Klein sind die realistischen SPD-Hoffnungen geworden: 26 Prozent bei der Bundestagswahl – und mitregieren dürfen. Da läuft etwas schief. Kein Wunder, daß man zwischen 1987 und 2009 elf Vorsitzende verschliß. Am längsten hielt sich nach Brandt noch Sigmar Gabriel. Für dessen Nachfolge holte man einen Promi aus Europa und beschloß, ein Parteitag habe ihn zu wählen.
Das Problem ist die SPD selbst. Deutschlands ältester Partei wurde gerade ihr Erfolg zum Verhängnis. Beispielgebend hat sie den Typ der neuzeitlichen Mitgliederpartei geschaffen; jetzt verkümmert sie bei dessen Niedergang. Den Arbeitern hat sie zum Aufstieg verholfen; nun schrumpft ihr die Basis. Einst zog sie viele Intellektuelle an; lange schon tun das die Grünen. Und sie schwebte auf den Flügeln kritischen Zeitgeists; der aber ändert sich unter den Herausforderungen von Globalisierung, Migration und außereuropäischer Großmachtpolitik.
SPD hat sich zu Tode gesiegt
Doch noch tiefer liegen die Probleme. Pragmatisch geworden, ließ sich die SPD auf erfolgreiche Unionspolitik ein: soziale Marktwirtschaft, Westbindung, Wiederbewaffnung. Zudem stellte sie programmatisch großen Zugewinn an Sozialem und Liberalem in Aussicht. Das brachte sie, nach ranzig gewordener CDU-Herrschaft, 1969 und 1998 für etliche Jahre an die Macht.
Die Union reagierte durch mancherlei Reform. Merkels „Sozialdemokratisierung“ war dabei kein Plagiat, sondern folgte dem zwanglosen Zwang der schöneren SPD-Vision. Das bringt nun zwar die CDU in Probleme beim Integrieren nach rechts. Doch vorab hat sich die SPD zu Tode gesiegt – in einem stark sozialdemokratisierten Land.
Eingeklemmt zwischen zwei linken Parteien
Als vom Ansatz her konservative, auf den Erhalt funktionstüchtiger Ordnung ausgehende Partei kann die CDU damit gut leben. Anders die SPD als stolze linke Partei. Die leidet sehr, wenn sie Bestehendes nicht überwinden kann – durch mehr Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität, Offenheit. Doch da greifen die Gesetze vom „abnehmenden Grenzertrag“ und „abnehmenden Grenznutzen“. Immer mehr an Mühe und Geld muß nämlich aufgebracht werden, um gute sozialdemokratische Ziele ein wenig besser zu verwirklichen.
Zugleich scheint immer weniger Leuten ein solcher Zugewinn den Aufwand zu lohnen. Gewiß läßt sich auch hierzulande vieles verschönern. Doch um weiterhin benachteiligte Minderheiten kümmern sich attraktiver die Grünen, und die Hauptverwaltung „sozialistischer Visionen“ wird unbeschwert von der Linken betrieben. Beide wurden übrigens groß als verstoßene Kinder einer pragmatischen SPD; „Kernenergie“ und „Agenda 2010“ reichen als Hinweis. So ist die SPD heute zwischen zwei linke Parteien geklemmt. Die mit dem strotzenderen Selbstbewußtsein ist obendrein mit der CDU am Anbandeln.
Gesamtprogramm paßt nicht mehr in die Welt
Was kann schon ein neuer Parteivorsitzender an dieser Lage ändern! Er müßte doch gegen die Dogmen jener kulturellen Hegemonie angehen, die SPD, Grüne und Linke errungen haben und zäh verteidigen. Die Kernsätze lauten „Weiter so!“ und „Immer mehr!“ – zumindest bei den Kerngehalten linker Politik. Die sind der Ausbau des – in Migrationszeiten wie ein Magnet wirkenden – Sozialstaats; die versuchte Vertiefung einer bis zur Kräfteüberspannung erweiterten EU; das Offenhalten europäischer Grenzen; die Absage nicht nur an militärische Machtprojektion, sondern auch an Wirtschaftssanktionen, weil man bei der Außenpolitik stark aufs Kultivieren wechselseitig guten Willens setzt.
Nichts von alledem ist an sich falsch; alles harmoniert auch mit sozialdemokratischen Idealen. Doch in seinen Teilen maximiert, paßt das Gesamtprogramm nicht mehr in die Welt, wie sie geworden ist.
„Kampf gegen Rechts“ richtet sich gegen die SPD
So etwas wie „Godesberg“ wäre da hilfreich, das Nachgeben der Visionäre zugunsten von Realisten. Doch dem steht stolzes Besserwissen und Bessersein jener Studienräte und Sozialwissenschaftler im Weg, deren Partei die SPD dank ihrer bildungsverbreitenden Politik geworden ist. Als Partei der wahrhaft Klugen und Guten ist sie aber auch zum Luftkissenboot geworden, das oberhalb eines Großteils der Bürgerschaft schwebt – und auf einem Kurs, der vor allem der Besatzung gefällt.
Jedenfalls empfinden die bei der SPD tonangebenden akademischen Kreise vieles anders als jene Mittel- und Unterschichten, in denen Sorgen um die Zukunft des Landes wachsen. Aus ihnen aber gewinnt der deutsche Rechtspopulismus seine Schwungkraft. Doch weil in dieser Lage nicht das Zurückgewinnen, sondern das Ausgrenzen als korrekte Strategie verordnet wurde, wendet sich selbstgerechter „Kampf gegen Rechts“ nun auch gegen einst von der SPD erreichbare Leute. Nach Verwirklichung der meisten sozialdemokratischen Träume kann man diesen Kampf aber nicht durch Schärfung eines linken Profils gewinnen.
CDU sollte nach rechts rücken – der SPD zuliebe
Was also tun? Am besten das auch insgesamt Vernünftige. Weil die SPD nach links keinen Raum mehr gewinnen kann, muß sie das zur Mitte hin tun. Dort aber versperrt die sozialdemokratisierte Union das Gelände, während sie zugleich den Raum hinter der rechten Mitte ziemlich kampflos der AfD überläßt. Strategisch kluge SPD-Politik würde in dieser Lage erkennen, daß man nun von der CDU gerade nicht die „Abgrenzung nach rechts“ verlangen müßte, sondern das Neuausgreifen ins unter Merkel aufgegebene Gelände.
Dann nämlich rückte die CDU wieder nach rechts, was in der Mitte den Sozialdemokraten mehr Raum ließe; die AfD würde dezimiert, was sich doch Linke in ihren Lippenbekenntnissen so sehr wünschen; und vielleicht ermöglichte das auch solche Einwanderungs- und Integrationspolitik, die zwar Linken mißfällt, doch die entstandenen Probleme nachhaltig löst. Leider dürfen wir risikolos darauf wetten, daß die SPD keinen solchen Kurs einschlagen wird.
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Prof. Dr. Werner Patzelt lehrt Politikwissenschaft an der Technischen Universität Dresden
JF 06/17