministers, die geplanten Steuererhöhungen um sechs Monate aufzuschieben. Man fühlt sich für dumm verkauft. Zu offensichtlich ist, daß die Regierung Macron/Phillippe sich über die Europa-Wahlen Ende Mai retten will.
Das Einlenken war alternativlos
Es wird ohne einen politischen Preis keine Ruhe geben. Die Forderungen der spontanen und unkontrollierbaren Volksbewegung belegen es: Man will die von Macron fast auf null reduzierte Vermögenssteuer für die Reichen wiederhaben, die Verbrauchssteuern (Strom, Gas, Tabak, Wasser) senken, die Solidaritätsabgabe abschaffen.
Es ist das Prekariat, das auf der Straße steht, Tankstellen und Öllager blockiert, den Verkehr aufhält und die Fäuste reckt. Schon wird an hunderten von Orten die Benzinausgabe auf 30 Euro begrenzt. Die LKW-Fahrer wollen streiken, die Gewerkschaften beraten, wie sie die Bewegung unterstützen können. Viele Gymnasien sind von der Unruhe erfaßt. Die Reform des Abiturs bietet einen Anlaß, sich den Gelbwesten anzuschließen.
Auch die Bauern solidarisieren sich. Die Bewegung greift um sich, der Rückhalt in der Bevölkerung ist nachhaltig, alle sind von der Steuerlast betroffen. Der Gesamtschaden für die französische Wirtschaft – Umsatzverluste, Stornierungen, Transportschäden – geht in die Milliarden. Angesichts dieser Wucht der Straße hatte die Regierung keine andere Wahl. Aber die Pläne nur aufzuschieben und nicht zu annullieren war wieder ein Fehler. Irgendwann muß doch darauf verzichtet werden.
Macron muß einen politischen Preis zahlen
Macron schweigt. Seine Geste, die zerstörte Präfektur in Puy-en-Velay zu besichtigen, endete in Buhrufen. Er wird einen politischen Preis zahlen müssen. Das kann eine Regierungsumbildung sein mit der Entfernung der Hardliner wie Premier Edouard Philippe, es kann auch eine Kehrtwende der Reformpolitik sein. Es muß auf jeden Fall ein Stopp des arroganten Führungsstils sein. Der Monarch ist in der Sackgasse.
Schon schießen die ersten Spekulationen über ein Ende der Ära Macron ins Kraut. Er wird nicht zurücktreten. Aber seine Glaubwürdigkeit als großer Reformer Frankreichs und Europas ist dahin. Der Europa-Wahlkampf dürfte sich zum Referendum über Macron entwickeln.
Auch seine junge Partei zeigt erste Risse. Viele Abgeordnete fragen sich, zu wem sie halten sollen, zum Monarch, der das Volk verachtet oder zum Volk, das den Monarch lieber heute als morgen zur politischen Guillotine führen würde. Dem Volksheld kommt das Volk abhanden. Schon möglich, daß ähnlich wie bei seinem Vorgänger François Hollande sich eine Fronde in der eigenen Partei bildet, die ihn die Mehrheit in der Nationalversammlung kosten kann. Den Haushalt muß Paris jedenfalls schon heute überdenken.
Eine weitere Baustelle für Europa
Die Krise betrifft auch Deutschland und Europa. Wenn sie nicht bald gelöst wird, hat Europa nach Brexit, Italiens Budgetcasino und der alles überschattenden Migrationskrise eine Einbruchsstelle mehr. Die Statik wackelt. Aber es wäre verfehlt, Macron jetzt ostentativ beizustehen. Das würde ihn in den Augen der Franzosen nur weiter schwächen. Erhellend ist es aber schon: Ausgerechnet in den Staaten mit starkem Nationalgefühl – Großbritannien, Frankreich, Italien – wächst die Zahl derer, die ihre Identität nicht in einem Gleichheitsbrei verrührt sehen wollen. Und in jedem dieser Länder wächst der Widerstand auf typische Art: Formgerecht mit Referendum auf die englische Art, revolutionär und mit Leidenschaft und Barrikaden in Paris, laut und mit großem Klamauk in Rom.