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Kampf gegen den IS: Die Kurdenfrage als Zerreißprobe

Kampf gegen den IS: Die Kurdenfrage als Zerreißprobe

Kampf gegen den IS: Die Kurdenfrage als Zerreißprobe

Türkische Panzer
Türkische Panzer
Türkische Panzer: Armeeoperation in Syrien Foto: dpa
Kampf gegen den IS
 

Die Kurdenfrage als Zerreißprobe

In Nordsyrien treffen die unterschiedlichen Interessen der NATO-Partner Türkei und USA inzwischen hart aufeinander. Doch die Aufmerksamkeit, die der Westen den kurdischen Milizen nun schon über einem Jahr schenkt, war ursprünglich aus der Not geboren. Die Russen sind da ehrlicher. Ein Kommentar von Thomas Fasbender.
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Zerbricht die türkisch-westliche Allianz an der Kurdenfrage? In Nordsyrien treffen die unterschiedlichen Interessen der NATO-Partner Türkei und USA inzwischen hart aufeinander. Stein des Anstoßes sind die Unabhängigkeitsbestrebungen der Kurden, ein uraltes Thema.

Bis zum militärischen Eingreifen der Türken im August hatten die kurdischen Verbände, die YPG in Syrien und die Peschmarga im Irak, den „Islamischen Staat“ (IS) bis auf seine Hochburgen zurückgedrängt. Vom Westen ausgerüstet und ausgebildet, unterstützt von Elitesoldaten und Beratern der US-geführten Allianz, sind die Kurden in der Lage, dem IS erfolgreich entgegenzutreten. Zuletzt konnten die „Selbstverteidigungskräfte“ der YPG mit Hilfe von US-Spezialeinheiten die Stadt Manbidsch von IS-Kämpfern befreien.

Aus der Not geboren

Die Aufmerksamkeit, die der Westen den kurdischen Milizen nun schon über ein Jahr schenkt, war ursprünglich aus der Not geboren. Allzu lang hatten die Strategen in Washington und Ankara die fundamentale Bedrohung durch den IS unterschätzt. Als dessen Kämpfer in beiden Ländern, Syrien und Irak, schließlich eine Stadt nach der anderen eroberten, ölreiche Gebiete an sich rissen und ihren Terror selbstbewußt nach Nordafrika und Europa trugen, war es fast zu spät. Nach dem völligen Versagen der irakischen, von den USA mit enormem Aufwand aufgebauten Armee waren die Kurden die letzte Hoffnung des Westens – während im Osten des Irak die iranischen Milizen gegen den IS vorgingen.

Disziplinierter, härter und wehrhafter als die in den Flußtälern des Dreistromlands lebenden Araber stellen die Kurden heute die Bodentruppen der westlichen Allianz. Der Westen, der sich vor dem Einsatz eigener Soldaten scheut, sichert die Luftunterstützung mit Kampfflugzeugen und Drohnen. Im Gegenzug stellt er den Kurden ihren seit jeher ersehnten eigenen Staat in Aussicht. War zuerst die Rede von einem Kurdenstaat nur im Nordirak, so ist inzwischen von einem geschlossenen Territorium entlang der türkischen Südgrenze von Nordsyrien bis an die Grenze des Iran die Rede.

Steinzeit-Sunniten galten als Helfershelfer

Aus Sicht der Türken war damit Schluß mit lustig. Einen Kurdenstaat im Nordirak hätten sie noch zähneknirschend hingenommen, aber kurdische Souveränität über Hunderte von Kilometern unmittelbar südlich ihrer Staatsgrenze ist für Ankara gleichbedeutend mit dem Aufruf: Kurden aller Länder (Irak, Syrien, Türkei, Iran), vereinigt Euch!

Nun behauptet die Türkei, ihr Gegner sei allein der menschenverachtende IS und sein Terrorregime. Auch die Allianz der Vereinigten Staaten, glaubt man westlichen Medien, widmet sich ausschließlich dem Kampf gegen die islamistischen Barbaren. Dabei galten die Steinzeit-Sunniten in der ersten Phase des syrischen Bürgerkrieges noch als stillschweigende Helfershelfer im Kampf gegen den Präsidenten Baschar al-Assad. Dessen Beseitigung war und ist das Hauptziel des westlichen Engagements. Sein alawitisches, quasi-schiitisches Minderheitsregime, so das Narrativ, dient dem unbotmäßigen Iran als politischer Brückenkopf am Mittelmeer und im Libanon. Das darf nicht sein. Daher auch die Dämonisierung in der westlichen Mainstream-Presse, die anklagenden Berichte über das „verbrecherische Assad-Regime“ und die verharmlosenden Berichte über die „gemäßigten demokratischen Rebellen“.

Da sind die Russen ehrlicher

Da sind die Russen ehrlicher, die sich wenigstens nicht in moralischen Kriterien wie Gut und Böse verheddern. Moskau präferiert die Partei, die den legitimsten Anspruch auf die Macht geltend machen kann. In diesem Fall also die gewählte Regierung. Mag das Regime auch autoritär oder diktatorisch sein, eine mangelhafte Ordnung ist besser als ein grenzenloses Chaos. Dieses Chaos, und damit sieht Moskau sich in seiner Position bestätigt, ist genau das Ergebnis der „Demokratisierungspolitik“, die der Westen und allen voran die USA in den letzten 20 Jahren in der Region betreibt.

Dabei verbergen sich hinter dem vorgeblichen Kampf für die westlichen Werte eine Latte handfester geopolitischer und wirtschaftlicher Interessen. Nicht anders ist es im Fall Syrien. Das eigentliche Motiv des Westens, den Kampf gegen Assad zu unterstützen, ist dessen Verbündeter, das rote Tuch Iran. Das alte Persien, 5.000 Jahre lang in ungebrochener Staatlichkeit existierend, gilt vielen amerikanischen Geopolitikern als eine ebenso große Gefahr auf dem eurasischen Kontinent wie der Aufstieg Rußlands. Zudem gibt es Hoffnungen, ein pro-sunnitisches, auf die Türkei und Saudi-Arabien ausgerichtetes Syrien ließe sich als Transitland für Energielieferungen in die Türkei und nach Europa nutzen.

Kurden als Publikumsliebling

Daher wurde auch der IS lange geduldet, jedenfalls so lange, wie er sich als Kämpfer gegen die syrische Regierung nützlich machte. So hat die Türkei, indem sie bis weit in das Jahr 2015 hinein Erdöl aus den vom IS besetzten Gebieten importierte, die Terrororganisation faktisch finanziert.

Bei den westlichen Medien sind inzwischen die Kurden zum Publikumsliebling avanciert. Dort dürfen – wie im Iran – auch Frauen Kämpferinnen sein, dort erzählen die lokalen Interviewpartner den Journalisten aus Europa die Märchen aus Tausendundeiner Nacht: von Demokratie und europäischen Werten. Daß der Westen, der sich hoch zu Roß im Sattel wähnt, überall in der Region an der Nase herumgeführt wird, dämmert nur den Wenigsten.

Die USA muß Kröten schlucken

Das eigentliche türkische Kriegsziel, nämlich die kurdischen Verbände in Nordsyrien auf das Ostufer des Euphrat zurückzudrängen, wird vom wichtigsten NATO-Verbündeten, den USA, gebilligt. Schon die Tatsache, daß US-Vizepräsident Joe Biden sich zu Beginn der Militäroperation in Ankara aufhielt, wurde als Zeichen des Einverständnisses gewertet. Auffällig war auch, daß die syrische Regierungsarmee in den Tagen vor dem türkischen Einmarsch erstmals kurdische Stellungen angegriffen hat. Zu guter Letzt hat der türkische Präsident, auch dies ein Novum, bei Verhandlungen mit dem Iran die Möglichkeit einer syrischen Übergangslösung unter Beteiligung von Assad nicht mehr ausgeschlossen.

Für die Vereinigten Staaten bedeutet das, Kröten zu schlucken. Mit der Legitimierung der türkischen Offensive stößt Washington jene vor den Kopf, die den Blutzoll leisten, den der Westen nicht aufbringen will. Nicht ausgeschlossen ist, daß der Vorgang einen „pragmatischen Schwenk“ der USA bezeugt. Haben die vier Mächte, zwischen denen eine Lösung für die verfahrene Situation in Syrien und im Irak gefunden werden muß – USA, Rußland, Iran und Türkei –, sich etwa im Stillen geeinigt?

Vieles deutet darauf hin. Die Leidtragenden wären die Kurden, und es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte. Ihr Wunsch nach nationaler Selbstbestimmung wandert zurück in die Tüte mit den Träumen. Europa, das wie in allen Konflikten kraftlos immer nur den Frieden anmahnt, steht daneben und schaut zu.

Türkische Panzer: Armeeoperation in Syrien Foto: dpa
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